Die Türkei soll die vor einem Jahr vollzogene Umwandlung der Hagia Sophia von Istanbul in eine Moschee „überdenken und rückgängig machen“. Das fordert das Parlament der EU jetzt in einer betont kritischen Entschließung zu den europäisch-türkischen Beziehungen. Die Umnutzung der Hagia Sophia verstoße gegen das UNESCO-Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, darum müsse die UNESCO „geeignete Maßnahmen zum Schutz dieser Welterbestätte treffen“. Die Hagia Sophia müsse allen Religionen offen stehen, heißt es in dem Text, der ebenso die Umwandlung der Istanbuler Chora-Kirche in eine Moschee rügt.
Was das EU-Parlament von der Türkei fordert
Das Parlament der EU fordert die türkischen Behörden auf, „positive und wirksame Reformen im Bereich der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit voranzutreiben, indem den Religionsgemeinschaften ermöglicht wird, Rechtspersönlichkeit zu erlangen“. Ausdrücklich bedauert das EU-Parlament die Maßnahmen türkischer Behörden und Gerichte gegen die Mönche von Mor Gabriel und andere christliche Klöster im Südosten der Türkei.
In seiner Mahnung zum Schutz der Rechte von Minderheiten in der Türkei erwähnt der Text ausdrücklich „türkische Bürger griechischer und armenischer Herkunft und religiöse Minderheiten wie Christen“. Mit Blick auf die Armenier – die heute die größte christliche Minderheit in der Türkei bilden – erinnert das EU-Parlament an seine bereits 2015 erhobene Forderung nach Anerkennung des Genozids von 1915 und „fordert die Türkei erneut auf, den Völkermord an den Armeniern anzuerkennen und damit den Weg für eine echte Versöhnung zwischen dem türkischen und dem armenischen Volk zu ebnen“.
Besorgt über Religions- und Glaubensfreiheit
Die Türkei solle von jeglicher anti-armenischer Propaganda und Hetze absehen und ihren Verpflichtungen zum Schutz des armenischen Erbes nachkommen.
Besorgt äußern sich die EU-Abgeordneten nicht nur über die Lage der Minderheiten, insbesondere über die „Kurdenfrage“, sondern auch über die Religions- und Glaubensfreiheit in der Türkei. Ebenso „über die wachsende Schlagkraft des religiösen Konservatismus in der Politik“ Ankaras und über „die wachsende Rolle und die Ressourcen des Präsidiums für Religionsangelegenheiten (Diyanet) in allen Bereichen des öffentlichen Lebens in der Türkei, einschließlich der Bildung, und auch im Ausland, wie etwa eine spürbare Präsenz in Europa“. Detailliert listet die vom EU-Parlament verabschiedete Entschließung Übergriffe von Behörden und Gerichten gegen Minderheitenvertreter, Oppositionelle und Journalisten auf.
Man rechnet zusammen: Rückschritte bei Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten, falsche institutionelle Reformen, und eine „konfrontative und feindselige Außenpolitik, einschließlich gegenüber der EU und ihren Mitgliedstaaten, insbesondere Griechenland und Zypern“. Das Ergebnis der Addition ist, dass das EU-Parlament „nachdrücklich darauf besteht“, dass die EU-Kommission „die Empfehlung aussprechen sollte, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei formell auszusetzen“. Beschließen können das nur die Regierungschefs der 27 EU-Staaten. Sie haben die Verhandlungen einst auch in Gang gebracht.
Dieser Beitrag von Stephan Baier erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken Autor und Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.