Letzte Woche stellte das Wochenmagazin Marianne schon auf dem Titel die entsetzte Frage: »Ist der Bürgermeister von Lyon so nichtswürdig?« Darunter ist zu lesen: »Ist der von Grenoble mehr wert?« Es geht also nicht nur um Grégory Doucet, den Bürgermeister von Lyon. Ebenso geht es um die anderen Bürgermeister aus der Partei »Europe Écologie Les Verts« (kurz EELV), die wie durch eine Welle im letzten Frühjahr in die französischen Rathäuser getragen wurden. Das Rathaus von Lyon ist die erste politische Station für Doucet. Er hat nicht die Verwaltungshochschule ENA besucht, sondern vor seiner Wahl im humanitären Sektor gearbeitet. In Frankreich, wo die großen Rathäuser häufig lokale Bastionen von Ministern oder gar Präsidenten waren, ist das etwas Besonderes.
Als zweites Minenfeld für den Lyoner Bürgermeister gilt die innere Sicherheit, die in den letzten Monaten immer wieder durch aufflackernde Unruhen in Problemvierteln bedroht wurde (TE berichtete). Doch Doucet spricht sich noch immer gegen eine höhere Polizeipräsenz in Problembezirken aus. Die politisch mittige Marianne hält das für weltfremdes Gutmenschentum. Auch das städtische Online-Magazin Lyon Mag befürchtet neue Unruhen, sobald die Pandemie-Maßnahmen auslaufen. Vielleicht kommen sie früher.
Das Internetmagazin Equinox denkt bei den grünen Bürgermeistern zuerst an ihre Amtskollegin in Barcelona, die Linkspopulistin Ada Colau, die seit 2015 eine Art Sitzkrieg mit den Sicherheitskräften austrägt, welche sie teils der Stadt verwies, was bald zu einer Zunahme der Drogenkriminalität auf den Straßen der katalonischen Metropole führte; auch die jüngsten Unruhen in Lyon hingen angeblich mit dem Drogenhandel zusammen. Gemeinsam haben die Katalanin Colau und der Lyoner Bürgermeister außerdem eine ausgeprägte Allergie gegen das Militär. So verbat sich Doucet die Überflüge der offiziellen Kunstflugstaffel »Patrouille de France«, die traditionell die Feiern des 14. Juli begleiten.
Als erstes schicken die »grünen Khmer« die Kultur in die Wüste
In Grenoble wurde Eric Piolle schon 2014 zum Bürgermeister gewählt und erwarb sich bald den Ruf eines »grünen Khmer«. Inzwischen denkt er auch über eine Kandidatur zum Staatspräsidenten nach. Grenoble will er bis 2022 zur »grünen Hauptstadt« von Europa machen. Dazu sollen natürlich auch dort die Benziner möglichst aus der Stadt verbannt werden. Daneben erließ Piolle ein Werbeverbot im öffentlichen Raum und kürzte dem weltberühmten Orchester »Les Musiciens du Louvre«, das vom Weltstar Marc Minkowski geleitet werden, die Mittel. Kein Wunder, hatten sich die Grünen doch zuvor kaum für Kultur interessiert.
Schon vor seiner Wahl hielt Grégory Doucet die Bühnenbilder der Lyoner Oper für zu teuer, seine Kulturbeauftragte will auch die Honorare von Intendanten und Solisten überprüfen. Das bedeutet dann also die Nivellierung einer kulturellen Tradition. Dabei ist seit Jahren bekannt, dass funktionierende Kultureinrichtungen eine Stadt auch wirtschaftlich – und das vor allem langfristig – stärken.
Doch da stellt sich die Frage: Will man das überhaupt? Auch die wirtschaftsunfreundliche Politik der Grünen geschieht oft aus prinzipiellen Gründen. So spricht der Bürgermeister von Bordeaux, Pierre Hurmic, davon, dass die Wachstumszeiten der Juppé-Jahre nun vorbei seien. Er fordert ein genügsames Bordeaux, das sich an der »selbstgewählten Mäßigkeit« berauschen soll. Also: »arm, aber high« als neues Stadtmotto?
Auch die Straßburger Kulturreferentin Anne Mistler will vor allem die kulturelle »Praxis der Amateure« fördern (sie kostet sicher weniger als professionell gemachte Aufführungen und Konzerte) und daneben die »verschiedenen Kulturen« anerkennen, die »auf unserem Territorium zusammenleben«. Programm ist die Flucht in eine unbestimmte »Weltkultur« statt Pflege des einzigartigen Erbes, das an einem bestimmten Ort organisch gewachsen ist.
Ob motorisiert oder nicht, der Sport ist und bleibt ein machistisches Vergnügen
Was kommt als nächstes? Die grüne Bürgermeisterin von Poitiers, Léonore Moncond’huy meint, dass Kinder nicht mehr vom Fliegen träumen sollten, und hat den beiden Clubs der Hobbyflieger die Subventionen gestrichen. Es ist viel Zeit vergangen, seit ein fiktiver Saharaflieger die Leser in Frankreich und aller Welt durch seine Begegnung mit einem »kleinen Prinzen« begeisterte. Antoine de Saint-Exupéry, der Autor dieser weltbekannten Geschichte, war selbst ein berühmter Pilot. Die grüne Bürgermeisterin lehnt motorisierte Sportarten grundsätzlich ab. Die Ankündigung brachte ihr umgehende nationale Bekanntheit, aber auch viel Widerspruch ein. An den Kragen soll es aber auch den nicht-motorisierten Sportarten gehen: Im November kritisierte der Bürgermeister von Lyon, Grégory Doucet, die Tour de France, die ein »machistisches Bild des Sports« vermittle und außerdem umweltschädlich sei.
Einige Tage später verkündete Pierre Hurmic, keine Weihnachtsbäume im Herzen von Bordeaux aufstellen zu wollen. Das widerspreche fundamental dem »Begrünungskonzept« seiner Partei. Der Ökologismus der Regierenden wird so auch noch dem letzten Bürger klar. Für die radikalen Umweltschützer gehören offenbar sämtliche Bräuche und Traditionen auf den Prüfstand. Pardon wird auch an hohen Festtagen nicht gegeben. Vor allem will Hurmic nun eine »Charta der Baumrechte« einführen. Sein Parteifreund Matthieu Orphelin warnte ihn da vor ungeschickten Manövern in der Öffentlichkeit – vergebens.
Insgesamt bekommt man den Eindruck, dass die französischen Grünen es sich Schritt für Schritt und am Ende doch massiv mit ihrer Wählerschaft verscherzen, die vielleicht doch gerne einen grünen Baum zu Weihnachten aufstellen würden und sich auch privat nicht für so etwas schämen mögen. Dasselbe gilt für eine Subventionsverteilung auf ideologischer Grundlage. Gerade die Attacke auf das Nationalsymbol Tour de France zeigt, wie unsensibel manche der grünen Bürgermeister agieren. Und doch hat ein solches Vorgehen natürlich Methode in einer politischen Bewegung, die sich als radikale Veränderung des Status quo versteht.
Ökologismus, Umerziehung, Freiheitsverluste
Léonore Moncond’huy findet, dass ihre Rolle als Grüne darin besteht, »alle unsere Politiken in Frage zu stellen«. Doch eine solche Haltung kann leicht in Jakobinismus ausarten und das Verbot, die Zurückdrängung des Bestehenden über alles stellen. Viele Franzosen fühlen sich in der Tat an Kulturrevolution, Pol Pot und »grüne Khmer« erinnert. Solche Bezeichnungen mögen scherzhaft oder übertrieben sein, offenbaren aber eine Tendenz. So beharrte Moncond’huy laut dem Journal du Dimanche: »Mit den grünen Politiken muss ein Wandel der Vorstellungswelt einhergehen. Die Vorstellungswelt der Kinder, die heute geboren werden, wird nicht mehr dieselbe sein wie die der am Anfang des 20. Jahrhunderts geborenen.« Etwas müsse sich ändern. Jedes heutige Kind müsse eine »erstrebenswerte, freundliche und zugleich verantwortungsvolle Zukunft« haben.
Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht …, kann man da nur mit Bertolt Brecht erwidern. Dass es sich hier um orwelleskes Kauderwelsch handelt, erkennt wohl jedes Kind. Die Vorsitzende der rechtsliberalen Partei »Soyons libres«, Valérie Pécresse, sprach von »Umerziehung« und »Totalitarismus«.
Apropos Orwell: In den Schulkantinen von Lyon gibt es seit Februar nur noch ein fleischloses Einheitsmenü zu essen. Und das soll angeblich auch gegen Covid-19 helfen und im Sinne eines neuen »Gesundheitsprotokolls« sein, wenn man dem Bürokratenfranzösisch der zuständigen Stellen glauben will. Kennen wir, hatten wir auch schon. Und ja, auch die Idee des Einheitsmenüs hilft sicher bei der Vereinheitlichung der Gesundheit aller Schüler. Man weiß nur noch nicht, auf welchem Niveau. Ein bürgerlicher Abgeordnete formulierte im Figaro: »Die Grünen glauben, dass sie gewählt wurden, um den Planeten zu retten. Von Freiheit ist nicht mehr die Rede.«
Die grüne Fahne des Islam über Straßburg und ein grün-ökologischer Arbeitsdienst
Andere Maßnahmen sind auf andere Art radikal. So unterstützte die Stadt Straßburg bis vor kurzem den Bau einer Moschee, die von der islamistischen Millî Görüs getragen wird, gegründet von Necmettin Erbakan, dem politischen Ziehvater Erdogans. Und natürlich hat Millî Görüs die Islam-Charta der französischen Republik nicht unterzeichnet, dazu hätte sie ja dem politischen Islam entsagen müssen. Am 15. April nun verzichtete Millî Görüs auf die städtische Förderung, wie die grüne Bürgermeisterin Jeanne Barseghian laut Marianne mitteilte. Vor wenigen Tagen hatte sie sich noch »sehr erstaunt« über diese ganze Diskussion und die anklagenden Tweets von Innenminister Gérald Darmanain gezeigt.
Der grüne Bürgermeister von Tours, Emmanuel Denis, will unterdessen den »Kampf« gegen den Klimawandel und den gegen die Arbeitslosigkeit vereinen und schrammt knapp an einem grün-ökologischen Arbeitsdienst vorbei. Zusammen mit grünen und sozialistischen Bürgermeistern aus acht weiteren Städten will er einen zweiten, grünen Arbeitsmarkt schaffen. Die Arbeitsplätze mit Klimabezug sollen eigens für Arbeitslose »geschaffen und garantiert« werden. Mit dabei sind neben fünf sozialistischen Bürgermeistern, darunter Martine Aubry (Lille) und Anne Hidalgo (Paris), auch die grünen Leuchten Barseghian, Moncond’huy und Anne Vignot (Besançon). Auch diese Verschönerung der Arbeitslosenstatistik hatten (und haben) wir bereits in Deutschland.
So soll nun die EU-europäische mit einer französischen Bio-Agrar-Förderung unterfüttert werden. Und die geplante bio-lokale Ware soll außerdem – wen wundert’s? – zum staatlich festgesetzten Preis auf den Teller kommen. Eine Milliarde Euro pro Jahr seien vonnöten, um französische Bio-Oberflächen zu entwickeln und zu verstetigen. Den französischen Grünen ist eben kein Einfallstor zu schade, wo es um den Aufbau des Sozialismus geht.