Der griechische Migrationsminister Notis Mitarachi hat kürzlich vorgeschlagen, Zuwanderern generell eine höhere Mobilität innerhalb der EU zuzubilligen – ihnen also den Weg nach Deutschland auch offiziell zu ebnen, wo ja sowieso alle hinwollen und die meisten auch hinkommen. Er tat das in einer Antwort auf Horst Seehofer, der in einem Brandbrief an die EU-Kommission anmahnte, dafür zu sorgen, dass Griechenland Minimalstandards für die Versorgung von Migranten einhält. TE berichtete.
Ein deutsches Gericht hatte EU-Mitgliedsstaat Griechenland jüngst zum nicht sicheren Herkunftsland erklärt, weil dort keine menschenwürdige Versorgung gewährleistet sei, während die deutsche Innenministerkonferenz noch darüber stritt, ob Syrien ein sicheres wäre. Nun ist Griechenland die eine Sache.
Aber was ist mit den weiteren südlichen EU-Mitgliedsstaaten mit EU-Außengrenzen und einem Problem mit illegaler Einwanderung?
Schauen wir nach Italien. Dessen Innenministerin Luciana Lamorgese klagte vergangenen Dienstag auf dem Treffen der EU-Innenminister die Solidarität der EU-Partner ein. Allerdings sehr zum Unwillen dieser Partner, denn, wie die FAZ berichtete, verwiesen Deutschland, Frankreich und andere Staaten auf die nackten Zahlen, nach denen sie viel mehr Migranten aufnehmen würden als Italien.
Der italienische Innenministerin Luciana Lamorgese hatte schon im Mai Alarm geschlagen, es sei beim Thema Migration dringend notwendig, „strukturelle Eingriffe in das Verwaltungssystem innerhalb der Europäischen Union vorzunehmen.“
Ein Großteil der Migranten kommt aber nicht illegal nach Italien, um dort zu verbleiben. Berlin und Paris beschweren sich gemeinsam, dass sie viel mehr Migranten aufnehmen würden als Italien. Auf Italien würden nur fünf Prozent der Erstanträge der Migranten fallen.
Selbstredend kann Italien mit diesem Ist-Zustand nicht unzufrieden sein, offensichtlich befürchtet man sogar, dass der Ausbau der Europäischen Asylbehörde EASO dieses Schlupfloch schließen und Italien eine feste Zahl der Migranten zugewiesen bekäme. Die Bundesregierung sei, berichtet die FAZ, verärgert darüber, „dass Italien kleine Reformen blockiert, weil es nur über ein Gesamtpaket abstimmen will.“
Italienischen Verrenkungen in der europäischen Migrationspolitik sind übrigens ein altes Phänomen: So fiel Italien schon 2014 damit auf, illegale Migranten einfach nach Deutschland weitergeleitet zu haben. Der bayrische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) übte damals wegen stetig steigender Flüchtlingszahlen scharfe Kritik an der italienischen Regierung: „Es ist Fakt, dass Italien absichtlich in vielen Fällen weder Personaldaten noch Fingerabdrücke aufnimmt, damit die Flüchtlinge in einem anderen Land Asyl beantragen können und nicht wieder nach Italien zurückkehren.“
Hermann vor sieben Jahren weiter: „Es ist schon dreist vom italienischen Innenminister Alfano, einerseits die hohen Belastungen durch die über das Mittelmeer kommenden Flüchtlinge zu beklagen, andererseits die europäischen Asylbestimmungen zu missachten. Die sehen vor, dass das Land der Ersteinreise für die Durchführung der Asylverfahren zuständig ist.“
Dafür erhalte das Land finanzielle Hilfen der EU, so Hermann 2014 weiter. „Auch die anderen EU-Staaten können deshalb von Italien eine entsprechende Solidarität fordern, nämlich die Einhaltung des gemeinsamen europäischen Asylsystems, auf das sich die EU verständigt hat. Dies gilt umso mehr, da angesichts der Krise im Nahen Osten und der brutalen Gewalt der Isis im Irak der Flüchtlingsdruck auf Europa weiter steigen wird.“
Was hat sich seitdem getan? Immerhin liegt dazwischen eine gewaltige großteils illegale Massenzuwanderung vornehmlich nach Deutschland. Mit Blick auf die Abfahrthäfen und Strände in Libyen hat sich dahingehend etwas verändert, dass auch hier mittlerweile die Türkei ein wichtiger Player geworden ist. Der Einfluss Erdogans wird dort immer größer.
Und damit diese Gemengelage noch viel komplizierter und die Blockade der Italiener weiter gehen kann, stärken deutsche Gerichte mittlerweile sogar noch die Rechte der Illegalen, die einen Zweitantrag in Deutschland gestellt haben, obwohl Italien zuständig ist, wie die Zeit Anfang Mai berichtete: Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) beispielsweise sprach einer in Italien als Asylbewerberin registrierten Nigerianerin ungekürzte Asylleistungen zu, weil die Frau sich „in Italien für ihren Lebensunterhalt prostituieren musste oder bettelte (AZ: L 8 AY 33/16).“
Hier wäre es dann interessant zu erfahren, ob das Gericht auch dafür Sorge getragen hat, dass die Frau in Deutschland nicht erneut unter dem Druck der nigerianischen Mafia lediglich ihren Zwangsprostitutionsarbeitsplatz verlagert hat. Denn dieser Weg von Italien nach Deutschland ist feste Route dieses Mafia-Geschäftes.
Wieder die Zeit: „Das Gericht entschied, dass bei materieller Not staatliche Leistungen zwar ein Motiv der Einreise sein könnten, dies aber nicht immer zu einer Leistungseinschränkung führen müsse.“
Und die EU-Kommission?
Man ahnt schon, wo die Reise hingeht, wenn auch die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson kritisiert, dass die EU-Strategie aktuell darin bestehe, die Menschen eher daran zu hindern, ihre Heimat- oder Ausreiseländer zu verlassen, anstatt, wie sie bemängelt, weitere Rettungsmissionen auf See zu organisieren: „Wir müssen die Lebensbedingungen und den Schutz der Menschen verbessern, die sich zum Beispiel in Libyen aufhalten; wir müssen ebenso gegen Schlepper kämpfen und weiterhin die freiwillige Rückkehr in die Herkunftsländer unterstützen.“
Die freiwillige Rückkehr wird von der EU-Kommissarin wohl eher Alibi-mäßig angehängt, denn was Johansson fordert, wäre eher die EU-Durchführung der UN-Flucht-und Migrantionspläne, also eine noch einmal forcierte Massenzuwanderung.
Die EU hat die Seenotrettungen der NGOs mit Anlandung in Italien mittlerweile sogar zum EU-Sonderfall erklärt: Die EU-Kommission erklärt sich für die Umsiedlung dieser per NGO-Schiffe auf See aufgenommenen Menschen als zuständig. Das heißt, die NGOs haben hier einen Teilerfolg erzielt.
Für alle anderen illegalen Migranten, die selbstständig in Italien von Bord gehen, ist offiziell weiter Italien zuständig und müsste entweder abschieben oder einen Asylantrag aufnehmen. Allerdings ist für viele dieser Menschen Italien gar nicht das Wunschzielland.
Die steigende Zahl illegaler Migranten über das Mittelmeer nach Italien ist keine Befürchtung mehr, sondern eine Realität, wie Frontex den EU-Innenministern kürzlich berichtete: Von illegaler Migration betroffen sei zunehmend die Mittelmeer-Route von Nordafrika nach Italien bzw. die westafrikanische Route zu den Kanarischen Inseln. Auf beiden Strecken hätten sich die Zahlen etwa verdoppelt, meldet Frontex.
Nochmal zurück zum eingangs erwähnten griechischen Migrationsminister Notis Mitarachi, der in einem fast süffisanten Ton angeregt hatte, einfach die Mobilität der Migranten in Europa auszuweiten. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die italienischen Kollegen hier einfädeln. Nachdem die Corona-Wiederaufbaufonds beschlossene Sache sind, hat Deutschland auch kein finanzielles Druckmittel mehr gegen die südlichen EU-Staaten.
Dann könnte wieder aktuell werden, was die Grünen-Politikerin Katrin Goering-Eckardt auf dem Höhepunkt der Migrationskrise 2015 formulierte: „Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich darauf!“
Der neue Lebensgefährte der Grünen ist übrigens Thies Gundlach, einer der führenden Köpfe der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD) und gleichzeitig Vorsitzender des Vereins „United4Rescue – Gemeinsam Retten“, der unter anderem mit zwei Schiffen zur NGO-Flotte vor der libyschen Küste beigetragen bzw. diese finanziert hat. Auf einem davon fuhr noch vor kurzem ein Hamburger Kapitän, welcher der Antifa zuzurechnen ist. Aktuell befinden sich über vierhundert Migranten an Bord, die in Italien an Land gehen werden.
Aber werden sie in Italien bleiben wollen?