Der Grieche ist Dein allerbester Freund. Du bist erstaunt, denn das hast Du gar nicht vermutet. Aber dem ist so. Du bist es eigentlich schon immer gewesen, so beteuert er. Leider gab es vorher aber nicht so viele Anknüpfungspunkte oder Gelegenheiten, so dass ein regelmäßiger Kontakt bisher nicht zustande gekommen ist. Aber es ändert nichts an der Tatsache: Du bist sein bester Freund. Du kannst ohne ihn gar nicht leben. Wusstest Du das? Dann lies weiter, diesmal eine Griechenland-Erzählung aus persönlicher Perspektive.
Ein sehr wahrscheinlicher Rahmen für diese warme Freundschaftsbekundung ist in der Regel sein eigenes Heim, wo er oder seine Frau bei einem Abendessen ihre herzliche Gastfreundschaft demonstrieren. Yamas! Darauf einen Ouzo. Du magst keinen Ouzo? Trink ihn trotzdem. Es gehört sich und würde ihn beleidigen. Und alles wird leichter, wenn der Schmerz und das Grauen in der Kehle nachlässt.
Dann kommt’s. Dein neuer bester Freund steckt in der Klemme. Er braucht Geld. Geld, um Rechnungen zu bezahlen. Die Geschäfte sind nicht gut gelaufen. Die Mutter ist krank, die in Griechenland. Er wurde beklaut. Die Tochter macht nur Schwierigkeiten, deswegen konnte er nicht mehr schlafen und hat in Folge dessen seinen Job verloren. Drama!
Es waren übrigens die Banken. Erst leihen die Schweine Dir Geld, das merkst Du gar nicht, dann wollen sie es zurück. Ist das nicht ein Skandal? Sag ehrlich, mein Freund? Skandal, oder? Warum leihen sie Dir das Geld, wenn sie es zurückwollen? Warum? Warum hast Du den Kapitalismus erfunden? Warum?
Er hat halt ein sonniges Gemüt, denkst Du Dir. Er kann sich schließlich nicht um alles kümmern, bei so vielen Problemen, die er hat. Und die Banken sind ja wirklich gemein. Du hast einen guten Tag. Ach was, Du hattest einen guten Monat! Und Du hast schließlich einen neuen Freund. Der in der Klemme steckt. Und Du leihst ihm das Geld. In bestem Glauben und mit besten Absichten seine Situation damit zu entspannen. Ihm damit wieder auf die Füße zu helfen, dem Guten. Und auch mit der kleinen Erwartung, dass Du das geliehene Geld eines Tages wiedersehen wirst.
Nachdem das Geld den Besitzer gewechselt hat und die tiefe Dankbarkeit in ausladenden Gesten zum Ausdruck gebracht wurde, beginnen die Dinge auch alsbald besser zu laufen für Deinen neuen Freund. Du freust Dich mit ihm. Und auch für Dich, denn schließlich teilt er Dir mit, dass er Dir Dein Geld jetzt bald wird zurückzahlen können.
Dies ist der Zeitpunkt, an dem Du den Rückschlag erwarten musst. Denn er wird kommen.
Eine neuer unabwendbarer Schicksalsschlag. Nein, nicht die Mutter. Jetzt ist es der Vater. Im Krankenhaus. Gestürzt. Der Sohn ist jetzt endgültig von der Schule geflogen. Der Arbeitskollege in der neuen Arbeit ist ein Rassist und deswegen hat man den neuen Job gleich wieder aufgeben müssen. Die aktuelle Variante: Du hast ihm das Geld geliehen, aber er musste es doch an die Banken geben! Stell Dir mal so was vor! Die Banken! Plündern ihn aus! Einfach so.
Egal aus welchem Grund auch immer, Dein bester Freund kann nun gar nicht mehr schlafen. Au Scheiße, denkst Du Dir. Der arme Kerl, was für ein hartes Los. Und dann noch die Banken. Und Du leihst nochmal.
Ab diesem Moment wirst Du Deinen neuen besten Freund immer seltener zu Gesicht bekommen. Auf Anrufe wird nur noch sehr selten reagiert. Nein, alles nicht besser geworden. Jetzt spinnt auch noch der Rücken. Die Schwiegermutter liest Unheilvolles aus dem Kaffeesatz. Alles Mist. Keinerlei Aussagen mehr dazu, wann oder wie man das geliehene Geld zurückzuzahlen gedenkt. Nichts. Nicht mal Ouzo. Aber den vermisst Du auch nicht wirklich. Die Lage hat auch was Gutes für Dich, nicht für ihn. Denk dran.
Irgendwann sehr bald hörst Du dann? Richtig: Überhaupt nichts mehr. Ärgere Dich nicht. Du bist wie eine Bank. Leihst ihm Geld und willst es zurück? Jeder hat Verständnis dafür, dass die Troika das Land verlassen musste. Stell Dir vor, wollten nachrechnen. Besser ist es, wenn Du es auch machst. Zieh Leine. Aber so gut meint es das Schicksal nicht mir Dir.
Per Zufall triffst Du ihn Wochen später lachend und scherzend in geselliger Runde mit Familie oder Freunden in bester Stimmung – und freust Dich ebenso! Das Blatt hat sich wohl gewendet. Dein Freund ist wieder voll dabei – und kann Dir also auch langsam mal die Schulden zurückzahlen, die er bei Dir angehäuft hat. Vorsichtig sprichst Du das Thema an.
Das Lachen und die heitere Atmosphäre weicht sodann einer angespannten Situation, in der Du in günstigstem Fall noch mal an den Tisch der gemeinsamen Runde eingeladen wirst – wenn auch mit Widerwillen, den Du deutlich zu spüren bekommst – in der ungünstigen Variante beginnt Dein neuer bester Freund mit der Einleitung der „Upside Down“ Strategie – gerade erst hat er sich aus der Situation befreit. Wie kannst Du ihn in seinem ersten heiteren Moment seit Monaten damit konfrontieren. Hast Du denn gar kein Vertrauen? Gar kein Anstand?! Jetzt bist Du Schäuble. Hast geholfen und bist dafür der A…. Tja. Freu Dich also. Mit Schäuble bist Du in bester Gesellschaft.
Nein, seine Familie, seine Freunde sind dabei. Die haben schließlich mitgelitten und die sollen jetzt nicht auch noch wieder runtergezogen werden. Nächste Woche, sagt er, nächste Woche wird er zu Dir kommen und erst dann besprecht ihr die Einzelheiten der Rückzahlungsmodalitäten.Wie damals in London, weisst Du noch?
Aber diese Art und Weise, so gibt er Dir noch mit auf Deinen Weg, die würde ihn schon ziemlich traurig machen. Aber er ist schließlich Dein Freund. Und deswegen sagt er Dir auch gleich, wie Du es wieder gut machen kannst. Das Geheimnis lautet: Schuldenschnitt. Oder? Dann wird doch alles gut. Du weisst, dass Du dein Geld nicht mehr wiederbekommst. Und er weiß, dass er es hat, und ihr könnt wieder Freunde werden. Du bist nicht einverstanden?
Zu dem angekündigten Besuch wird es – Überraschung – nicht kommen. Auf Anrufe wird nicht reagiert. Schließlich reisst Dir der letzte noch verbliebene Geduldsfaden. Du willst jetzt Dein Geld zurück und die Freundschaft, die kann er sich eigentlich an den Hut stecken. Du fährst zu ihm, dorthin, wo Du noch vor kurzem in aller Herzlichkeit empfangen worden bist.
Die „Upside down“ Strategie erreicht nun ihren Höhepunkt. Schließlich, so erfährst Du, warst Du es doch, der ihm das Geld aufgezwungen hat (hatte ich das?). Und damit nicht genug hast Du ihm sogar noch mehr gegeben, obwohl er es gar nicht brauchte (da hab ich wohl nicht aufgepasst). Überhaupt verstehe er die ganze Aufregung nicht (ja, wenn er es so sieht). Schließlich haben wir Deutschen den Griechen doch soviel zu verdanken (ach so?). Haben sie uns nicht die Demokratie gebracht. Die Astronomie. Die Philosophie. Und unser Volk hat dem seinen so vieles angetan, im zweiten Weltkrieg und so, und da stehen doch noch Reparationszahlungen aus. Nein! Wenn überhaupt, dann schuldest Du IHM Geld, das musst Du jetzt einfach mal begreifen (so habe ich das noch gar nicht gesehen). Du hast ihn am Ende mehr enttäuscht als all die anderen, er hatte gedacht Du seist anders (oh, verdammt). Nicht so ein dummer Nazi wie all die anderen, die sich freuen, wenn er als Grieche am Boden liegt (ich schäme mich so, Deutscher zu sein). Was Du auch noch nicht wusstest, ist, dass Du den bösen Blick hast und aus diesem Grund jetzt und unverzüglich gehen musst (…..).
Entweder Du darfst Dich dann noch freundlich selbst entfernen oder Du lernst die Besonderheit der Dich herausleitenden Hand und die des Dir hinterher gemurmelten Fluchs der Herrin des Hauses kennen.
In jedem Fall, so ist Dir jetzt klar, Dein Geld ist weg. Dein Freund ist weg. Du bist verflucht. Und DU bist schuld. Oh, so schuld. Aber sei froh. Sie verstaatlichen nur das Goetheinstitut in Athen. Das ist kein Verlust. Brauchen die Griechen deutsche Kultur? Nicht wirklich, oder?
Und dabei bist Du noch gut davon gekommen. Er hätte Dir doch Deine Ferienwohnung auch noch wegnehmen können: Du weisst doch: Nazis. Alles klar? Und es ist gut. Der Aeropag, ehrlich, den gibt es, erlaubt es, Deutsche zu enteignen. Siehst Du? Hat er Dich enteignet oder nur ein paar reiche Säcke? Na also. Und denk daran. Wir sind alle Griechen, irgendwie. Bernd Riexinger, Chef der Linkspartei, will dass Du Deinen Anteil an der 320-Milliarden-Reparations-Forderung der Griechen bezahlst. Vielleicht kannst Du deinen Privatkredit verrechnen? „Das verjährt nicht. Das ist ein Kredit, der zurückbezahlt werden muß“, sagt Riexinger. Na also. Habe ich Dir nicht gesagt: Eigentlich kommst Du noch gut davon, wirklich wahr.
Über all das denkst Du nach, während der neue beste russische Freund des Griechen freudestrahlend an Dir vorüberzieht, auf dem Weg zum Abendessen in familiärer Atmosphäre.