Tichys Einblick
Naftali Bennet als neuer MP Israels vereidigt

Israel: Ein historischer Wechsel – dessen Haltbarkeit fraglich ist

Benyamin Netanyahu hinterlässt seinem vorläufigen Nachfolger Naftali Bennet ein geordnetes Land, soweit man in der Pandemie, nach einem 11-tägigen Krieg mit religiös-sozial motivierten Unruhen im Inneren von Ordnung sprechen kann. Doch die neue Regierung ist innerlich so unausgeglichen, wie eine Regierung nur sein.

Naftali Bennet, Israels neuer Premierminister

IMAGO / ZUMA Wire

Nichts ist bekanntlich beständiger als der (Generationen-)Wechsel, der jetzt mit der Vereidigung des 49jährigen Naftali Bennett als Israels neuer Ministerpräsident stattgefunden hat. Der 71jährige Benyamin „Bibi“ Netanyahu, der 12 Jahre lang in „l’etat c’est moi“-Manier das Land durchaus erfolgreich geführt hat, muss und will gezwungenermaßen auf die harte Bank der Opposition.

Die zwei vordergründigen Fragen: Hält diese Koalition aus acht Parteien, die gegensätzlicher nicht sein könnten? Gewöhnt sich „Sonnengott Bibi“ auf seine alten Tage an die Rolle eines Oppositionsführers in einer Demokratie, die wenig Privilegien und viel Kärrnerarbeit verspricht? Beides steht in den Sternen, die im Sommerhimmel über Israel strahlend leuchten, aber viel Deutungsspielraum zulassen:

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Kann das gutgehen, wenn hartnäckige Gegner und träumende Befürworter einer Zwei-Staaten-Lösung in einer Regierung sitzen? Überlebt ein Kabinett Bennett länger als ein oder zwei Quartale, das von einer arabisch-muslimischen Partei mitgetragen wird, deren Vorsitzender Mansour Abbas wenige Tage vor der Regierungsbildung dem jordanischen Sender Al-Mamlaka unverblümt sagt: „Ich und meine Leute sind keine Israeli, sondern vielmehr Teil einer ‘Palestinian Arab public`, die Bürger des Staates Israel sind und Teil des palästinensischen Volkes“. Nicht zu vergessen: Der Schöpfer dieses Zitats gilt in und außerhalb Israels als der gemäßigte Führer der beiden arabisch-muslimischen Parteien, die über 10 der 120 Sitze im israelischen Parlament verfügen.

Die ratio-diktierte Antwort lautet: nein. Aber wie definiert sich im Nahen Osten Ratio? Dafür gibt es eine oft erzählte Allegorie: Ein Skorpion, des Schwimmens unkundig, bittet eine Schildkröte am Ufer des Jordan, ihn auf ihrem gepanzerten Rücken ans andere Ufer zu bringen. Die Schildkröte zweifelt und will vorher erkunden, ob der Skorpion unterwegs nicht zusticht. Der Skorpion versichert, er würde das niemals tun, denn dann würden beide im Fluss ertrinken. Die gutgläubige Schildkröte lässt sich auf den Deal ein. Mitten im Fluß sticht der Skorpion zu. Mit letzter Kraft will die Schildkröte noch wissen: warum? Bevor beide untergehen, hört sie den Skorpion hämisch lachend: Welcome to the Middle East.

„Cherchez la femme“ ist auch in Israel eine Vorgabe auf der Suche nach politischen Wahrheiten. Der neue MP war einst Stabschef seines Vorgängers, hat 2009 Netanyahus Wahlkampf erfolgreich geleitet. Beide Familien waren befreundet. Aber dann wurde der einst Hilfreiche zu selbstbewußt und eigenständig. Das stieß auch bei Sara Netanyahu, die in den Boulevard-Cafés gerne liebevoll „Sarale“ genannt wird, auf offene Ablehnung. Einige (viele) bekommen beim Aussprechen des Kosenamens die Zähne nicht auseinander.

Naftali Bennett fiel jedenfalls in das schwarze Loch der Antipathie, in dem bereits Heerscharen politischer Netanyahu-Komparsen verschwunden sind. Und von der Ehefrau des ausscheidenden MP muss man auch wissen, was im Umfeld der Netanyahus ein weit verbreitetes Bonmot ist: Was ist der Unterschied zwischen Gott und Sarale? Gott vergibt, Sarale nie.

Bennett blieb deshalb nichts anderes übrig, als selbst den Hut in den Ring zu werfen. Über das nötige Kleingeld verfügt der erfolgreiche Start-up-Verkäufer und die Geduld ans Ziel zu kommen, eignete er sich auch mit Hilfe weitsichtiger Berater an. Politisch sind Alt- und Neu-PM kaum zu unterscheiden. Bennett trägt zwar eine gestrickte Kippa, was ihn als National-Religiösen ausweist, für den eine sichere Zukunft des Landes und der Nation stets mit Hilfe Gottes höchstes Gut ist. Alt- und Neu-PM sind Hardliner, wenn es um die Zukunft Judäas und Samarias geht, das Gebiet, das weithin Westbank genannt und als „israelisch besetzt“ gebrandmarkt wird. Jedwede Aufgabe des biblischen Vaterlandes ist mit Bennett nicht vorstellbar. Beide sehen im Iran die größte Gefahr für Israel und fühlen sich an der Seite der USA außenpolitisch noch immer gut aufgehoben, pflegen aber auch gute Beziehungen zu China, das beim Ausbau der Infrastruktur in Israel eine wachsende, milliardenschwere, langfristige Bedeutung spielt.

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Hält die links und rechts ausufernde Koalition mit einer Ein-Stimmen-Mehrheit bis zum nächsten Pessach-Fest (Auszug aus Ägypten) im Frühjahr 2022, dürfte Netanyahus Auszug aus der Balfour-Street (Regierungssitz in Jerusalem) endgültig sein. Bis dahin werden die potentiellen Netanyahu-Nachfolger in der Likud-Partei nicht nur mit den Füßen scharren, sondern den verdienten Altvorderen vom Thron schubsen. Das Gerichtsverfahren wegen Korruption könnte den Abgang Netanyahus beschleunigen. Politik kennt Danksagungen, aber selten Dankbarkeit.

Netanyahu hinterlässt seinem vorläufigen Nachfolger ein geordnetes Land, soweit man in Pandemiezeiten, nach einem 11-tägigen Krieg mit religiös-sozial motivierten Unruhen im Inneren von Ordnung sprechen kann. Jedenfalls hat der Weltmarkt der High-Tech-Investoren von New York bis Peking in Israels Innovationskraft großes Vertrauen. Denn in den ersten fünf Monaten des laufenden Jahres flossen 10,5 Milliarden US-Dollar in Start-ups, ein Zuwachs von 137 Prozent im Vergleich zu 2020 entspricht (Quelle: SNC-NGO Israel).

Investitionsgeld ist bekanntlich scheu wie ein Reh. Die Investoren glauben mehr an eine stabil-erfolgreiche Zukunft Israels als viele der 9,3 Millionen Bürger des Landes. Das mit 27 Ministern besetzte Bennett-Kabinett – immerhin rund 20 Prozent weniger als die Vorgänger-Regierung – wird das Vertrauen der internationalen Finanzwelt unter Beweis stellen müssen.

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