„Die Zukunft gehört der Elektromobilität“ – so verkünden es Annalena Baerbock, Ministerin Schulze und alle grünen Unterstützer bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Aber nicht nur das – alles soll zukünftig elektrisch werden. Und wenn Frau Baerbock oder eine Ministerin das sagen, dann muss es ja stimmen – oder? Auf den ersten Blick ist Elektromobilität in der Tat eine sehr attraktive Idee – wie die Schweizer bereits seit 100 Jahren eindrucksvoll zeigen. Damals wurde die Gotthardbahn elektrifiziert. Der Strom dafür kam und kommt vornehmlich aus Wasserkraftwerken. Die Energie des Wassers hinter den Staudämmen wird – bei Bedarf – mit einer Wasserturbine zu 90% in Strom umgewandelt und zu den elektrischen Lokomotiven weitergeleitet. Diese wandeln die elektrische Energie dann mit einem 90%igen Wirkungsgrad in Bewegungsenergie um. Der gesamte Wirkungsgrad des Systems liegt damit bei 80%. (Anmerkungen: Wirkungsgrade werden multipliziert.) Das ist ein phänomenal guter Wert und das ist auch der Grund, warum so viele Bahnstrecken in den Bergen elektrifiziert wurden. Unsere Altvorderen – hier besonders die Schweizer – waren gar nicht so dumm! Sie haben schon vor hundert Jahren ein nach heutigen Maßstäben mustergültiges erneuerbare-Energien-Konzept technisch umgesetzt. Und weil es so gut ist, ist es auch heute noch in Betrieb.
Neben der phänomenal guten Energienutzung ist das System Wasserkraftwerke – Elektrischer Antrieb noch aus einem anderen Grund sehr lehrreich: Der Strom aus den Speicherseen wird immer nur dann erzeugt, wenn er auch tatsächlich von den Lokomotiven benötigt wird. Kein Mensch käme auf die Idee, Wasser aus den Speichern einfach ablaufen zu lassen, ohne es zu nutzen. Anders ausgedrückt: die Stromerzeugung richtet sich immer und zu jeder Zeit nach dem Strombedarf – und nicht umgekehrt.
Stellen Sie sich einmal vor, unsere Stromversorger würden bereits heute täglich mit einem frisierten Würfel auswürfeln, wie viele ihrer Kraftwerke zur Stromproduktion am nächsten Tag ans Netz gehen sollen. Der frisierte Würfel hat drei „Einsen“, zwei „Zweien“ und einen „Dreier“. An der Wand hängen drei Tabellen, in denen die am nächsten Tag angeschalteten Kraftwerke stehen. In der „Einser-Spalte“ stehen Kraftwerke mit insgesamt 20% der maximalen Leistung, in der „Zweier-Spalte“ stehen 50% und in der „Dreier- Spalte“ 130% der Kapazität. Und dann wird ausgewürfelt, welche Produktionskapazität am nächsten Tag zur Verfügung gestellt wird: das können dann 20% oder auch 130% sein, je nachdem, wie der Würfel fällt. Sie halten das für Quatsch? Dieses zahlenmäßige Gedankenspiel ist keineswegs Spinnerei, sondern bittere Realität! Genau so stellt sich die Politik die Stromversorgung der Zukunft vor: meistens reicht die Stromproduktion nicht aus, um den Strombedarf zu decken und dennoch haben wir regelmäßig ein Überschussproblem. Man stelle sich vor, die Schweizer Bergbahnen könnten nicht mehr entsprechend ihrem Fahrplan fahren, sondern würden sich nach dem Wasserstand in den Speicherseen richten. Zumindest für die Schweizer ein absurder Gedanke!
Und Deutschland? Da die Würfelei in der Vergangenheit nicht funktioniert hat, gibt die Politik nun konkrete Ziele vor, um wieviel die Produktionskapazitäten für W&S in Zukunft weiter zu erhöhen sind. Alle bekannten Probleme werden dadurch weiter verschärft.
Diese Vorgehensweise erinnert uns zu einem gewissen Grad an die seinerzeitige Entwicklung in der DDR: wir sind davon überzeugt, dass die Herren Honecker & Co. im Verlauf der Zeit erkannt haben, dass die Umsetzung des real existierenden Sozialismus auf deutschem Boden nicht so verlief, wie sie sich das gedacht hatten. Aber da es Politkern damals wie heute sehr schwerfällt, Fehler einzugestehen und diese gar zu korrigieren, wurden die „Anstrengungen verstärkt.“ Das Ergebnis ist bekannt…
Aber anstatt eine kritische Bestandsaufnahme vorzunehmen und einzugestehen, dass wir uns auf einem nicht realisierbaren Irrweg befinden, wird intensiv nach einem Ausweg aus der sich abzeichnenden Katastrophe gesucht. Und dieser Ausweg trägt den Namen „Power-to-X.“
Es muss also schnellstens eine Lösung her, wie die durch einen forcierten W&S-Ausbau unvermeidlich erzeugten Leistungs-Überschüsse gespeichert und anschließend energetisch nutzbar gemacht werden können. Die überschüssige elektrische Energie soll zukünftig auch außerhalb des Stromsektors, etwa in der Wärmeversorgung, z.B. als Methan- oder Wasserstoffgas oder im Verkehr z.B. als sogenannte „E-fuels“, also als elektrochemisch synthetisierte Kraftstoffe, genutzt werden und dort einen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten. X steht damit also vor allem für synthetische Brenngase oder Kraftstoffe.
Natürlich kann man nicht erwarten, dass alle Politiker ein Physik- oder Ingenieur-Studium abgeschlossen haben. Aber die physikalischen Zusammenhänge sind nicht kompliziert oder so unüberwindlich schwierig, dass nicht auch Politiker sie verstehen könnten. Man muss nur begreifen – und akzeptieren – dass jede Umwandlung von einer Energieform in eine andere unweigerlich mit energetischen Verlusten verbunden ist. Aus sehr grundsätzlichen physikalischen Gründen fallen diese Verluste unterschiedlich groß aus, je nachdem welche Ausgangsenergie in welche Endenergie umgewandelt werden soll.
Diese Unterschiede können erneut beim Bahnbetrieb sehr anschaulich illustriert werden: Wie eingangs ausgeführt, wandelt eine Elektrolokomotive in ihrem Antriebsmotor elektrische Energie in mechanische Energie, d.h. Bewegungsenergie des Zugs um. Die Wirkungsgrade der Elektrolok liegen bei 90%. Wie gleich ersichtlich werden wird, nimmt die elektrische Energie bei der Wandlung in andere Energieformen eine ganz besondere Rolle ein.
Jetzt machen wir eine Zeitreise ins 21. Jahrhundert und nehmen unseren überschüssigen Strom zur Synthese von sogenannten E-fuels (z.B. Diesel). Mit diesem synthetischen Diesel betreiben wir nun die Lokomotiven. Da es sich um einen Brenn- bzw. Kraftstoff handelt, sind wir mit allen energetischen Konsequenzen aus dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik auf Lokomotiven mit Verbrennungsmotor und damit auf Wärmekraftmaschinen festgelegt. Es ist genau diese Festlegung auf Synthese-Brennstoffe, die diese miserable Effizienz des gesamten Prozesses physikalisch bedingt. Alle Forschungsmilliarden der Welt können und werden daran nichts ändern: Wir wandeln überschüssigen Strom mit 50% Wirkungsgrad bei der Synthese in die Energie des Kraftstoffs und nur 25% davon werden in der Lok in mechanische Energie gewandelt. Der Gesamtwirkungsgrad schrumpft auf 12%.
Der in Fachkreisen wohlbekannte Schweizer Ingenieur Aurel Stodola hat schon 1910 in seinem Standardwerk „Die Dampfturbinen“ gewarnt, „es darf daher die dringliche Mahnung an die Erfinder gerichtet werden, von ihrem zwecklosen Kampfe abzulassen und keine Mittel an die Durchführung von Ideen zu wagen, die mit dem zweiten Hauptsatze im Widerspruche stehen.“ Hundert Jahre später mangelt es weder an Professoren und Politikern noch an ungezählten Forschungsmillionen, Ideen umzusetzen, deren Effizienz von vornherein durch physikalische Gesetze begrenzt sind. Und sicher werden es die grünen „Strom-Romantiker“ nicht gerne hören und noch weniger gerne akzeptieren: der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik lässt sich nicht einfach verbieten, wie so vieles andere…
Die (wie auch immer geartete) auf Elektrizität gegründete Synthese von Brennstoffen entspricht aus energetischer Sicht der Logik, den Kessel einer Dampflok mit Strom aus der Oberleitung zu beheizen. Spinnerei?! Keineswegs! Im Energiewende-Neusprech heißt so etwas „Power-To-Heat-Technologie“! Wohlgemerkt: Technologie!
Leider lässt sich auch für die Umwandlung von Strom in Wasserstoff der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik nicht außer Kraft setzen: Die Energie, die beim Betrieb einer Elektrolyse zur Wasserstoffherstellung aufgewandt wird, ist doppelt so groß wie die Energie, die anschließend im Wasserstoff noch vorhanden ist. Anders ausgedrückt: von der Energiemenge, die man vorne in den Prozess hineinsteckt, kommt hinten nur noch die Hälfte raus. Und sollte dieser Wasserstoff dann „rückverstromt“ werden, dann bleiben am Ende noch 25% der ursprünglich eingesetzten Strom-Energie übrig. Das führt zu der Frage: würde ein vernünftig denkender Mensch jemals auf die Idee kommen, ein Kohle- oder Gaskraftwerk rückwärts laufen zu lassen, in dem Strom aufgewandt wird, um am Ende Gas oder Kohle zu erhalten…?
Der Übergang zu einer ganz auf Elektrizität begründeten Energieversorgung wird heute gern als „Paradigmenwechsel“ schöngeredet, weil wir ja in Zukunft elektrische Energie im Überfluss haben. Und dieser Überfluss ist eine systemimmanente, unüberwindliche Eigenschaft des Zappelstroms. Im Kern geht es bei Power-To-X nur um das Recycling von überschüssigem, nicht verwertbaren Strommüll!
Da sich die politische Diskussion nicht nur um E-Fuels sondern vorrangig um „grünen“ Wasserstoff dreht, sei auch hier kurz aufgezeigt, dass wir es z.B. beim möglichen Ersatz von Erdgas durch Wasserstoff ebenfalls mit einem gigantischen Mengenproblem zu tun haben:
Im Jahr 2019 (Statista) wurden in Deutschland 89 Mrd. m³ Erdgas verbrannt. Der Heizwert von Erdgas beträgt 10,1 kWh/m³ – der von Wasserstoff „nur´“ 3,0 kWh/m³. Unter der Voraussetzung, dass es technische Lösungen für eine Umstellung der Heizungen von Gas auf Wasserstoff geben sollte, so würden 300 Mrd. m³ Wasserstoff nur im Gebäudesektor benötigt. Zum Vergleich: dieses Volumen ist 50% größer, als Russland 2020 weltweit an Gas exportiert hat. Auch hier stellt sich also die Frage: woher soll diese Menge an Wasserstoff kommen?
Das können wir drehen und wenden, wie wir wollen. Das ist der Kern der Sache! Wann wird darüber endlich offen und ehrlich gesprochen?
Die Autoren
Dr.-Ing. Detlef Ahlborn ist stellvertretender Vorsitzender der Bundesinitiative Vernunftkraft.de und Inhaber der Karl Ahlborn Maschinenfabrik im nordhessischen Großalmerode. Er kritisiert die Energiewende als illusionär weil die zahlenmäßigen technischen Dimensionen jeden vernünftigen Rahmen sprengen.
Der Physiker Dr. rer. nat. Horst Heidsieck, hat zwischen 1990 und 2006 als CEO verschiedene Unternehmen im In- und Ausland geleitet und ist seit 2018 Mitglied der Arbeitsgruppe „Energy Reality Büdingen“. Die Arbeitsgruppe besteht aus erfahrenen Ingenieuren und Naturwissenschaftlern und hat sich zum Ziel gesetzt, die Energiewende in Deutschland zu Ende zu denken.
Dieser Beitrag ist zuerst bei Club der klaren Worte erschienen.