Es passiert nicht jeden Tag, dass das höchste deutsche Finanzgericht, der Bundesfinanzhof (BFH), zwar zwei konkrete Klagen zur Rentenbesteuerung ablehnt, aber gleichzeitig dem Gesetzgeber recht detailliert ins Stammbuch schreibt, dass er die drohende Doppelbesteuerung von immer mehr Rentenbeziehern als reale Gefahr anerkennt. Allerdings ist der BFH kein Verfassungsgericht, das eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Besteuerung aller Rentner fällt. Deshalb sind seine heutigen Leitsätze kein zwingendes juristisches Handlungsgebot für den Bundesgesetzgeber. Allerdings steigt der politische Reformdruck auf eine Änderung der heutigen Steuerregeln für die Rentenbesteuerung massiv. Doch die Novellierung wird erst in der neuen Legislaturperiode auf die Tagesordnung kommen. Das heiße und teure Eisen packt diese Bundesregierung in den verbleibenden vier Monaten nicht mehr an.
Unter dem Titel „Der große Rentenraub“ schilderte Tichys Einblick in der Printausgabe 4/2021 ausführlich (Renten-Doppelbesteuerung: Der große Rentenraub) die Hintergründe einer Rentenbesteuerung, die geradewegs das bedeutet, was laut einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2002 unbedingt zu verhindern ist: „In jedem Fall sind die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird.“
Für diesen Abstimmungsprozess des Gesetzgebers hat der Bundesfinanzhof in seinem Leitsatz 2 heute eine recht detaillierte Vorgabe gemacht, die der Haltung des BMF diametral widerspricht: „Weitere Beträge, die im Rahmen der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens des Rentners abziehbar sind oder steuerfrei gestellt werden, sind nicht einzubeziehen (z.B. Grundfreibetrag, Sonderausgabenabzug für die Beiträge zur Kranken- und Pfle-geversicherung, Beitragsanteile des Rentenversicherungsträgers zur Krankenversicherung der Rentner, Werbungskosten-Pauschbetrag, Sonderausgaben-Pauschbetrag).“ Das BMF hatte bisher schlitzohrig neben dem je nach Renteneintrittsjahr feststehenden Versorgungsfreibetrag auch alle diese Freibeträge bemüht, um nachzuweisen, dass doch überhaupt keine Doppelbesteuerung der Rentner vorliege.
Doch diesem Taschenspielertrick des BMF, das damit auf dem Papier den Nachweis führen wollte, dass sich die Steuerfreiheit in der Einzahlungs- und Auszahlungsphase für die Rentner verfassungsgemäß doch die Waage halte, sind die Richter am Bundesfinanzhof nicht aufgesessen. Allein der Grundfreibetrag schlägt derzeit mit 9477 Euro pro Jahr gewaltig zu Buche, was sich im Verlauf einer Rentenbezugsdauer von zwanzig Jahren und bei einer unterstellten zweiprozentigen jährlichen Erhöhung des Grundfreibetrags auf fast 280.000 Euro addieren würde. Mit dieser Milchbubenrechnung des BMF wäre die Doppelbesteuerung so gut wie aller Rentner durch den Fiskus gerechtfertigt.
Analog argumentieren die Richter auch in Bezug auf den Sonderausgabenabzug der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der Rentner, der ebenfalls nicht „der Abfederung eines doppelten Steuerzugriffs, sondern der verfassungsrechtlich gebotenen einkommensteuerrechtlichen Verschonung des Existenzminimums“ dient.
Die heutige Entscheidung aus München ist also zumindest ein kleiner Etappensieg für die Rentner, die sich über eine zu hohe Besteuerung sorgen. Dass der Gesetzgeber bei der Reform der Rentenbesteuerung in der kommenden Legislaturperiode großzügig vorgehen wird, ist eher nicht zu erwarten. Angesichts der gewaltigen Haushaltslöcher wird es nur kleine Besteuerungs-Zugeständnisse geben, egal wer auch immer regiert. Denn der Fiskus hat vor allem ein einnehmendes Wesen.