Bei Maischberger ist die Welt an diesem Abend in jeder Hinsicht verdreht. Linke Autoren, von den ehemals so betont antiautoritären Publikationen Spiegel und taz, reden der Ausgangssperre das Wort, betonen, sie hätten die Maßnahmen gerne „härter“ gehabt, bemängeln „Halbherzigkeit“. Staatskritisch wird dann ausgerechnet ARD-Satiriker Mathias Richling, der in letzter Zeit durch Karl-Lauterbach-Imitationen für Aufsehen sorgte – da das Original aktuell etwas kürzer tritt, musste wohl ein Double eingeladen werden. Richling wagt es, die Sterblichkeitsrate von Corona überhaupt nur in den Raum zu stellen und mit der von Aids oder der Pest zu vergleichen – doch das wird er noch bereuen. Das reicht nämlich schon, um von Spiegel-Autor Markus Feldenkirchen in die ganz fragwürdige Ecke gequetscht zu werden – 85.000 Corona-Tote habe es in Deutschland gegeben, wieviele wären davon denn in Ordnung gewesen, fragt er mit dem ganzen Moralhammer.
Die absolute Verdrehung des Abends bringt dann aber natürlich der Auftritt von Sahra Wagenknecht, die wohl mittlerweile den äußersten rechten Rand des Gästestamms bildet, der in der ARD noch eingeladen wird. Sie attackiert „Lifestyle-Linke“, die aus einer sozial privilegierten Position Wohlfühl-Themen besetzen und über die Interessen der einfachen Leute hinweg schauen. Sie sagt „Wir haben in vielen Ländern das Problem, dass linke Parteien sich immer mehr von denen isolieren, für die sie eigentlich da sein sollten“, nämlich „Menschen, denen es nicht so gut geht, und die keine akademische Bildung haben.“
Die Freiheit der Andersdenkenden
Als es um die Auswüchse der Identitätspolitik geht, wagt sie sich weit aus der Deckung: „Viele Leute ohne akademischen Hintergrund wissen oft gar nicht, wieso sie plötzlich als rassistisch oder frauenfeindlich geächtet werden, weil sie etwas gesagt haben, was sie früher normal fanden. Aber irgendwelche ‚woken‘ Akademiker haben das schon auf den Index gesetzt.“ Sie wisse gar nicht, ob es 50 oder 100 Geschlechter gebe, „es ist eine abgehobene Debatte!“
Wagenknecht sagt: „Die Menschen fühlen sich bevormundet und belehrt von Leuten, denen es sehr gut geht und die sich dann als Opfer stilisieren.“
Taz-Kolumnistin Anna Dushime hält dagegen: „Es kann doch nicht sein, dass Menschen, die nicht betroffen sind, darüber entscheiden, wann reale Diskriminierung beginnt“. Das Totschlag-Argument schlechthin kann Wagenknecht umfahren, indem sie zunächst ihren eigenen Migrationshintergrund andeutet, ohne ihn zu nennen, um dann ein Plädoyer dagegen zu halten, dass es mittlerweile nicht mehr darum gehe, was gesagt wird, sondern wer etwas sagt.
Immerhin eins: An diesem Abend gab es tatsächlich in mehrfacher Hinsicht eine kontroverse Debatte in der ARD – zwar hauptsächlich linkeninterne, ein Bürgerlicher kommt schließlich nicht so recht zu Wort, aber immerhin. Man scheint es jetzt mit Rosa Luxemburg zu nehmen, nach der die Freiheit immerhin die Freiheit der Andersdenkenden innerhalb der kommunistischen Partei bedeutet. Mit wenig zufrieden geben, lautet die Devise.