Tichys Einblick
Corona-Update 31. Mai 2021

Jetzt beginnt der Kampf um die Corona-Geschichtsdeutung

Während die Corona-Zahlen immer weiter sinken, beginnt der für die Regierungsparteien existenzielle Kampf um die Deutungshoheit der Ergebnisse ihrer Politik. Das dürfte das wichtigste Motiv sein, die Maßnahmen bis zur Wahl nur ganz allmählich zu beenden.

IMAGO / photothek

Während die Corona-Zahlen weiter sinken und die Leute sich auf den Sommer freuen, beginnt der für die Regierungsparteien existenzielle Kampf um die Deutungshoheit der Ergebnisse ihrer Corona-Politik. 

Es ist eine Chronik des Versagens. Trotz eines besonders harten „November-Lockdown“ sind die deutschen Corona-Zahlen im internationalen Vergleich relativ hoch, beim Impfen hat man geschlafen, genauso wie beim Testen. Die „Bundesnotbremse“ war dann der Höhepunkt einer Politik, deren eigentlicher Zweck das Kaschieren früherer Fehler zu sein scheint: sinnlos und planlos – aber das in drastischer Weise.

Dass es ganz anders hätte gehen können, zeigen nicht nur etliche US-Bundesstaaten und Schweden, sondern zuletzt auch etwa die Schweiz. Trotz deutlich weniger Beschränkungen, starben nicht viel mehr Menschen an oder mit Corona.

Die Bundesregierung hat nicht auf unabhängige Wissenschaftler gehört, sondern solche herbeizitiert, die ihre Linie rechtfertigten. Es ist längst wissenschaftlich belegt, dass Ansteckungen im Außenbereich keine Rolle spielen, dennoch verhängte man die Ausgangssperre. Ansteckungen im Einzelhandel und in Restaurants spielen fast keine Rolle, dennoch schließt man sie seit über einem halben Jahr und will den Eintritt jetzt nur mit Test oder Impfung wieder erlauben. Und schließlich ist seit langem bekannt, dass Schulen ebenfalls kein Treiber der Pandemie sind. Dennoch schränkte man den Unterricht monatelang stark ein.

Da wo man hingegen wirklich substanziell etwas hätte bewirken können, tat man lange Zeit kaum etwas: Die Altersheime begann man im Dezember letzten Jahres (!) effektiv mit Schnelltests zu schützen, obwohl längst erwiesen ist, dass je nach Bundesland bis zu 90 Prozent der Corona-Toten Heimbewohner sind. Schließlich ließ man auch die Krankenhäuser im Stich, verpasste Chancen zur Stärkung der Pflege – stattdessen schaute man zu, während sogar noch weiter Kapazitäten abgebaut wurden.

Es zeigt sich auch im Ergebnis einer statistischen Untersuchung der Universität München: Die deutschen Lockdowns konnten das Infektionsgeschehen nicht entscheidend verändern.

Die Entscheidung soll verschleppt werden 

Die Bundesregierung spielte das letzte Jahr über öffentlichkeitswirksam Maßnahmen-Bingo – stiegen ihre Zahlen und bekamen die Leute langsam Angst, traf man drakonische Maßnahmen, die zwar nicht wirkten, aber Entschlossenheit vermitteln sollten. Die Maßnahmen, die (unter relativ geringeren Kosten für die Allgemeinheit) wirklich gewirkt hätten, blieben aus.

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Jetzt scheint sich die Lage langsam zu beruhigen und das Land freut sich auf den Sommer. Aber nun steht das Urteil über das vergangene Jahr an. Die Insolvenzpflicht gilt wieder, ewig kann die Regierung nicht alle Lecks mit Staatsgeldern stopfen (wenn die überhaupt ankommen). In den nächsten Monaten wird sich das Bild unserer Regierung in der Pandemie verfestigen: Sind sie die kühnen Lenker, die Deutschland durch entschiedenes Handeln vor schlimmerem bewahrt haben, oder sind sie diejenigen, die das Land ohne Not vor die Wand gefahren haben?

Der Kampf um die Corona-Geschichte hat begonnen. In Berlin strickt man am Narrativ: Wir haben gemeinsam viele Tote verhindert.

So ganz glaubt das allerdings schon jetzt niemand mehr. In der CDU gehen die ersten auf Abstand, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff macht die Bundes-CDU für die schlechten Umfragewerte in Sachsen-Anhalt verantwortlich – insbesondere die „Bundesnotbremse“. Er weiß, dass die CDU zuletzt mit ihrem anhaltenden Knallhart-Kurs baden gegangen ist, und er will jetzt bei der Landtagswahl nicht mit untergehen.

Doch in Berlin macht man unbeirrt weiter. Man will die 7-Tage-Inzidenz am besten unter 35 und dann noch weiter „drücken“ – das Kalkül ist klar: Das Unentschieden bloß bis zur Bundestagswahl retten. Nichts scheint man mehr zu fürchten, als dass die Bevölkerung die Gewissheit bekommt, dass auch ohne Lockdown kein Inferno geschehen wäre. Dann ist der Kampf um die Corona-Geschichte verloren – für die Regierungsparteien wäre das existenzgefährdend. Also bloß weiter und weiter, solange es irgendwie geht.

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