Welche Gnade für Deutschland, sich so vieler Freunde sicher zu sein. Wie eine gute Fee hat die Geschichte die deutsche Nation seit 1989 mit Freunden beschenkt. Wie glücklich wollen wir darüber sein. Denn in der Geschichte hatten wir uns durch unsere Schuld so viele Feinde gemacht. Zu unseren Freunden gehört mit Sicherheit auch jenes kleine erhabene Königreich, das sich in geographischer Fortsetzung von Schleswig-Holstein Dänemark nennt. Diese fünf Millionen Dänen, dem Verfasser dieser Zeilen persönlich sehr sympathisch und ausgestattet mit einem einmaligen Sinn für schlichte Ästhetik sowie mit dem Stolz auf das Eigene, haben indes – vielleicht aus Freundschaft zu Deutschland – dem NSA, einem der 16 Geheimdienste der USA, einen Knotenpunkt im internationalen Telefonnetz zwecks Überwachung von drei deutschen Spitzenpolitikern zur Verfügung gestellt. Gewiss hat dabei eine Rolle gespielt, dass sich dieses kleine, selbstbewusste, durch individuelle Geschmacks-Virtuosität gekennzeichnete Land dem guten Zureden des großen Bruders nicht widersetzen konnte, bevor es seine telefonischen Knotenpunkte demselben zugänglich machte.
Aber so ist die Politik nun mal. Nun ist ja alles wieder gut, denn einige Jahre, nachdem die Bespitzelung der Regierung eines nicht gerade kleinen und unbedeutenden Staates in der Mitte Europas aufgedeckt worden war, noch dazu durch einen Whistleblower, der in den Vereinigten Staaten vor Gericht gestellt werden soll und eine lebenslängliche Haft zu befürchten hat, kann sich Deutschland doch einreden, weiterhin von Freunden umzingelt – wenn nicht gar – erdrückt zu werden. Die NSA-Aktion war gewiss nur ein kleiner Fehltritt. Aber jetzt wird alles gut und diese unsere Freunde werden uns auch sagen, wer unsere Feinde sind.
Vielleicht haben sich sogar unsere amerikanischen Freunde bei der Frage geirrt, wer ihr Feind ist. Dies ändert aber nichts an dem Umstand, dass wir natürlich ihre Freunde bleiben. Wie sehr sie unsere Freunde sind, haben sie uns in Afghanistan vor Augen geführt. Sie haben gerufen, wir mögen kommen. Und da die deutsche Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird, sind wir sofort angetreten. Zum Appell.
Genauso hat ein anderer Freund, der französische Staatspräsident, nach Deutschland gerufen, um in Mali zu intervenieren. Warum Deutschland, ohne jegliche Interessen in Mali und – Gott sei Dank – seit 1918 ohne koloniale Last, sich anschickt, Soldaten nach Westafrika zu schicken, ist nur für jene erklärungsbedürftig, die immer alles genau wissen wollen. Aber fragen wir nicht näher nach, denn schließlich wurde das Ersuchen von einem befreundeten Land unterbreitet.
Zurück zu Afghanistan. Als die USA riefen, kamen wir. Und nun, da die USA sagen, sie gehen, gehen wir natürlich mit ihnen. Schade nur, dass wir nicht schneller gehen als sie. Dann könnten die Taliban die Sicherheitslage zügiger revidieren und es wäre eventuell für die Weltöffentlichkeit mehr denn je verständlich, welche nachhaltigen Wirkungen ein 20-jähriger, milliardenschwerer, mit Blutopfern gesäumter Einsatz in Afghanistan hervorgebracht hat. Aber unser befreundetes Personal, das heißt das afghanische Personal, ungefähr 300 Personen, die nehmen wir besser mit. Denn wir wollen sie nicht dem durch unseren Beitrag endlich stabilisierten und sicheren Afghanistan überlassen. Es könnte ja sein, dass es in Afghanistan doch noch einige Feinde gibt, die es diesen Menschen nachtragen, dass sie sich mit Deutschland zusammengetan haben.
Deutschland ist ohne Sorge, denn es hat immer einen Freund, der einem alles sagt. Der sagt einem auch, wer der Feind ist und wie wir zusammen gegen denselben anstehen müssen. Und während er das sagt, hört er die Telefongespräche unserer Regierungschefin ab. Er will ja nur sicherstellen, dass es an der anhaltenden Bereitschaft zur Freundschaft nie mangelte.
Um den Freundeskreis zu schließen, hat Deutschland nicht nur in den USA seinen größten Freund, sondern auch in Frankreich einen Erbfreund. Dieser Erbfreund wird von einem Präsidenten geführt, der uns nicht nur nach Mali befohlen hat. Wir folgten willig. Wissen nicht recht, was es soll, aber tun es. Denn Freunden folgt man. Jetzt sind wir indessen etwas verwirrt. Denn in dem besagten Mali gibt es eine unübersichtliche Situation, in der nur unsere Freunde in Paris wissen, wer Freund und Feind ist. Nach einem Putsch folgt schnell der nächste Coup d’État . Ein afrikanischer Oberst ersetzt einen afrikanischen General. Das ist schon etwas unübersichtlich. Gut zu wissen, dass uns unser Erbfreund genau erklärt, dass es alles ein gutes Bewenden haben wird und dass wir weiter an seiner Seite nur dafür sorgen müssen, dass der eine Putschist an der Macht bleibt und der andere von der Macht entfernt bleibt, oder umgekehrt. Ist ja egal. Hauptsache der Freund sagt uns, wo es langgeht.
Heute ist also die deutsche Frage gelöst: wir haben es endlich bequem und beschaulich. Im deutschen Wohnzimmer kann es sich jeder Spießer, auch Bundesheinzelmännchen, die sich Politiker nennen, gemütlich einrichten. Denn wir Deutschen sind von Freunden umzingelt. Und die sagen uns, wo es langgeht.