Tichys Einblick
Rückreise nach Syrien

Inger Støjberg: Flüchtlinge haben Abmachung mit Dänemark zu selten respektiert

In der dänischen Debatte um die Rückreise von Syrern lehnt die ehemalige Integrationsministerin Inger Støjberg Ausnahmen, etwa für Studenten, ab. Ihr Nachfolger Mattias Tesfaye erteilt Ausnahmen für minderjährige Asylbewerber eine deutliche Absage: Das würde Leben gefährden.

IMAGO / Ritzau Scanpix

In Dänemark und darüber hinaus erregt derzeit ein offener Brief der Ex-Venstre-Politikerin Inger Støjberg Aufsehen. Darin wendet sie sich an die »syrischen Flüchtlinge« in Dänemark und fordert sie zur Rückreise in die Heimat auf. Die derzeit geführte Debatte um die Rückkehr der syrischen Migranten sei eine »Schicksalsstunde« für die dänische Gesellschaft. Die Syrer haben laut Støjberg eine menschliche und moralische Verantwortung, die Rückreise in ihr Heimatland anzutreten. Die Tageszeitung Berlingske fasst ihre Position so zusammen: »Jetzt dürft Ihr Euch bedanken – und dann Eure Sachen packen und nach Hause gehen.«

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Støjberg war von 2015 bis 2019 Ministerin für Ausländer und Integration in der liberal-konservativen Regierung von Lars Løkke Rasmussen, die ähnlich wie die jetzige sozialdemokratische Regierung eine strikte Ausländerpolitik vertrat. Im März 2017 feierte Støjberg die 50. Verschärfung des Ausländerrechts in ihrer Amtszeit mit Torte und Kerzen und postete das Bild auf Facebook.

In ihrem offenen Brief gibt Støjberg zu, dass sie sich schon früh klar war, dass der nun auch von der sozialdemokratischen Premierministerin Mette Frederiksen angekündigte »Abschied« der Syrer von Dänemark von einem »Aufschrei« begleitet werden würde: »Es war nicht schwer vorauszusehen, dass Rektoren, Debattierer, rote Politiker, lokale Gemeinschaften, Klassenkameraden, Interessenverbände und die [linksliberale] Tageszeitung Politiken eine Kampagne führen würden, damit beispielsweise junge Studenten in Dänemark bleiben können, obwohl die Notwendigkeit unseres Schutzes aufgehört hat.«

Abmachung mit Dänemark zu selten respektiert

Der Brief beginnt mit den Worten: »Liebe syrische Flüchtlinge, jetzt ist es Zeit, wieder nach Hause zu reisen.« Mit besonderem Nachdruck weist Støjberg auf eine ungeschriebene Abmachung hin, die Dänemark damals mit den syrischen Migranten abgeschlossen habe: »Die Abmachung war, dass wir Euch Schutz gewährten, solange der Krieg wütete, aber dass Ihr natürlich an dem Tag, an dem es Euch möglich sein würde, wieder nach Hause reisen solltet.«

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Daneben kommt Støjberg nicht umhin, auch Kritik an den Flüchtlingen zu üben, die die Abmachung mit Dänemark leider nicht immer respektiert hätten: »Als Ihr nach Dänemark kamt, haben wir Euch deutlich gesagt, dass wir erwarten, dass Ihr Euch in die dänischen Regeln einordnet und selbst für Euch sorgt, solange Ihr hier seid. Zu wenige von euch sind dem gerecht geworden.« Die Syrer seien nun doppelt zur Rückreise verpflichtet: Zum einen müssten sie die Abmachung mit ihrem Gastland ehren und »ohne Einwände und ohne Fragen, dafür aber in Dankbarkeit dem dänischen Volk gegenüber« das Land verlassen. Zum anderen müssten sie »den Wiederaufbau des eigenen Landes beginnen«. Immerhin habe Dänemark ihnen durch kostenlose Ausbildungen einen guten Vorteil für diesen Neustart verschafft.

Auch ein begonnenes Studium soll der Rückreise in die Heimat nicht im Wege stehen. Schließlich vergisst man, auch ohne Abschluss, nicht alles, was man gelernt hat. Und natürlich sei das Leben in Dänemark – das versteht Støjberg sehr wohl – bequemer als in Damaskus, zumal die Dänen ein so großzügiges Volk sind. »Aber Dänemark ist nicht Euer Vaterland.« Das dänische Asylsystem sei fein austariert und »sehr robust«, sowohl bei der Annahme eines Asylantrags als auch bei der Beendigung der Aufenthaltserlaubnis. 140.000 Syrer seien schon wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Von unterwegs könnten die neuen Ausreisenden, so schließt die Politikerin, den Dänen »gerne ein großes Dankeschön schicken für die Hilfe, die Ihr erhalten habt, als Ihr sie brauchtet. Die Dänen haben es tatsächlich verdient.«

Støjbergs Fall kommt vors Reichsgericht

Fast schon naturgemäß rief Støjbergs Brief von neuem die »intensive Debatte« (Berlingske) hervor, die sie selbst beschrieben hat. Laut der Tageszeitung Jyllandsposten hat Støjbergs offener Brief online schnell »abgehoben« und zu heftigen Debatten geführt: »Der offene Brief von Inger Støjberg wurde in wenigen Stunden mehr als 1.700 Mal geteilt und fast 3.000 kommentiert.« Die Kommentare von Politikern und anderen waren allerdings sowohl zustimmend wie ablehnend.

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Verfasst hat Støjberg ihren Brief inmitten eines Sturms, in dem sie selbst derzeit steht. Damit stellt sie gewissermaßen auch ihr eigenes politisches Wirken zur Debatte. Die »einstige Venstre-Ikone« (so die Schleswig-Holsteiner Website shz.de) war bis vor kurzem stellvertretende Vorsitzende der rechtsliberalen Partei.

Seitdem ist einiges Wasser durch den Belt geflossen. Kurz vor Silvester gab es scharfe Kritik aus der neuen Venstre-Führung an Støjberg, unter anderem für eine Maßnahme aus dem Jahr 2016. Damals hatte sie die getrennte Unterbringung von asylsuchenden Paaren angeordnet, falls einer der Ehepartner – meist die Frau – minderjährig war. Berührt war damit das Thema der Schein- und Zwangsehen, aber angeblich hat Støjberg damit gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen.

Inzwischen ist Støjberg aus der Venstre ausgetreten und parteilos. Ihre Nachfolgerin präsentierte sich als Gegenentwurf. Im September soll Støjberg vor ein außerordentlich tagendes Reichsgericht kommen – das gab es seit 25 Jahren nicht mehr, und Støjberg wünscht sich eine Live-Übertragung der Verhandlung im Fernsehen. Doch eine Mehrheit im Parlament missgönnt ihr diese Bühne oder fürchtet, selbst schlecht darauf auszusehen. Die Ex-Ministerin ist bis heute nicht öffentlichkeitsscheu und will zumindest die Richtervoten veröffentlicht wissen.

Tesfaye: Ausnahmen für Minderjährige gefährden das Leben von Minderjährigen

Derweil hat Støjbergs Nachfolger als Ausländerminister, Mattias Tesfaye, erklärt, dass auch Minderjährige in Asylzentren außerhalb des Landes gebracht werden müssten, wenn die gesetzlichen Regeln das verlangen. Ausnahmen für Minderjährige würden das Leben von Minderjährigen gefährden, so Tesfaye: »Wenn wir alle unbegleiteten Minderjährigen von den Regeln ausnehmen würden, würde ich befürchten, dass weiterhin darüber spekuliert wird, Minderjährige über das Mittelmeer nach Dänemark zu schicken.« Er tritt damit der Kritik von NGOs wie »Red Barnet«, Amnesty International und dem dänischen »Institut für Menschenrechte« entgegen.

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