Eine vom Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegebene Analyse beschäftigt sich mit dem Leistungsgeschehen der Krankenhäuser von Januar bis Dezember 2020. Das am 30.04 veröffentlichte Dokument steht im Zeichen von Corona und widmet sich auch insbesondere der in der Pandemie so wichtigen Lage auf den Intensivstationen. In langen Texten, Infotabellen und Diagrammen kommt die Datenanalyse, die vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung herausgegeben wird und an der die TU Berlin mitgewirkt hat, zu interessanten Erkenntnissen: Der Einfluss von Corona auf die Lage auf den Intensivstationen war 2020 wohl geringer als gedacht. Das Dokument liest sich fast wie eine retrospektive Entwarnung.
172.248 Behandlungsfälle mit der „Nebendiagnose“ Covid zählt die Analyse für das letzte Jahr in den Krankenhäusern – „Nebendiagnose“ bedeutet in diesem Fall dann positives Labortest-Ergebnis. Intensivmedizinisch behandelt wurden davon 36.305 bzw. 26.151 mit intensivmedizinischer Komplexbehandlung.
Die Covid-19-Patienten nahmen indes im Jahresdurchschnitt nur knapp vier Prozent der Intensivbetten in Anspruch. Die Gesamtauslastung der Intensivbetten wird, je nach Krankenhaustyp, zwischen 63 Prozent und 73 Prozent beziffert – auch das ist weit entfernt von einem allgemeinen Kollaps-Szenario. Die Bettenauslastung sei auf ein Allzeittief von 67,3 Prozent gesunken, die der Intensivbetten auf 68,6 Prozent. Bundesweit sank die allgemeine Auslastung. Kein Wunder, dass selbst das BMG in seiner Pressemitteilung zur Studie festhalten muss: „Die Analyse der Leistungsdaten aller deutschen Krankenhäuser zeigt, dass […] die stationäre Versorgung in Deutschland im ersten Pandemiejahr 2020 flächendeckend gewährleistet werden konnte.“ Der Beirat des Ministeriums betont, dass die Pandemie „zu keinem Zeitpunkt die stationäre Versorgung an ihre Grenzen gebracht hat.“
Nicht das Virus sorgt für Überlastung
Dass die Krankenhäuser und Intensivstationen die Pandemie so gut bewältigt zu haben scheinen, überrascht den oberflächlich informierten Beobachter zunächst: Gab es den Notstand vor allem in den Köpfen und in den Schlagzeilen?
Die Personallage wurde nicht durch das Virus, sondern durch politische Entscheidungen verändert – ganz davon abgesehen, dass das System bereits seit Jahren auf dem Zahnfleisch geht und die Politik sich bis dato wenig dafür interessiert. Im August letzten Jahres wurde der zuvor ausgesetzte Pflegeschlüssel auf den Intensivstationen wieder eingeführt, daraufhin sank die gemeldete verfügbare Zahl der Intensivbetten insgesamt rapide. Seit Jahresbeginn darf ein Pfleger nur noch für zwei Betten tagsüber und drei in der Nacht zuständig sein, der Pflegeschlüssel wurde also nochmal verschärft. „Die Kehrseite ist: Betten, für die es kein Personal gibt, müssen ‚gesperrt‘ werden“, erklärt Nina Meckel, Sprecherin des DIVI-Intensivregisters, gegenüber der Bild. Was zweifellos die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte erleichtert, bedeutet für das Gesundheitssystem jedoch eine zusätzliche Verknappung der theoretischen Kapazitäten.
Wer jetzt den „Notstand auf den Intensivstationen“ vorschiebt, um den fortwährenden Lockdown zu rechtfertigen, ignoriert zumindest die politischen Entscheidungen der letzten Jahre, die damit in Verbindung stehen. Oder: Nicht in erster Linie das Virus, sondern bewusste Entscheidungen der Verantwortlichen haben eine Verknappung der Kapazitäten in den letzten Jahren herbeigeführt. Die Pflegekräfte, denen für ihre Arbeit völlig zurecht Respekt gezollt wird, scheinen da eher wie vorgeschobene Bauernopfer einer Politik, die sich für ihre Lage in Wahrheit kaum interessiert – vor als auch während Corona.
„Flatten the Curve“ war das Motto, um die „drohende Überlastung“ des Gesundheitssystems zu verhindern – damit räumt das BMG nun in aller Stille auf. Wieviel an den aktuellen drastischen Zustandsbeschreibungen dran ist, wird wahrscheinlich die Folgestudie nächstes Jahr einordnen müssen.
Hinweis: Nach Leserhinweisen haben wir den Artikel überarbeitet und Informationen zur Studie präzisiert.