Inflation und Arbeitslosigkeit oder was kommt nach dem Lockdown?
Roland Tichy
Deutschland liegt fast 200 Tage im Lockdown-Schlaf. Die Exportwirtschaft boomt, aber im Inland kommt es zu immer neuen Verwerfungen, die den Aufschwung blockieren, selbst wenn wieder gearbeitet werden darf.
In Sachsen geht das Holz aus, und auch sonst fehlt Material. „Die Situation ist dramatisch. Für Materialien wie Holz, Stahl oder auch Dämmmaterial sind die weltweiten Lieferketten vollkommen gestört. „Es gibt Preissteigerungen von 100 Prozent“, schildert der Präsident der Handwerkskammer Dresden, Jörg Dittrich den blockierten Aufschwung.
Nicht nur in Sachsen. So meldet das ifo-Institut generelle Knappheit:
Deutschland als eine der exportstärksten Wirtschaften steht in einem Spannungsfeld. Einerseits läuft es gut für die industriellen Exporteure. Die Nachfrage auch China wie den USA steigt. Ohnedies haben sich die großen Konzerne längst von Deutschland und dem gravierenden Unsinn der Politik abgekoppelt.
Wachsende Arbeitslosigkeit in der Automobilindustrie
Fünf Millionen Autos werden noch in Deutschland hergestellt im Jahr. Deutsche Unternehmen oder ihre Dienstleister fertigen weltweit aber insgesamt 20 Millionen. Das schlägt durch auf die Beschäftigung. Durch die schrumpfende Produktion von Verbrennungsmotoren werden in der deutschen Autobranche mehr Arbeitsplätze wegfallen, als Beschäftigte in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen. Das ist das Ergebnis einer Studie des ifo Instituts im Auftrag des Automobilverbandes VDA. „Wir sehen schon an der Entwicklung der Produktionswerte, dass für Elektroautos ganz andere Teile benötigt werden als für Verbrenner. Die Transformation ist noch nicht im gleichen Umfang bei der Beschäftigung angekommen“, sagt Oliver Falck, Leiter des ifo Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien.
„Vor allem für die mittelständisch geprägte Zuliefererbranche ist der Übergang zur Elektromobilität eine große Herausforderung“, so das ifo-Institut. „Die zu erwartende Transformation in der Beschäftigung wird nicht vollständig durch den Ruhestand der geburtenstarken Jahrgänge abgefedert werden können.“ Das ifo Institut schätzt, dass in der deutschen Autoindustrie bis 2025 rund 75.000 Beschäftigte in der Produktion in den Ruhestand gehen werden, darunter rund 39.000 direkt im Fahrzeugbau, die übrigen in der Herstellung von Teilen.
Doch schon im Jahre 2025 wären mindestens 178.000 Beschäftigte von der Transformation zum Elektromotor betroffen, d.h. in der Herstellung von Produktgruppen tätig, die direkt oder indirekt vom Verbrenner abhängen, davon 137.000 direkt in der Autoindustrie, falls die Produktion von Autos mit Verbrennern so stark zurückgeht, wie es die Abgasregulierung derzeit erfordert.
Bis 2030 werden 147.000 Produktionsbeschäftigte in Rente gehen, davon rund 73.000 im Fahrzeugbau; aber mindestens 215.000, davon 165.000 direkt in der Automobilindustrie, arbeiten in der Herstellung von Produkten mit Bezug zum Verbrennungsmotor. Die Zahl der Rentner wächst, der Arbeitslosen auch – nur die Beschäftigten und Beitragszahler werden immer weniger. Und es geht erst richtig los.
Der Produktionswert der direkt von der Transformation in die Elektromobilität betroffenen Produktgruppen sank bereits zwischen 2015 und 2019 um mehr als 22 Milliarden Euro, was einem Minus von rund 13 Prozent entspricht. Die Beschäftigung bei diesen Produkten ging dabei nur um rund 2 Prozent zurück oder 8.000 Beschäftigte. „Parallele Produktionsstrukturen erforderten noch viel Personal“, sagt Falck zur Erläuterung seiner Studie „Auswirkungen der vermehrten Produktion elektrisch betriebener Pkw auf die Beschäftigung in Deutschland; ifo-Studie im Auftrag des Verbands der deutschen Automobilindustrie (VDA)“. Da VW und Daimler dabei sind, die Motorenproduktion nach China verlagern, werden dies „Parallelen Produktionsstukuren“ aufgelöst und Arbeitslosigkeit folgt.
Der Streit um den Handelsbilanzüberschuß eskaliert
Schlechte Binnenkonjunktur generell und blendende Exportaussichten sind Gift für die deutsche Wirtschaft, deren gigantischer Handelsbilanzüberschuß schon lange in der Kritik steht. Die Geldpolitik, die dagegen eingesetzt werden könnte, fällt flach.
In den USA warnt die Finanzministerin und ehemalige Chefin der US-Notenbank, Janet Yellen, schon vor nachfragebedingter Inflation und Zinserhöhungen: Erstmals brachte sie öffentlich einen möglichen Anstieg der Zinsen ins Gespräch, um ein Überhitzen der US-Wirtschaft durch die massiven Konjunkturprogramme von Präsident Joe Biden zu verhindern. „Es könnte sein, dass die Zinsen etwas ansteigen müssen, um sicherzustellen, dass unsere Wirtschaft nicht überhitzt“, so Yellen.
Neben der exportgetriebenen Überhitzung der Industriekonjuktur droht in Deutschland aber gleichzeitig ein Erlahmen der Binnenkonjunktur – weil Unternehmen die Tätigkeit untersagt ist und die ständig durch die regierungsamtliche Panik verunsicherten Konsumenten ihr Geld zusammenhalten – wenn sie überhaupt offene Geschäfte finden.
Sachsens Handwerkskammer-Chef klagt: „Die Amerikaner und Chinesen kaufen momentan den gesamten Holzmarkt leer. Wenn das so weitergeht, müssen bei uns Betriebe trotz guter Auftragslage für ihre Mitarbeiter Kurzarbeit anmelden“. Der Export schädigt damit sogar die Konjunkturerholung im Inland, nicht nur beim Bau.
Mit Blick auf die Corona-Krise vermeldet die Handwerkskammer, dass in einer kürzlich erhobenen repräsentativen Umfrage unter den Handwerksbetrieben in Ostsachsen 53 Prozent von Umsatzausfällen infolge der Pandemie berichtet haben. Das sind doppelt so viele wie im Januar, als die Umfrage zum ersten Mal durchgeführt wurde. Die Stimmung im Kfz-Handwerk und im Handwerk für den persönlichen Bedarf, wie zum Beispiel Friseure, Kosmetiker und Kunsthandwerker, ist am schlechtesten. Diese Betriebe haben besonders unter Corona zu leiden.
Abgewürgt wird die Erholung auch durch den Mangel an Vorprodukten.
Dass Produkte knapp werden, betrifft immer mehr Branchen: In einer Blitzumfrage des Verbands IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen berichteten 80 Prozent der befragten Unternehmen, ihre Produktions- und Lieferfähigkeit sei wegen fehlender Rohstoffe eingeschränkt. Ebenfalls 80 Prozent erwarteten eine Fortsetzung oder Verschärfung der Entwicklung in den kommenden Wochen.
Fehlende Folien – eine kleiner Baustein der Erholung
Einer der größten Polyethylen-Folienhersteller in Deutschland erklärte TE: „Wir werden Mitte April ein Drittel unserer Anlagen herunterfahren müssen, weil unser Rohstofflager leer sein wird.“ Man könne nur noch die Hälfte des Rohstoffbedarfs an sogenanntem PE-Granulat einkaufen. Schon jetzt reduziere man die Liefermengen: Wolle ein Kunde etwa 10 Tonnen Folie bestellen, biete man ihm 5 Tonnen an. In den kommenden Wochen werde man manche Kunden gar nicht mehr beliefern können. Die Folie aber ist unverzichtbar für ganz andere Branchen: „Ohne Folie ist keine Lagerung möglich, da sonst ein Ziegel nass werden kann und die Steine somit unbrauchbar sind„, erklärt er. Gleiches gelte für Holzwerke, Getränkehersteller oder die Zementindustrie, die man ebenfalls beliefere. Die Getränkeindustrie verpackt Sixpack-Flaschen auf eine Palette und umhülle diese mit PE-Folie. Das dient zur Ladungssicherung: „Ohne Verpackungsfolie können keine Paletten ausgeliefert werden“ – das gilt für fast alle Wirtschaftsbereiche mit kleinen Gebinden und Ladungsgrößen. Damit verzögern sich Transport und Logistik.
Folgen des Stotter-Lockdowns
Häufig wird übersehen, dass nach einem Jahr Stotter-Lockdown die stillgelegten Betriebe nicht mehr einfach so anspringen wie nach einem geplanten Betriebsurlaub. Ein Gang durch die Fußgängerzone zeigt: Vermutlich ein Drittel der Geschäfte sind für immer geschlossen. Die Kunden sind abgewandert, ins Internet; viele werden den Weg zurück zum Fachhändler nicht mehr finden. Viele Inhaber mussten schon heute aufgeben – weil ihre Reserven aufgebraucht sind, die versprochene Staatshilfe nicht angekommen ist, oder weil sie Mut und Initiative verloren haben. Viele Textil-Händler haben wenig Sommer-Ware. Diese zu bestellen und vorzufinanzieren wäre betriebswirtschaftlicher Selbstmord gewesen, die Öffnungsperspektive ist ungewiss.
Die Lager sind noch mit Winterware prall gefüllt, dafür die Konten leer. In der Gastronomie sind die Kühlläger leer. Viele Großhändler, ihrerseits finanziell klamm, liefern aber nicht mehr wie früher gegen Rechnung, sondern nur gegen sofortige Bezahlung. Dafür fehlen vielfach den Gastronomen die Mittel. Aber auch die Vorratshaltung der Großhändler ist gegen Null gefahren – vielfach gibt es schon Lieferengpässe. Viele Brauereien mussten wegen des Verfallsdatums unendlich viel Bier wegschütten; in Hamburg landet Ratsherrn-Pils im Gulli, in Düsseldorf kippt die Hausbrauerei Füchschen 2.000 bis 3.000 Liter Altbier weg.
Georg Rittmayer vom Verband der Privaten Brauereien in Bayern: „Mittlerweile ist es so, dass die Brauereien das Bier vom Großhandel und von den Gastronomen zurücknehmen müssen. Sie können nichts anderes machen, als es zu vernichten oder in den Kanal zu kippen.“ Frisches Bier lässt sich brauen – aber nicht von heute auf morgen. Für Politiker fließt das Bier aus dem Zapfhahn. Die lange Produktionskette und Rohstoffbeschaffung davor – davon haben sie keine Ahnung. Selbst wenn Bier bestellt wird, können häufig die Fässer nicht geliefert werden – die Fahrer wurden in Kurzarbeit geschickt und sind von da zu Spediteuren abgewandert. Jetzt fehlen sie für die Auslieferung in Hamburg oder München.
Auch Schlachtereien haben keine Ware und das auf Dauer: Viele Bauern haben auf die Anzucht neuen Schlachtviehs verzichtet, nachdem sie schon vor einem Jahr zu viele Tiere im Stall stehen hatten. Das feingliedrige Netz der Wirtschaft zerreißt jeden Tag mehr.
Zwar ist die Marktwirtschaft viel leistungsfähiger als die staatliche Bürokratie-Wirtschaft. Aber es wird dauern, bis das zerrissene Netz wieder geknüpft ist und die Lieferketten wieder reibungslos ineinander greifen. Immer mehr Zahnräder fehlen und können nicht mehr ineinander greifen. In der Zwischenzeit kommt es zu Engpässen; die wiederum verzögern ihrerseits die wirtschaftliche Erholung und lösen Preissteigerungen aus. Der im Baubereich unverzichtbare Montagedienstleister Würth warnt seine „lieben Geschäftspartner in Rundschreiben: „Es wird dieses Jahr zu erheblichen Verzögerungen bzw. Ausfällen von Lieferungen kommen, auf Grund der Beschaffungsmarktsituation, welche sich zunehmend zuspitzt.“
Auch die metallverarbeitende Industrie und Stahlhersteller vermelden Lieferschwierigkeiten und stark steigende Kosten durch stark anziehende Rohstoffpreise: Der Industrieverband Blechumformung spricht von Beschaffungsproblemen bei rund 90 Prozent der Zulieferer. Was knapp ist, muss teuer bezahlt werden. Damit wird es in vielen Bereichen wie bei Lebensmitteln, industriellen Vorprodukten und Dienstleistungen zu Preissprüngen kommen – die wiederum weitere Preissteigerungen etwa bei Löhnen und Fertigprodukten auslösen.
Damit droht ein Inflationsschub. Leider nicht nur vorübergehend, wie die Bundesbank gerne behauptet. Das Dumme bei Inflation: ist sie erst in Gang gesetzt, wird es schwer, sie zu stoppen. Das traditionelle Instrument der Notenbanken dafür sind Zinserhöhungen. Die wiederum bremsen die wirtschaftliche Dynamik; die extrem hochverschuldeten Staaten, zu denen mittlerweile auch Deutschland gehört, können die höheren Zinslasten kaum mehr tragen. Worüber in den USA wenigstens gesprochen wird, ist in der EU komplett unmöglich. Auch nur eine winzige Zinssaterzhöung würde Südeuropa ins totale Chaos stürzen, weil die Staatsverschuldung nicht mehr finanzierbar wär. So könnte die Folge dauerhafte und sich steigernde Inflation sein.
Wie die Wirtschaft kaputt geredet wird
Jeder Tag Lockdown, aber auch nur jeder einzelne weitere Tag politisch gewollter Unsicherheit, erschwert die wirtschaftliche Erholung und die Rückkehr zum normalen Leben um viele weitere Tage. Das Land hat längst an wirtschaftlicher Dynamik eingebüßt und wird buchstäblich kaputt geredet. Das ist kein ungerechtfertigter Pessimismus – wirtschaftlicher Sachverstand und wirtschaftliche Erfahrung fehlen in der Politik. Planungssicherheit ist eine Grundvoraussetzung für Wirtschaft. Genau die fehlt. Politik sollte versuchen, in dieser Lage so viel Planbarkeit wie irgend möglich zu erzeugen. Stattdessen aber: Täglich neue, wöchentlich ganz andere Ideen, die in der Konsequenz zerstörerisch wirken.
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