Tichys Einblick
Rechtsextremismus

Horst Seehofer präsentiert Verfassungsschutzbericht 2020 unter Wahlkampfbedingungen

Das vorrangige Augenmerk des Innenministers auf den Rechtsextremismus bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts könnte auch politisch motiviert sein.

Horst Seehofer, Bundesinnenminister, und Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2020 in der Bundespressekonferenz in Berlin, 15.06.2021

IMAGO / photothek

Bundesinnenminister Seehofer und Verfassungsschutzpräsident Haldenwang haben gestern den Verfassungsschutzbericht für 2020 vorgestellt. In den besonderen Fokus stellten beide Rechtsextremismus und Querdenkerbewegung. Die Welt  beispielsweise nennt dazu passend beide Gruppen in räumlicher Nähe und folgt damit quasi einer imaginären Regieanweisung aus dem Bundesinnenministerium.

Ganz sicher sind verfassungsfeindliche Bestrebungen von rechts in dieser angespannten politischen Lage gefährlich, aber zuletzt fiel der Bundesinnenminister Anfang Mai in einer Pressekonferenz damit auf , dass er anlässlich der Vorstellung der Bundeskriminalstatistik für 2020 den Anstieg linksextremistischer Gewalttaten verharmloste. So unterließ es Seehofer auf der Pressekonferenz zur Kriminalstatistik, die Medien explizit darauf hinzuweisen, dass es eine präzise Unterscheidung gibt von Straftaten an sich und Gewalttaten im Speziellen. So sind nämlich die mehr als fünfzig Prozent rechtsextremistische Straftaten laut Zeit zu 85 Prozent „sogenannte Äußerungsdelikte wie Propaganda, Volksverhetzung und Beleidigung.“

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Jetzt also ein paar Wochen nach der Präsentation der Kriminalstatistik der Verfassungsschutzbericht 2020. Die Verantwortung für Seehofer ist hier eine besonders große, denn Deutschland befindet sich mitten im Wahlkampf. So wurde eben wegen dieses Wahlkampfes zuletzt gerichtlich untersagt, die AfD offiziell unter Beobachtung zu stellen. Das Verwaltungsgericht Köln bescheinigte der VS-Behörde sogar explizit, nicht „hinreichend dafür Sorge getragen“ zu haben, dass keine Informationen nach außen dringen. Auch das liegt übrigens in der direkten Verantwortung der beiden Herren Seehofer und Haldenwang, die jetzt gemeinsam den Verfassungsschutzbericht vorstellten. Dieser für die Verfasstheit des Staates insgesamt überaus wichtige Bericht allerdings sollte unter keinen Umständen für den Wahlkampf instrumentalisiert werden.

Möglicherweise sehr zum Leidwesen des Landes machten Seehofer/Haldenwang auf ihrer Pressekonferenz aber genau das: Sie berichteten tendenziös.

Der Innenminister mag auf Basis der Ermittlungen der Behörde noch zu Recht eine „besondere Sicherheitslage“ attestieren, wenn er aber die Corona-Proteste dafür verantwortlich macht, einen großen Teil zum Rechtsextremismus und Antisemitismus beigetragen zu haben, wird er unpräzise. Zunächst einmal waren es die Pandemie-Maßnahmen der Bundesregierung, die die parlamentarische und auch eine außerparlamentarische Opposition auf den Plan gerufen haben. Vollkommen unabhängig von einem möglicherweise besorgniserregenden Stand der Ermittlungen der Verfassungsschützer in diese Richtung muss rückblickend attestiert werden, dass diese Proteste vielfach von der Bundesregierung und den Medien auch ohne genaue Erkenntnisse diffamiert wurden.

Antisemitismus im Zusammenhang mit dem Protest gegen die Pandemie-Maßnahmen zu benennen, ist einen Umweg angesichts der massiven antisemitischen Ausfälle auf Demonstrationen in Deutschland von vorwiegend muslimisch geprägten Menschen im Zusammenhang mit den Angriffen auf Israel durch die Hamas.

Verfassungsschutz-Chef Haldenwang meint dann sogar, den Vortrag von Seehofer mit so etwas wie einem Späßchen ergänzen zu müssen: „Extremisten und Terroristen gehen nicht in den Lockdown.“ Demgegenüber verkündet Horst Seehofer dann: „Wir haben einen Alarmzustand.“

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Horst Seehofer verharmlost den Anstieg linksextremistischer Gewalttaten  
Und damit die Journalisten auch wissen, wo die Reise in den letzten Wahlkampfmonaten hingegen soll, gibt Seehofer auf der Pressekonferenz weitere Schreibhinweise, die später von der Süddeutschen Zeitung auch brav aufgenommen werden: „Rechtsextremisten hätten sich darum bemüht, über Proteste gegen Corona-Schutzmaßnahmen Anschluss an das bürgerliche Spektrum zu finden. Sie hätten dem Protest ihren Stempel aufdrücken können, „obwohl sie von der Personenzahl deutlich in der Minderheit waren“.“ Ein interessantes Detail. Seehofer bestätigt also, dass die monatelange polit-mediale Markierung von Bewegungen gegen die Pandemie-Maßnahmen also rückblickend durchaus den Charakter einer Diffamierung der bürgerlichen Mitte hatte.

Das rechtsextremistische Spektrum umfasse 33.300 Personen heißt es im Bericht. Diese Zahl sei um 3,8 Prozent gewachsen. Und von diesen wiederum würden 13.300 als potenziell gewaltorientiert eingeschätzt. Rechtsextremistische Straftaten seien um etwa fünf Prozent gestiegen, rechtsextremistischen Gewalttaten um etwa zehn Prozent.

Vier Monate vor der kommenden Bundestagswahl tauchen nun auch Personen namentlich im Verfassungsschutzbericht auf, die auch schon vor Jahren nichts wesentlich anderes publizierten als heute. Das gilt etwa für Götz Kubitschek und seinen Verlag in Schnellroda. Noch 2016 pilgerten Journalisten verschiedener Medien zu dem bekannten Neurechten und berichteten von dessen selbstgemachte Ziegenkäse. Heute würden Verlinkungen solcher romantisierten Berichte nicht einmal mehr in den sozialen Medien Bestand haben – sie wären sogar Löschgrund.

Dahinter wird der Verdacht für ein Motiv der politisierten Verfassungsberichte deutlich: Wer, wie die Querdenker, unter Beobachtung steht, wird auf kurz oder lang automatisch sein Forum in den sozialen Netzwerken und also seine Leser verlieren. Kein Wunder, dass beispielsweise Michael Ballweg, der Stuttgarter Gründer der Querdenker, Journalisten explizit bittet, ihn über Telegram zu kontaktieren. Aber auch damit soll jetzt Schluss sein, wenn es nach der Bundesjustizministerin geht.

Seehofer sagte, die Pandemie hätte rechtsextremistische Bestrebungen „sehr geprägt“. Das mag ja sein, hier mögen aber auch die Zuweisungen als „rechtsextrem“ oder „des Rechtsextremismus verdächtig“ als selbsterfüllende Prophezeiungen ein Übriges erledigt haben.

Immerhin eines kann man beruhigt festhalten: Der Einfluss der Umweltaktivistin Luisa Neubauer ist doch weniger groß als von vielen befürchtet, denn ihr versuchter Rufmord am Bundestagskandidaten Hans-Georg Maassen führte bei Seehofer und Haldenwang nicht dazu, auch noch den Vorgänger im Amt des Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes auf den Index zu setzen.

Wie sieht es nun mit dem Linksextremismus aus? Da die Kriminalitätsstatistik Extremismustendenzen für 2020 klar ausweist, müssten diese Daten sich inklusive des massiven Anstiegs linksextremer Gewalt im Verfassungsschutzbericht widerspiegeln, also auch auf der Bundespressekonferenz. Dort allerdings stellt Seehofer wie berichtet den Rechtsextremismus ganz nach vorn.

Macht aber nichts, hilfreich ist hier ausgerechnet die öffentlich-rechtliche Sendung Frontal 21, welche die Aussagen Seehofers neu sortiert und den Fokus auf eine Zunahme des Linksextremismus richtet. In einer Twitter-Meldung zum Verfassungsschutzbericht 2020 heißt es da nämlich: „Entwicklung beim Linksextremismus laut Bundesinnenminister Seehofer besorgniserregend. Zahl linksextremer Gewalttaten um 34 % gestiegen. Frontal 21 über die zunehmende Radikalisierung der Szene: https://zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/brandanschlaege-und-morddrohungen-linksextremismus-in-deutschland-100.html“ Zitiert wird von Frontal 21 dann auch nicht Haldenwang, sondern dessen Hamburger Kollege Torsten Voß, der zum Linksextremismus gesagt hatte: „Wir beobachten auch, dass diese Taten professioneller werden, dass sie persönlicher werden und dass sie auch gewalttätiger werden.“

Was hier zuletzt noch erwähnt sein soll: Die Aktivitäten einer radikalen Antifa zur See vor der libyschen Küste beispielsweise finden im Verfassungsbericht überhaupt nicht statt. Dabei dürfte der Schaden, den diese Klientel mit der Aufnahme illegaler Migranten auf dem Mittelmeer anrichtet, massiv sein. Aber auch dieses Fehlen ist eben womöglich politisch gewollt im Sog des Wahlkampfgeschehens.

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Übrigens ausgerechnet der linkspopulistische Tagesspiegel fragt sich schon im Herbst 2018: „Warum wir linke Gewalt milder bewerten als rechte Gewalt“ und berichtete passend dazu über das Liedgut einer deutschen Punkband:
„Bei der Punk-Band Wizo etwa lautet der Refrain des „R.A.F.“-Songtextes so: „Rote Armee Fraktion, ihr ward ein geiler Haufen! Rote Armee Fraktion, mit euch ist was gelaufen! Rote Armee Fraktion, ich fand euch immer spitze – leider war ich noch zu klein, um bereits bei euch dabei zu sein. Doch mein Herz schlug damals schon für die Rote Armee Fraktion.““
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