Tichys Einblick
GRUNDLAGEN TOTALITÄREN DENKENS

Das gute Gefühl, die Bösen abzukanzeln

Der Tenor der Reaktionen auf die Satire-Aktion #allesdichtmachen hat bestätigt, was die Aktion selbst kritisierte. In der deutschen Öffentlichkeit werden Elemente totalitären Denkens immer deutlicher. Die Angst vor dem 'Beifall von der falschen Seite' gehört dazu.

shutterstock/Zenza Flarini

Von den ursprünglich 53 Videos der Schauspieler, die die Corona-Maßnahmen in Deutschland satirisch aufs Korn nehmen, sind inzwischen nur noch 32 bei YouTube online. 21 Schauspieler haben also ihre Beiträge zurückgezogen. Die Erklärung des allesdichtmachen-Initiators Brüggemann liest sich wie ein Schauerstück aus einem totalitären Regime: „Teilweise kriegen sie Morddrohungen. Von einigen Leuten, deren Videos nicht mehr online sind, weiß ich, dass die komplett hinter der Aktion stehen und das wahnsinnig wichtig finden, aber die Kinder werden bedroht und sie möchten das Video deswegen erstmal nicht mehr online haben.“ Meret Beckers Bruder Ben sagte zu Bild: „Sie hat Morddrohungen bekommen, ist am Boden zerstört und sitzt weinend zu Hause.“ Und: „Ich bin hier am Set in meinem Wohnwagen, draußen stehen Leute und rufen, wo der Becker ist! Das macht Angst. Was ist nur aus unserem Land geworden, dass man nicht mehr kritisch hinterfragen darf?“

Ein wesentlicher Aspekt totalitären Denkens ist, dass es nicht mehr um eine Sache geht, sondern Gefühle aktiviert werden. Über Gefühle wird die Trennung in „Gut“ und „Böse“ konstruiert und mit Medien emotional verankert.

Jan Josef Liefers wurde zum Beispiel in dem Gespräch mit Gesundheitsminister Jens Spahn in der Zeit über allesdichtmachen zuerst nach seinem „Gefühl“ gefragt. Wichtiger als sachlich über die Satire zu diskutieren, ist es also Gefühle abzurufen, die der auf die Video-Aktion folgende Shitstorm bei ihm ausgelöst hatte. 

Andere abzukanzeln, tut gut

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Wer eine andere Person bestraft, weil sie gegen gesellschaftliche Normen verstoßen hat, empfindet dies oft als Genugtuung. Er hat das befriedigende Gefühl moralischer Überlegenheit. Und dies lässt sich sogar neurologisch begründen: Warum fühlt es sich so gut an, andere Menschen zurechtzuweisen? Die Antwort liefert ein Schweizer Forschungsteam um Dominique de Quervain von der Universität Zürich in der Zeitschrift „Science“: Andere zu bestrafen, aktiviere eine Hirnregion, die an der Empfindung von Freude und Befriedigung beteiligt sei. Hinter der hochmoralischen Begründung steckt also auch ein biologischer Ablauf. Martin Brambach ironisiert das auf seinem allesdichtmachen-Video, in dem er von „solidarisch mit dem Finger auf andere Leute zeigen“ spricht und sagt: „Ich bin ein unsicherer Mensch und es tut mir gut, wenn ich andere darauf hinweisen kann, was sie falsch machen“. (Inzwischen ließ er sein Video bei YouTube löschen, aber es ist noch auffindbar). 

Sofort nach der Veröffentlichung wurde die von Jan Josef Liefers in seinem Video artikulierte Kritik an der Einheitlichkeit der Medien bestätigt: Sie fällten weitgehend einhellig vernichtende Urteile. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland nannte die Aktion eine „Verhöhnung der Corona-Toten“, ohne zu belegen, dass dort irgendwo ein Corona-Toter verhöhnt würde, der „Tagesspiegel“ fand die Aktion „so schäbig, dass es wehtut“. Es ging also offensichtlich darum, die Schauspieler emotional zu brandmarken. Den Rest erledigt der Twitter-Mob.  

Der sozialdemokratische WDR-Rundfunkrat Garrelt Duin forderte sogar, „die zuständigen Gremien“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssten die Zusammenarbeit mit Liefers und Tukur „schnellstens beenden“ – Satire darf alles, solange sie die richtige Meinung propagiert.

Heute gilt für die meisten Westdeutschen: Wenn alle Medien das gleiche sagen, dann wird es stimmen. Ostdeutschland, die Ex-DDR hat da andere Erfahrungen: Wenn alle Medien die gleiche Meinung äußern, dann stinkt etwas zum Himmel. Werner Eng berichtet in seinem Video davon. Der Präsident der Deutschen Filmakademie Ulrich Matthes fragt, was „das Konstruktive dieser Aktion“ gewesen sei. „Aber Genosse, wo ist denn da das Positive?“ Altbekannter Spruch aus dem ehemals besten Arbeiter- und Bauernstaat, den Deutschland je hatte.

„Indirekte“ Zensur im Namen des Guten

Es scheint ein Trend in der neu-ideologischen Gesellschaft zu ein, Verbote nicht mehr direkt auszusprechen, aber die Umstände so zu gestalten, dass der Bürger zu dem erwünschten Verhalten gezwungen ist: Sie können mit dem Auto nach Stuttgart hineinfahren, aber es gibt keine Parkplätze mehr. Wenn allesdichtmachen über die Youtube-Suchfunktion nicht mehr gefunden werden kann, entspricht dies einer indirekten Zensur eines Quasimonopolisten. Nein, die Videos werden nicht gelöscht. Aber leider sind sie nicht mehr zu finden.

Macht durch Infantilisierung des Diskurses

Gefühle lassen sich nicht hinterfragen, sie haben einen Absolutheits-Anspruch. Wo Gefühle ins Spiel gebracht werden, endet der Diskurs. Darum setzt die woke, hypersensible Meinungslandschaft nicht auf faktenorientierte Argumente, sondern auf Gefühle. Das Beleidigtsein verleiht Macht.

Talk-Party mit Palmer, Kubicki und Liefers
Jan Josef Liefers bei Illner: "Wenn ich sage 2+2=4, ist das richtig, auch wenn jemand von der AfD zustimmt"
Wir erleben eine Infantilisierung der Öffentlichkeit, inklusive des Narzissmus des Kindes, das trotzig auf seinen Gefühlen besteht. Der Habermas’sche „herrschaftsfreie Diskurs“ wurde obsolet, als die infantile Linke die Herrschaft in Medien und Politik übernahm. Seither schmückt sich die Linke mit einem kindlichen Scheinheiligenschein und schiebt dem Andersdenkenden den Teufelsdreizack zu. Die eigene Macht versteckt man, indem man Opfer und Täter definiert. Und die ernannten Täter haben sich zu entschuldigen, was sie in der Regel dann auch tun, denn sonst werden sie ausgestoßen.  
Die Abgrenzungserwartung als Element totalitären Denkens

Wunschgemäß lieferte Liefers die Abgrenzung von nicht erwünschten, diffamiertem Denken: Er habe nichts mit Querdenkern, der AfD und „Schwurblern“ zu tun. Ironischerweise gibt es dazu ein vorausahnendes allesdichtmachen-Video von Hans Zischler.

Dazu hat Hans Magnus Enzensberger schon 1962 geschrieben: „Die Angst vor dem ‚Beifall von der falschen Seite‘ ist nicht nur überflüssig. Sie ist ein Charakteristikum totalitären Denkens.“ Enzensberger meinte damals: „Jeder, der sich überhaupt öffentlich äußert“, werde diesen „Vorwurf“, Beifall von der falschen Seite zu erhalten, „zu hören bekommen; kaum einer, der nicht dann und wann versucht wäre, jenem Beifall aus dem Wege zu gehen.“

Kontaktschuld als Element totalitären Denkens

Auf diese Weise kann man Kritik mit dem Totschlagsargument der Kontaktschuld zum Verstimmen bringen. Christian Ehrich und Jens Wawrczeck haben das in allesdichtmachen brillant auf Korn genommen.

Licht der Erkenntnis
#allesdichtmachen ist wie ein Blitz, der die politische Landschaft erhellt
Die selbstgestellte Falle der Kontaktschuld ist wohl auch der Grund dafür, dass es in den Medien und in der Politik so verdächtig ruhig ist, wenn es darum ginge, die jüngsten Attentate von Islamisten in Frankreich und in Deutschland massiv zu verurteilen. Keine Mahnwachen, keine Demos, keine Aufrufe. Wenn „Rechte“ lauthals die Morde verurteilen, hat man Angst, sich in deren Gesellschaft zu begeben. 

Seltsamerweise fällt es Grünen, SPD und Die Linke selbst sehr schwer, sich von der gewalttätigen Antifa zu distanzieren, während sie von Anderen Distanzierung verlangen. Da gibt es plötzlich keine Kontaktschuld mehr.

Die neue Zivilcourage

Darf man mit Lisa Eckhart auf einem Podium sitzen oder zusammen mit Querdenkern demonstrieren? Das zu tun ist die neue, wahre Zivilcourage. Wer sich nicht zur Distanzierung zwingen lässt, entgeht dem von Enzensberger genannten totalitären Denken: Ich bin so frei und sage meine Meinung, ungeachtet, wer sonst noch diese Meinung vertritt. 

Wozu Meinungsdruck, und Ausgrenzung bei falscher Meinung führt, beschreibt Nina Gummich übriges in ihrem satirischen Video brillant. Sie mache sich „stark für die Meinungsfreiheit“, sagt sie da, „und deswegen habe ich mich in den letzten Monaten Stück für Stück von meiner eigenen Meinung befreit“.


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