Für die Politik handelt es sich bei „Cum-Ex“-Geschäften um eine besonders verwerfliche Art von Geschäften zu Lasten der Staatskasse. Sie kann sich dabei auf mediale Unterstützung verlassen, wo zum Beispiel vom „größten Steuerraubzug der Geschichte“ die Rede ist. Eine Darstellung der Ursachen für die Verbreitung dieser Gestaltungen bleibt im Hintergrund und die Frage, ob und – wenn ja – für welche Beteiligten die „Cum-Ex“-Geschäfte überhaupt illegal waren, unbeantwortet.
Vor allem die folgenden Aspekte kommen in der öffentlichen Berichterstattung zu Aktiengeschäften „rund um den Dividendentermin“ der ausschüttenden (deutschen) Gesellschaften zu kurz:
1. Wie sind „Cum-Ex“-Geschäfte zur Gefahr für die Staatskasse geworden?
2. Eine Historie gesetzgeberischen Versagens
Damit bestand schon ab dem Jahr 2000 die Situation, dass am Dividendenstichtag mehrere Aktieninhaber – also neben dem tatsächlichen (zivilrechtlichen) auch ein oder mehrere „wirtschaftliche“ Eigentümer – vorhanden sein konnten, die den Anspruch auf Anrechnung (Gutschrift bzw. Erstattung) der nur einmal von der ausschüttenden Gesellschaft einbehaltenen und an den Fiskus abgeführten Kapitalertragsteuer geltend machen konnten. Auf diese Gefahr für die Staatskasse hat der Bundesverband deutscher Banken (BdB) das Bundesministerium der Finanzen (BMF) bereits mit Schreiben v. 20.12.2002 hingewiesen. Es war den Banken als Dienstleister der Abwicklung von Börsengeschäften also erkennbar daran gelegen, nicht zum – unwissenden – Erfüllungsgehilfen von Leerverkäufern und mit ihnen bewusst („kollusiv“) zusammenwirkenden Beteiligten zu werden, die abgestimmt darauf abzielten, eine einmal von der ausschüttenden Gesellschaft einbehaltene Kapitalertragsteuer mehrfach geltend zu machen.
3. Inwieweit waren „Cum-Ex“-Geschäfte bis 2011 rechtswidrig?
Entgegen der gängigen Behauptung in den Medien, bei „Cum-Ex“-Geschäften mit börsennotierten Aktien rund um den Dividendentermin handle es sich um durchweg kriminelles Handeln –auch ein Richter des Finanzgerichts Köln ließ sich 2019 dazu hinreißen, von „krimineller Glanzleistung“ zu sprechen-, ist bis heute nicht abschließend geklärt, ob und in welcher Form und für welche Beteiligten „Cum-Ex“ rechtswidrig war. Nach einer Entscheidung des Bundesfinanzchefs aus dem Jahr 2014 muss z.B. der Aktienkäufer in ein „modellhaft aufgelegtes Gesamtvertragskonzept“ eingebunden sein, um nicht als zur Anrechnung berechtigter „wirtschaftlicher“ Eigentümer zu qualifizieren. Andernfalls bleibt es also bei dem Grundsatz, dass der Aktienkäufer als Vertragspartner eines Leerverkäufers steuerlich als „wirtschaftlicher“ Eigentümer anzusehen ist. Davon musste sich das Finanzgericht Köln für die Zeit vor Schließung der Gesetzeslücke in einem viel beachteten Urteil v. 19.07.2019 grundsätzlich verabschieden. Andernfalls hätte das Gericht dem Kläger (einem US-Pensionsfonds) Kapitalertragsteuererstattungen für in der Dividendensaison 2011 erworbene Aktien deutscher Gesellschaften nicht vollständig versagen können. Ob diese Abweichung von Grundsätzen höchstrichterlicher Rechtsprechung zu Lasten der Käufer „leerverkaufter“ Aktien über deren Beteiligung an einem „modelhaften“ Zusammenwirken mit anderen hinaus Bestand hat, ist weiterhin offen, zumal nicht nur die Hamburger Privatbank M.M. Warburg, sondern erst recht jeder brave Privatanleger einwenden wird, nicht wissen zu können, ob er an der Börse von einem Leerverkäufer erworben hat.
4. Rechtmäßigkeit von „Cum-Cum“
Nachdem durch die Rechtsänderung seit 2012 das Thema „Cum-Ex“ als gesetzgeberisch erledigt angesehen werden kann, wird jetzt zunehmend gefordert, „Cum-Cum“-Geschäfte mit „Cum-Ex“-Geschäften „zusammen zu denken“, weil diese angeblich mindestens genauso hohe Steuerausfälle verursacht hätten. Dies ist schon deswegen abwegig, weil „Cum-Cum“-Geschäfte gerade darauf beruhen, dass sich der Aktienverkäufer nicht nur zur Aktienlieferung mit Dividendenanspruch („Cum“) verpflichtet, sondern auch so rechtzeitig liefert, dass der Anspruch noch vor dem Dividendenstichtag mit Dividende („Cum“) erfüllt wird. Eine mehrfache Steueranrechnung ist also weder beabsichtigt noch überhaupt denkbar. Diese Geschäfte, die auch der europa- und verfassungsrechtlich bedenklichen Diskriminierung von Steuerausländern, die als Aktieninhaber im Gegensatz zu Steuerinländern keinen vollständigen Anrechnungsanspruch für die einbehaltene Kapitalertragsteuer haben, entgegenwirken sollen, wurden außerdem von der Rechtsprechung unstrittig als rechtmäßig angesehen. Durch seit 2016 bzw. 2017 geltende Gesetzesergänzungen (u.a. werden Mindesthaltedauern von 45 Tagen vor und nach dem Dividendenstichtag verlangt) wurden sie deshalb signifikant erschwert. Die Klage im Zusammenhang mit „Cum-Cum“ lässt vermuten, dass nach abflauendem Interesse an der „Cum-Ex“-Problematik infolge der Gesetzesänderung ab 2012 und nach gerichtlicher Aufarbeitung der damit bis einschließlich 2011 verbundenen Geschäftsmodelle öffentliche Aufmerksamkeit auf angebliche weitere „Steuerraubzüge“ gelenkt werden soll.
5. Angeblicher Steuerschaden
Zur Schätzung des „Steuerschadens“ für den Fiskus durch „Cum-Ex“ und „Cum-Cum“-Geschäfte werden Zahlen im hohen zweistelligen Milliardenbereich in Umlauf gesetzt. Dafür fehlt bis heute jede wissenschaftliche Evidenz. Die Behauptung ist aber hilfreich dabei, weiterhin von „Deutschlands größten Steuerskandal“ sprechen zu können – ohne auf die Mitverantwortlichkeit des Gesetzgebers und damit der Politik hinweisen zu müssen.