Tichys Einblick
Eine Fabel über Deutschland

„Die Mannschaft“ fliegt raus: kein Kampf, nur Haltung, kein Herz, nur Herzchen

Deutschland fliegt alles in allem verdient im Achtelfinale raus. Die Mannschaft fokussierte sich aufs Zeichen setzen. Gestern hat das Team nicht gekämpft, kaum Einsatz gezeigt - dass Begeisterung und Unterstützung in der Bevölkerung sinken, hat sie sich selbst zuzuschreiben.

IMAGO / ULMER Pressebildagentur

Zum Wesen des Fußballs gehört es, zu seiner Mannschaft zu halten – im Sieg und gerade in der Niederlage. Die Unterstützung der Fans unterliegt nur einer einzigen Bedingung: Dass die Mannschaft Fußball spielt. Aber Fußball ist Kampfsport, insofern war das Spiel Deutschland gegen England am Dienstag vielleicht gemeinsames Dosen- oder Torwandschießen ohne Dosen und Torwände – aber kein Fußball. Das wird einem in der G-Jugend des regionalen Fußballvereins mit zarten vier Jahren eingebläut: Du kannst dir vieles erlauben, aber wenn wir verlieren und du hast nicht gekämpft, dann Gnade dir Gott.

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Jede Generation hat ihre Fußball-Ereignisse, die sie nie vergisst. Bei mir ist es das Aus von Deutschland im Finale der EM 2008, weil Fernando Torres – ein Name, den ich bis heute nicht ausstehen kann – uns mit einem 1:0 rausschoss. Ich war an diesem Abend so tief traurig, dass ich nicht schlafen konnte, auch Versuche, mich zu trösten, waren gänzlich erfolglos. Aber niemals wären wir damals auf die Idee gekommen, unsere Nationalmannschaft infrage zu stellen oder uns von ihr zu distanzieren. In der Grundschule regten wir uns später tierisch auf, aber Müller, Neuer, Schweinsteiger & Co. waren unsere Helden, jeder hatte die Spielernummer von einem von ihnen hinten auf seinem Trikot. 2014 wurden wir Weltmeister, ein unbeschreibliches Gefühl. Gestern fieberten die wenigsten noch so mit wie vor einigen Jahren.

Die echte Niederlage der „Mannschaft“ jetzt ist nicht die sportliche, sondern der immer geringer werdende Rückhalt und vor allem das abnehmende Interesse der Bevölkerung. Wenn Fans zu ihrem Team halten sollen, muss das Team erstmal zu sich selbst halten. Viele kleine Außenseiter haben in den letzten Tagen gezeigt, wie das geht: Kroatien und die Schweiz kämpften sich nach 2:0 Rückstand in den letzten Spielminuten zurück, sie warfen alles nach vorne, was sie hatten, dachten nicht mal daran aufzugeben. Österreich brachte sogar die großen Italiener zum wackeln. Bei der Schweiz hat es funktioniert, bei Kroatien und Österreich am Ende nicht – die Leistung bleibt. Sie können sich der Unterstützung ihres Fans sicher sein, egal wie es ausgeht. Sie sind Helden auf dem Platz und machen sich für Generationen von Heranwachsenden unsterblich.

Aber gestern, bei den Deutschen war von Kampf keine Spur. In der 90. Minute kickt man bei 2:0 Rückstand planlos vor dem eigenen Tor herum, Chancen gibt es kaum und wenn dann werden selbst sie halbherzig vergeben. Man schiebt die Kugel lustlos herum, als wäre es ein Freundschaftsspiel gegen die Spielvereinigung Bundestag oder der Paulaner Cup des Südens. Statt zu glänzen, indem man auf dem Platz Leistung zeigt, will man die Lorbeeren im Vorfeld ernten – for free. Mit BLM-Knien und Regenbogenbinde ersetzt man aber keine Tore und das gezeigte Herzchen in Richtung der ungarischen Fans im letzten Spiel ersetzt auch keinen Charakter.

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Der Öffentlich-Rechtliche Kommentator singt dennoch Lobgesänge, während die Mannschaft gerade live sang- und klanglos untergeht. Text-Bild-Schere würde man sagen. Er sagt, man hätte gekämpft – habe ich etwas verpasst? Jogi Löw wird von einem Journalisten später ganz vorsichtig gefragt, ob die „Tendenz“ denn im Moment „gefühlt“ nicht dahingehe, dass wir weiter von der Weltspitze entfernt sind, als wir uns selbst eingestehen würden – Löw antwortet, das glaube er nicht, das Spiel sei auf Messers Schneide gewesen.

Joachim Löw ist die Angela Merkel des Fußballs, er ist nicht nur ungefähr genauso lang im Amt und hat die gleiche Frisur, er ist die ganze Zeit genauso den Trends und Stimmungen hinterhergelaufen und hat den Moment verpasst zu gehen. Nach dem Fiasko 2018 mit dem Vorrunden-Aus nach Niederlage gegen Südkorea hätte er zurücktreten müssen, es hätte größere Reformen gebraucht. Aber er durfte einfach weitermachen, versuchen, noch ein wenig von der Substanz der „goldenen Generation“ zu leben, ohne Zukunftsperspektive. Es ist alles etwas sinnbildlich, eine Fabel über Deutschland selbst.

„Die Mannschaft“ wollte einen Weg finden, wie man sich trotz sportlicher Misserfolge als Gewinner fühlen kann – wenn schon nicht im Fußball, dann eben im Haltung-Zeigen. „Die Mannschaft“ ist mehr als verdient in diesem Achtelfinale ausgeschieden. Die Brexit-Briten und große Teile Europas freuen sich. Und für den DFB wird es höchste Zeit wieder eine Nationalmannschaft aufzustellen, die den Namen erstens trägt und zweitens auch verdient. Ob die Politik das erlaubt?

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