Die Stunden des NATO-Gipfels in Brüssel müssen für Angela Merkel noch nerviger gewesen sein als der G7-Gipfel in Cornwall am Tag zuvor. Ohne zu zögern kann man sagen, dass sich Merkel zwischen all den alten weißen Männern mit ihrem eigenen Weltbild einsam und allein gefühlt haben muss. So unterschiedlich die Herren und ihre Interessen auch sein mögen, eine Gemeinsamkeit verbindet sie: die tiefe Identifikation mit der freien und individualisierten Art und Weise, des auf den Werten der Aufklärung basierenden Lebens im – im weiteren Sinne – Westen. Angela Merkel ist da nie angekommen.
Die alte Bundesrepublik ist bis heute nicht das Land, das ihrer Gesellschaftsvorstellung entspricht. Das macht es für sie auch so schwer, in Russland oder China wirkliche Gefahren zu erkennen; vielleicht hat sie die Vorstellung von der Entwicklung einer anderen, besseren Gesellschaft ohne ideologische Gegensätze in einem harmonischen, kollektivistischen Miteinander – bei dem man auch mal im Namen des großen Ganzen vor gewissen Dingen die Augen verschließt.
Unentwegt, so Mitglieder der amerikanischen Delegation, wiederholte die deutsche Kanzlerin ihr Mantra von der Notwendigkeit, die Gleichwertigkeit von Abwehr und Dialog in die NATO-30-Agenda aufzunehmen. An und für sich ist das eine Selbstverständlichkeit. Selbst in den düstersten Momenten der Konflikte zwischen dem Sowjetimperium und den westlichen Demokratien galt der Grundsatz des „Harmel“-Berichts zur NATO-Strategie der 70er und 80er Jahre: Die eine Hand ist immer weit ausgestreckt, aber nur dann, wenn die andere am Griff der Pistole in der Hosentasche ist. Alte Hasen im Dealen mit den Russen, zu denen auch Joe Biden gehört, mögen an diesen oft gebrauchten Nato-Spruch gedacht haben. Ausgesprochen hat ihn gestern auch im kleinen Kreis niemand. Es ziemt sich einfach nicht, die Schlachten von Gestern mit denen von Heute zu vergleichen.
Eines steht fest: Der Gipfel hat den amerikanischen Präsidenten für sein Treffen mit Putin am Mittwoch in Genf gestärkt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die deutsche Regierungschefin dazu das Geringste beigetragen hat. Oder wie formulierte es doch so treffend der amerikanische Deutschland-Kenner und Ex-US-Botschafter in Berlin, John Kornblum, als er erst jüngst in aller Nüchternheit und Kühle feststellte: „Das deutsche Problem ist wieder da.“