Tichys Einblick
Verfall der demokratischen Kultur

Wie unabhängig sind unsere Gerichte noch?

Die Maßnahmen der thüringischen Landesregierung gegen einen Richter sind besorgniserregend für den Zustand der Demokratie. Angesichts der abenteuerlichen Begründung der Staatsanwaltschaft bleibt der Eindruck einer politisch motivierten Aktion.

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Der Fall entsetzt jeden, der sich um den Rechtsstaat sorgt: Ein Familienrichter aus Weimar hob für zwei Schulen per einstweiliger Verfügung die Maskenpflicht auf. Jetzt wurde nicht nur das Urteil gekippt, es wird auch gegen ihn ermittelt. Gegenüber TE bestätigt die Staatsanwaltschaft Erfurt, dass Privatwohnung und Büro des Richters durchsucht wurden.

Die Begründung der Staatsanwaltschaft gegenüber TE ist abenteuerlich: Es gäbe „Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte willkürlich seine Zuständigkeit angenommen hat, obwohl es sich um eine verwaltungsrechtliche Angelegenheit handelte, für die ausschließlich der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.“ Es geht um den Vorwurf, der Richter habe sich bei der Entscheidung einer Rechtsbeugung schuldig gemacht, „indem er sich bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt hat, seine Entscheidung also von den gesetzlichen Vorschriften nicht mehr getragen wird, sodass sie willkürlich erscheint“.

Nun ist das Urteil des Richters gut begründet. Der Verordnungsgeber sei in eine Tatsachenferne geraten, so der Richter, “die historisch anmutende Ausmaße angenommen hat”, schreibt er. Das Urteil sei bahnbrechend und vorbildlich, sagt ein Verein von Richtern und Staatsanwälten.

Staatsanwaltschaft bestätigt: Hausdurchsuchung bei Weimarer Richter wegen "Rechtsbeugung"
Bekanntlich ist man auf Hoher See und vor Gericht in Gottes Hand. Juristen entscheiden unterschiedlich. Dafür gibt es Berufung, Revision; die Rechtswege in Deutschland sind verästelt und fein austariert. Rechtsbeugung ist als Straftatbestand in § 339 des Strafgesetzbuches geregelt. Rechtsbeugung ist die vorsätzlich falsche Anwendung des Rechts durch Richter, Amtsträger oder Schiedsrichter bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei. Das ist eine hohe Hürde. Welche Partei wurde benachteiligt? Die klagenden Eltern? Wohl kaum. Das Land Thüringen? Wohl auch nicht; das Urteil wurde kassiert.

Müssen jetzt Richter, die ein Urteil fällen, das vermutlich im Widerspruch zu den Wünschen der Bundesregierung steht, künftig Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmung ihrer privaten Gegenstände fürchten? Das scheint beabsichtigt. Offensichtlich geht es um eine Strafaktion, denn immer mehr Richter an vielerlei Gerichten ziehen die Regelungen der Corona-Politik in Frage. Die Bundesregierung hat mit der Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes dafür gesorgt, dass künftig nur noch das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden kann – also eine extrem hohe Hürde errichtet. So wird auch Recht verweigert, indem man den Zugang zur Überprüfung staatlichen Handelns den unteren Ebenen einfach entzieht. Schon das allein ist ein Skandal.

Eingriff in richterliche Unabhängigkeit
“Wir sind entsetzt”: Richterverein sieht Hausdurchsuchung bei Weimarer Richter als rechtswidrig an
Nun wissen wir, dass in Thüringen besondere Verhältnisse herrschen. Der gewählte Ministerpräsident von der FDP wurde zum unfreiwilligen Rückzug aus dem Amt genötigt, nachdem die Bundeskanzlerin erklärt hatte, dass ihr die Wahl nicht passe und sie korrigiert werden müsse. Damit steht die rot-rot-grüne Regierung in Erfurt ohnehin schon auf einem brüchigen Fundament. Und jetzt also wird ein Richter vorgeführt, seine Wohnung durchsucht, sein Handy beschlagnahmt.

Richter sind unabhängig. Staatsanwälte sind weisungsgebunden. Der thüringische Justizminister Dirk Adams von den Grünen hat offenkundig Weisung erteilt, den Richter zu stellen und seine Privatsphäre auszuforschen; die Polizei hat vollzogen. Sie untersteht Innenminister Georg Maier, SPD. Die Landesregierung von Bodo Ramelow trägt die politische Verantwortung für einen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einmaligen Vorgang.

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Man mag das Urteil des Richters in der Sache kritisieren, zu anderer Rechtsauffassung gelangen. So war das bislang in einer Demokratie üblich. Auch wer anderer Meinung war, hatte das Urteil zu respektieren; Richterschelte galt auch in den Medien als unfein – wohl aber war eine Diskussion der Begründung immer möglich und Berufung auf dem jeweiligen Weg selbstverständlich.

Heute scheinen nur noch politisch gewollte Urteile Bestand zu haben und abweichende Richter müssen mit härtesten Sanktionen rechnen.

Die Unabhängigkeit der Gerichte ist eine Säule der Demokratie. In Thüringen sind zwei Säulen eingekocht: Die freie Wahl im Landtag und die Unabhängigkeit der Gerichte.

Die Schnelligkeit des Verfalls der demokratischen Kultur ist atemberaubend. Achten Sie darauf, wer über diesen Vorfall berichtet und wer ihn wie kommentiert. Möglicherweise könnte das Ergebnis Sie allerdings beunruhigen: Der Aufschrei bleibt aus. Die Zerstörer der Demokratie haben die Oberhand und werden gedeckt.


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