„Antifa“ ist in konservativen Kreisen ein Reizwort, und zwar nicht zu Unrecht: Wer es wagt, sich politisch rechts der SPD zu positionieren, der wird Antifa-Gruppen vor allem als Bedrohung wahrnehmen. Sie verhindern politische Veranstaltungen, zerstören fremdes Eigentum und schrecken auch vor Gewalt gegen Menschen nicht zurück. Diese banale Erkenntnis erreichte in den letzten Monaten auch die etablierten Parteien und die Redaktionsstuben der großen Zeitungen. Angesichts mehrerer Anschläge wurde vor der „Gefahr des linksextremen Terrors“ und „gezielten Tötungen“ gewarnt. Einige Monate zuvor hatte bereits der damalige US-Präsident Trump öffentlich erwogen, die Antifa als terroristische Vereinigung einstufen lassen.
Tatsächlich gäbe es Gründe, Aktionen der Antifa als terroristisch einzuordnen. Denn sie tut, was sie tut, nicht wegen der unmittelbaren Auswirkungen. Es geht nicht um das zerstörte Fenster, den zerstochenen Reifen oder die Kopfplatzwunde. Es geht darum, Angst und Schrecken zu verbreiten – und genau dies entspricht der wörtlichen Übersetzung des aus dem Französischen stammenden Begriffes „terreur“. Aber für eine solche Zuordnung wäre eine allgemeingültige Definition notwendig, die es nicht gibt. Des einen Terrorist ist des anderen Freiheitskämpfer. „Terror“ ist vor allem eine politisch motivierte Wertung.
Im Gegensatz dazu ließe sich durchaus sachlich diskutieren, ob ein Verbot legitim, sinnvoll und durchsetzbar wäre. Erst kürzlich veranlasste Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) seine Behörde zu prüfen, ob bzw. welche Antifa-Gruppen verboten werden könnten. Nicht ganz unerheblich für den Vorstoß des Ministers dürfte gewesen sein, dass seine eigene Partei wieder stärker in den Fokus militanter Linksradikaler geraten war. Im dritten Quartal 2020 gingen von 29 Angriffen auf SPD-Büros in Deutschland 22 auf das Konto linksmotivierter Täter. Kurz vor Jahreswechsel war Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) mit Steinen und Farbbeuteln angegriffen worden, als er seinen zweijährigen Sohn mit dem Auto zum Kindergarten brachte.
Immer wieder wird betont, dass es „die Antifa“ gar nicht gebe, weil sie viel zu heterogen sei. Das ist richtig und falsch zugleich: richtig, weil sich jede politische Bewegung in unterschiedliche Strömungen unterteilen lässt, und falsch, weil sich dennoch verallgemeinernde Aussagen über sie treffen lassen. Die Antifa ist keine Organisation, sie ist ein Aktionsfeld linker bis linksextremer Gruppen. Aktionsfelder können nicht verboten werden, sehr wohl aber Gruppen, die sich in diesem Raum bewegen. Wer Verbote fordert, muss darum konkret benennen, wen er verbieten will und warum.
Dass Antifaschismus im eigentlichen Sinn legitim und notwendig ist, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich mancher Antifa-Protagonist mehr „fa“ als „anti“ verhält. „Antifa heißt Angriff“ ist einer ihrer zentralen Grundsätze. Die militante Antifa hat kein Interesse, „Nazis“ zu bekehren, kein Interesse, sich mit kritischen Thesen auseinanderzusetzen. Ihren Gegnern spricht sie elementare Grundrechte ab: „Nazis“ brauchen „auf die Fresse“. Mit Gewalt und Drohungen sollen politische Gegner derart eingeschüchtert werden, dass sie von ihrem Engagement Abstand nehmen. Man muss nicht lange überlegen, ob diese Strategie mit rechtsstaatlichen Maßstäben vereinbar ist. Fest steht aber: Sie funktioniert.
In konservativen Kreisen wird „Antifa“ als Sammelbegriff für linksmotivierte Gewalttäter verwendet. Selbst Uwe G. Kranz, ehemaliger LKA-Chef in Thüringen, begründete seine Kritik vor allem mit gestiegenen Fallzahlen aus dem Bereich linksextremistisch motivierter Kriminalität. Und in der Tat: Weil sich Antifa und linksmotivierte Kriminalität nicht sauber voneinander trennen lassen, gibt es keine separate Statistik über Antifa-Straftaten. Deswegen jedoch alle linksmotivierten Straftaten auf das Konto der Antifa zu schieben, wäre nicht nur sachlich falsch, sondern spielte der radikalen Linken in die Hände. Die Randale am 1. Mai, die Ausschreitungen bei Großveranstaltungen wie dem G 7 oder auch die gewalttätigen Aktionen im Dannenröder Forst – Sie alle haben mit Antifaschismus nicht im Geringsten zu tun. Laut Verfassungsschutz richten sich nur etwa 30 Prozent der linksextremen Gewalttaten gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten.
„40 Prozent mehr linksextreme Straftaten“ titelten die großen Zeitungen nach der Veröffentlichung der Verfassungsschutzzahlen für 2019. Dabei unterschlugen sie allerdings, dass deren Zahl im Jahr zuvor um knapp 40 Prozent zurückgegangen war und somit wieder ihr altes Niveau erreicht hatte. Die jährlich veröffentlichten Fallzahlen linksmotivierter bzw. linksextremistischer Straftaten sind viel zu volatil, um daraus generelle Tendenzen abzuleiten. Schon eine einzige Großveranstaltung wie der G7 kann in einem Jahr für eine deutliche Zunahme der Taten führen und im Folgejahr für ein Wiederabsinken. In der Langzeitbeobachtung lässt sich in den letzten zwanzig Jahren ein deutlicher Anstieg der linksextremen Straftaten von knapp 2.000, kurz nach der Jahrtausendwende, bis auf aktuell knapp 6.000 erkennen. Dabei ist allerdings zu relativieren, dass dies für die Zahl der linksmotivierten Gewalttaten – also die wirklich bedeutenden Delikte – nicht zutrifft. Hier lag die Zahl nach der Jahrtausendwende noch unter 1.000 Taten pro Jahr, erreichte nach einem kontinuierlichen Anstieg ihren Höhepunkt mit über 2.000 Taten, im Zuge der Flüchtlingskrise, ging seitdem jedoch wieder auf etwa 1.000 Taten pro Jahr zurück.
Von einer Eskalation kann also keine Rede sein. Aber die große Schwankungsbreite zeigt, dass die militante Linke über ein weitaus größeres militantes Potential verfügt. Es liegt nah, dies auf zwei Faktoren zurückzuführen: a) Die militante Linke übt bereits jetzt einen erheblichen Einfluss auf die Meinungsbildung aus und b) Abgesehen von einigen unbedeutenden AfD-Wahlerfolgen, driftet das politische Meinungsspektrum der Bundesrepublik seit Jahrzehnten kontinuierlich nach links. Für die radikale Linke besteht also keine Notwendigkeit, ihre volle Energie in militante Aktionen zu stecken. Bei der Bewertung der Gefahr, die von der militanten Linken ausgeht, ist ihr militantes Potential einzubeziehen. Und dies führt zu der Frage: Welche Auswirkungen hätte ein politischer Richtungswechsel bzw. die Wahl einer konservativen Regierung auf Bundesebene für das Verhalten der militanten Linken? Die Beantwortung dieser Frage könnte nur spekulativ erfolgen, aber ein Blick in die Deutsche Geschichte und in manche europäische Nachbarländer zeigt, dass auch linke Gruppierungen zu einer ernsten Gefahr für den Fortbestand einer Demokratie und das Leben von Menschen sein können.
Aber keineswegs alle Antifa-Gruppen wenden illegale Methoden an. In den 1990er und 2000er Jahren waren Antifa-Gruppen führend, wenn es um Informationen und Recherchearbeit zu rechtsextremen Szenen ging – heute hat sich die Arbeit in vielen Fällen institutionalisiert und viele der ehemaligen Revoluzzer arbeiten für staatlich-bezuschusste Vereine und Stiftungen (Es hat sich herumgesprochen, dass die Fördergelder gerade in den letzten zwei Jahren in astronomische Höhen gestiegen sind). Wer nun nach seinen wilden Jahren eine seriöse berufliche Laufbahn anstrebt, betrachtet sich dennoch weiterhin als Teil der Antifa. Wenn etwa Redakteure der taz einen Satz wie „Wir sind Antifa“ formulieren, dann ist dies nicht zwingend als Solidaritätsadresse an vermummte Gewalttäter zu verstehen, sondern als Ausdruck des Selbstverständnisses der Redakteure, mit ihrem legitimen Journalismus ihren Beitrag zum praktischen Antifaschismus zu leisten. Pauschale Forderungen nach einem Verbot der Antifa werden schon allein deswegen vor keinem Gericht Bestand haben. Wer solche Forderungen aufstellt, hat entweder keine Ahnung oder befindet sich im Wahlkampf.
Begründete Verbote gegen einzelne illegal agierende Gruppen wären legitim, sinnvoll und durchsetzbar. Nur, ob sich die eingangs dargestellte militante Drohkulisse damit auflösen lässt, steht auf einem anderen Blatt. Die Antifa ist das effektivste Geschäftsmodell der politischen Linken. Warum versuchen konservative Akteure nicht offensiv, den Antifaschismusbegriff ebenfalls zu besetzen (nicht: den „Antifa“-Begriff)? Eine nachhaltige Bekämpfung rechtsextremer Bestrebungen liegt zweifellos im Interesse konservativer Politik. Und dass hohe Millionenbeträge der Extremismusprävention an linke Organisationen gehen, liegt auch daran, dass keine Förderanträge von konservativen Organisationen gestellt werden. Aber es geht nicht ums Geld. Es ginge darum, die freiheitliche Demokratie zu stärken und Extremismus – von jeder Seite – zu schwächen. Und nicht zuletzt ginge es darum, die Deutungshoheit darüber, wer rechtsextrem ist und wer nicht, nicht der radikalen Linken zu überlassen.
Dr. Karsten D. Hoffmann ist Politikwissenschaftler und befasst sich seit über einem Jahrzehnt mit militanten Strömungen von rechts und links.
Karsten D. Hoffmann, Gegenmacht. Die militante Linke und der kommende Aufstand. GHV, 252 Seiten, 16,99 €.