Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 22-2021

Bundesfinanzhof erkennt Gefahr der Doppelbesteuerung von Renten

Die obersten Finanzrichter zerpflücken die Argumentation des Bundesfinanzministeriums und sehen künftig immer mehr Rentner in der Doppelbesteuerungsfalle.

IMAGO / Sven Simon

Es passiert nicht jeden Tag, dass das höchste deutsche Finanzgericht, der Bundesfinanzhof (BFH), zwar zwei konkrete Klagen zur Rentenbesteuerung ablehnt, aber gleichzeitig dem Gesetzgeber recht detailliert ins Stammbuch schreibt, dass er die drohende Doppelbesteuerung von immer mehr Rentenbeziehern als reale Gefahr anerkennt. Allerdings ist der BFH kein Verfassungsgericht, das eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Besteuerung aller Rentner fällt. Deshalb sind seine heutigen Leitsätze kein zwingendes juristisches Handlungsgebot für den Bundesgesetzgeber. Allerdings steigt der politische Reformdruck auf eine Änderung der heutigen Steuerregeln für die Rentenbesteuerung massiv. Doch die Novellierung wird erst in der neuen Legislaturperiode auf die Tagesordnung kommen. Das heiße und teure Eisen packt diese Bundesregierung in den verbleibenden vier Monaten nicht mehr an.

Renten-Doppelbesteuerung:
Der große Rentenraub
Gestern entschied der BFH über zwei konkrete Musterklagen, die er jeweils ablehnte. Doch vor allem in der Entscheidung mit dem Aktenzeichen XR 33/19 (Ermittlung der Höhe des Betrags einer etwaigen doppelten Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen | Bundesfinanzhof) mit dem Titel „Ermittlung der Höhe des Betrags einer etwaigen doppelten Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen“ zerpflücken die Richter am Münchner BFH eine gängige Argumentation des Bundesfinanzministeriums, mit der das Scholz-Ministerium die Gefahr einer Renten-Doppelbesteuerung bisher grundsätzlich und impertinent verneinte. Nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft(IW) geht es bei der Renten-Doppelbesteuerung um hohe Milliardensummen, die Millionen von heutigen, vor allem aber künftigen Rentnerinnen und Rentnern zu Unrecht vom Staat abgeknüpft werden. Auf bis zu 90 Milliarden Euro taxiert das IW das unrechtmäßige Abkassieren des Fiskus in den Jahren 2020 bis 2040.

Unter dem Titel „Der große Rentenraub“ schilderte Tichys Einblick in der Printausgabe 4/2021 ausführlich (Renten-Doppelbesteuerung: Der große Rentenraub) die Hintergründe einer Rentenbesteuerung, die geradewegs das bedeutet, was laut einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2002 unbedingt zu verhindern ist: „In jedem Fall sind die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird.“

Für diesen Abstimmungsprozess des Gesetzgebers hat der Bundesfinanzhof in seinem Leitsatz 2 heute eine recht detaillierte Vorgabe gemacht, die der Haltung des BMF diametral widerspricht: „Weitere Beträge, die im Rahmen der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens des Rentners abziehbar sind oder steuerfrei gestellt werden, sind nicht einzubeziehen (z.B. Grundfreibetrag, Sonderausgabenabzug für die Beiträge zur Kranken- und Pfle-geversicherung, Beitragsanteile des Rentenversicherungsträgers zur Krankenversicherung der Rentner, Werbungskosten-Pauschbetrag, Sonderausgaben-Pauschbetrag).“ Das BMF hatte bisher schlitzohrig neben dem je nach Renteneintrittsjahr feststehenden Versorgungsfreibetrag auch alle diese Freibeträge bemüht, um nachzuweisen, dass doch überhaupt keine Doppelbesteuerung der Rentner vorliege.

Doch diesem Taschenspielertrick des BMF, das damit auf dem Papier den Nachweis führen wollte, dass sich die Steuerfreiheit in der Einzahlungs- und Auszahlungsphase für die Rentner verfassungsgemäß doch die Waage halte, sind die Richter am Bundesfinanzhof nicht aufgesessen. Allein der Grundfreibetrag schlägt derzeit mit 9477 Euro pro Jahr gewaltig zu Buche, was sich im Verlauf einer Rentenbezugsdauer von zwanzig Jahren und bei einer unterstellten zweiprozentigen jährlichen Erhöhung des Grundfreibetrags auf fast 280.000 Euro addieren würde. Mit dieser Milchbubenrechnung des BMF wäre die Doppelbesteuerung so gut wie aller Rentner durch den Fiskus gerechtfertigt.

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Der große Rentenbetrug: Zweimal abkassiert
Dem schiebt der Bundesfinanzhof aber in seinen Randziffern 67 und 68 einen entscheidenden Riegel vor: „Der Grundfreibetrag dient der steuerlichen Verschonung des Existenzminimums. Anders als das BMF in seiner Stellungnahme ausführt, bewirkt der Grundfreibetrag nicht etwa eine Erhöhung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Gerade im Gegenteil dient er dazu, solche Minderungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die sich aus der Bestreitung des unbedingt notwendigen Minimums an privaten Ausgaben zwingend ergeben, einkommensteuerrechtlich abzubilden. (…) Angesichts dieses Normzwecks kann der Grundfreibetrag nicht — nochmals — herangezogen werden, um die steuerliche Belastung einer speziellen Einkunftsart zu reduzieren oder als Puffer zur Abfederung verfassungsrechtlich unzulässiger doppelter Steuerzugriffe im Bereich der Einkunftserzielung zu dienen.“

Analog argumentieren die Richter auch in Bezug auf den Sonderausgabenabzug der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der Rentner, der ebenfalls nicht „der Abfederung eines doppelten Steuerzugriffs, sondern der verfassungsrechtlich gebotenen einkommensteuerrechtlichen Verschonung des Existenzminimums“ dient.

Die heutige Entscheidung aus München ist also zumindest ein kleiner Etappensieg für die Rentner, die sich über eine zu hohe Besteuerung sorgen. Dass der Gesetzgeber bei der Reform der Rentenbesteuerung in der kommenden Legislaturperiode großzügig vorgehen wird, ist eher nicht zu erwarten. Angesichts der gewaltigen Haushaltslöcher wird es nur kleine Besteuerungs-Zugeständnisse geben, egal wer auch immer regiert. Denn der Fiskus hat vor allem ein einnehmendes Wesen.

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