Vor dreißig Jahren wurde in Bonn der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag unterzeichnet. Bei seinem offiziellen Besuch in Warschau würdigte der deutsche Präsident Steinmeier das gegenseitige Verhältnis als eine mustergültige „Erfolgsgeschichte“. Auch Polens Staatschef Andrzej Duda betonte, der Vertrag sei ein „historischer Meilenstein“ in der Beziehungsgeschichte beider Länder. Nun sind solche Jubiläen gemeinhin von einem dicken diplomatischen Zuckerguss überzogen, der kaum Platz für eine kritische Betrachtung zulässt.
Derlei Jahrestage sollten ohnehin nicht nur als Anlass herhalten, ausschließlich die (überaus respektablen!) Verdienste jener Personen hervorzuheben, die sich seit Jahren um einen regsamen deutsch-polnischen Austausch bemühen. Man darf sie natürlich keinesfalls ignorieren. Und dennoch lohnt es vielleicht einmal nachzufragen, ob beispielsweise die polnische Minderheit in der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig über jenen Status verfügt, den die Deutschen in der Republik Polen bereits seit Jahren genießen. Ob die Polen sich an der Spree eines vergleichbar ausgeprägten institutionellen Zugangs zu ihrer Muttersprache erfreuen, wie es für die deutsche Minorität an der Weichsel inzwischen selbstverständlich ist. Selbstredend ist die deutsch-polnische Nachbarschaftsgeschichte gleichfalls voller „Lichtblicke“. Nur: Es könnten noch weitaus mehr werden, wenn wir bestimmte Interessengegensätze überwinden. Auf rein wirtschaftlicher Ebene könnte es indessen kaum besser laufen.
In deutschen Geschäften finden wir bereits eine Vielzahl von polnischen Produkte, die für ausgezeichnete Qualität stehen. In zahlreichen wirtschaftlichen Fragen könnten die beiden Nachbarländer gemeinsam in Europa eine Führungsrolle übernehmen. Es ist zu erwarten, dass Polen auch nach der Corona-Krise ein konjunktureller Stabilisator bleibt, ist es für deutsche Produzenten doch nachweislich zu einem der wichtigsten Glieder in ihrer globalen Produktionskette geworden. Die Analysen der Bundesbank lassen keinerlei Zweifel aufkommen: Im Jahr 2019 beliefen sich die deutschen Direktinvestitionen in Polen auf knapp 36 Milliarden Euro. Internationale Organisationen wie die Weltbank weisen auf eine spürbare Verbesserung des dortigen Geschäftsklimas hin. Als positiv werden die gute Ausbildung der Fachkräfte, die Verfügbarkeit von Zulieferern, die Produktivität und Motivation der Arbeitnehmer sowie die Zahlungsdisziplin genannt.
Bleibt folglich zu hoffen, dass nach den vielen Sonntagsreden und feierlichen Deklarationen ohne Verbindlichkeit künftig auch in weiteren Bereichen differenzierte Einstellungen und Problemlösungskonzepte entwickelt werden. Einige diplomatische Schwalben machen zwar noch keinen politischen Sommer, aber einiges scheint bereits auf den Weg gebracht worden zu sein. Andrzej Duda und Frank-Walter Steinmeier haben zugesichert, weiterhin die Unterstützung der jeweiligen Minderheiten voranzutreiben. So hat der Bundespräsident etwa versprochen, den Polnisch-Unterricht in Deutschland mit einem Sonderfonds zu fördern und eine Sanierung des „Polnischen Hauses“ in Bochum in Aussicht gestellt, das bereits in der Zwischenkriegszeit den in der Weimarer Republik lebenden Polen wichtige Dienste leistete. Ebenso das geplante Denkmal für die polnischen Opfer des Nationalsozialismus in Berlin sei in der Phase der Realisierung.
Wojciech Osiński ist Deutschland-Korrespondent des Polnischen Rundfunks