Der Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau zeigte bereits vor anderthalb Wochen bei TE auf, wie verfassungsrechtlich fragwürdig das neue Infektionsschutzgesetz ist. Nun trug er diese Bedenken auch im Gesundheitsausschuss der Bundestages vor. Wie dokumentieren seine Aussagen in gekürzter Form.
Notstandsgesetzgebung ohne verfassungsrechtliche Grundlage
Ich habe durchaus einige verfassungsrechtliche Bedenken, ich will einmal mit dem Wichtigsten anfangen, was mir persönlich auch am Wichtigsten ist, weil ich mich da-mit fachlich noch keineswegs durchgesetzt habe, ich habe es mehrfach vorgetragen. Ich meine nämlich, dass das, was wir an Corona-Bekämpfung bereits seit Anfang 2020 erleben und was jetzt endgültig in Form auch eines einfachen Gesetzes gegossen werden soll, dass das eigentlich mit der klassischen Gefahrenabwehr gar nichts mehr zu tun hat, wie wir sie, seit den Tagen des preußischen Oberverwaltungsgerichts kennen, sondern, dass es sich hier eindeutig um eine Notstandsgesetzgebung handelt. Das ist nicht die herrschende Lehre, die meisten Staatsrechtslehrer, ich spreche manchmal von der apologetischen Fachliteratur, stehen auf dem Standpunkt, dass das, was wir erleben, eigentlich gar nichts Besonderes sei, sondern ganz alltäglich, weil der Staat ja immer schon Grundrechte durchgesetzt oder auf Grund von Gesetzen eingeschränkt habe, gerade, um eben die öffentliche Sicherheit zu schützen.
Der Unterschied scheint mir aber hier darin zu bestehen, dass millionenfach und als ganz normale herkömmliche Standardmaßnahme eben Nichtstörer, Nichtverdächtigte in Anspruch genommen werden, es gibt auch die Inanspruchnahme von Nichtstörern, im hergebrachten Polizeirecht, das muss dort aber die absolute Ausnahme bleiben, man spricht vom polizeirechtlichen Notstand, hier ist es die allgemeine Gefahrenbekämpfungsmaßnahme, des Millionenfachbürger, die nicht im Verdacht stehen, selber infiziert zu sein oder die Viren zu verbreiten, ihr Geschäft, ihre grundrechtlichen Freiheiten, auf unbestimmte Zeit aufgeben müssen. Es scheint mir der Sachverhalt eines Notstands zu sein, das wirft das Problem auf, dass wir im Grundgesetz eben keinen Notstandsvorbehalt haben, außerhalb des Verteidigungsfalles, wir haben hingegen die Regelung aus Artikel 19 Absatz 2 des Grundgesetzes. Es wundert mich, dass diese, in der bisherigen Debatte eine so geringe Rolle spielt, dort steht nämlich, in Artikel 19 Absatz 2, dass in keinem Falle ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden dürfe. Spielt bisher keine Rolle, sollte man vielleicht stärker in die Debatte miteinbeziehen.
Inzidenz als Maßstab ungeeignet
Weiterhin halte ich dafür, dass das Abstellen auf den sogenannten Inzidenzwert, also hier Inzidenzwert 100, der im Gesetzentwurf eine so große Rolle spielt, ungeeignet ist, um großflächige und hochintensive Grundrechtseinschränkungen zu begründen. Erstens heißt ja der Inzidenzwert 100, dass von 1.000 Personen einer positiv getestet wird. Es ist wissenschaftlich anerkannt, dass die positive Testung, wobei also ein Bruchstück der RNA, die für Corona-Viren als typisch gilt, eben im Hals dann aufgefunden wird, in millionenfacher Verstärkung wird das sichtbar gemacht, ab CT-Wert 30 haben wir eine milliardenfache Verstärkung so-gar, das ist durchaus gängig, und diese positive Testung, die zur Inzidenz wird, sagt bei symptomfreien Personen nichts darüber aus, ob diese irgendwie infiziert sind oder gar die Viren verbreiten können. Der PCR-Test ist sinnvoll, wenn man einen Patienten mit Symptomen hat, um rausfinden zu können, ob der eher Corona oder eher Virusgrippe hat, aber er ist nicht geeignet, um ein massenhaftes Screening der Bevölkerung durchzuführen. Das muss eigentlich jedem auffallen, weil ja abends, in der Tagesschau, immer absolute Zahlen genannt werden, die also in einer Woche dem Robert Koch-Institut genannt worden sind. Dabei fällt auch dem naturwissenschaftlichen Laien auf, dass diese abso-luten Zahlen völlig uninteressant sind. Interessant wäre immer nur ein Prozentsatz, egal wieviel man testet, ob Tausend oder Millionen – wie hoch war eigentlich der Prozentsatz der positiven Testungen? Wir erfahren absolute Zahlen und diese sind völlig beliebig, denn je mehr Tests ich durchführe, desto mehr richtige wie falsche positive Testungen werde ich haben. Wie gesagt, ohne Symptome ist es ei-gentlich belanglos, was ein Mensch im Hals hat. Es gibt auch sicherlich zahllose Personen, die mit die-sen Coronaviren inzwischen symbiontisch leben. Das wäre nichts Besonderes, das tun wir auch mit tausend anderen Viren. Das heißt, die können wir 15 Jahre lang testen, sie sind immer noch positiv, dann bleiben wir 15 Jahre im Notstand.
Was soll dieses Gesetz bringen?
Was ist denn nun eigentlich der Zweck des Gesetzes, was will der Gesetzgeber denn, was nun anders werden soll? Es ist herausge-stellt worden, dass die Maßnahmen keine neuen sind.
Warum dann dieses neue Gesetz? Da scheint es mir doch politisch eindeutig so zu sein, dass der Zweck des Gesetzes darin besteht, die Oberverwaltungsgerichte auszuschalten. Bislang konnte man gegen die Rechtsverordnungen, die zum Beispiel Ausgehverbote beinhalteten, nach § 47 der Verwaltungsgerichtsordnung vor die Oberverwaltungsgerichte ziehen. So hat zum Beispiel das OVG Lüneburg, das gerade ja diese Ausgangsbeschränkungen in Hannover klar ausgeschaltet mit der zutreffenden Beobachtung, dass nicht ansatzweise dargelegt worden sei, warum eine eigentlich eine nächtliche Ausgangsbeschränkung irgendetwas zu einer Reduzierung, war es, des Ansteckungsrisikos beitragen soll. Das wäre in Zukunft ausgeschaltet.
Die Verfassungsbeschwerde, das kann ich aus meiner anwaltlichen Erfahrung sagen, ist von vornherein keine besonders zuverlässige Rechtsschutzform. Es ist eigentlich gar kein Rechtsmittel, es ist eher ein Gnadenmittel.
Es bliebe nur noch die Verfassungsbeschwerde übrig. Und die Verfas-sungsbeschwerde, das kann ich aus meiner anwaltlichen Erfahrung sagen, ist von vornherein keine besonders zuverlässige Rechtsschutzform. Das würde ich etwas kritischer sehen als der Kollege Wollenschläger, vielleicht aus der größeren rechts-anwaltlichen Erfahrung. Das fängt schon damit an, dass die Verfassungsbeschwerde von der Zulassung zur Entscheidung abhängig ist. Es ist eigentlich gar kein Rechtsmittel, es ist eher ein Gnadenmittel. Und dann ist es eben gar nicht so einfach, eine zulässige Verfassungsbeschwerde in den Augen des Gerichts zu erheben.
Ausgangssperren: Erkennbar widersinnig ist, nicht geeignet, nicht erkennbar, dass es überhaupt etwas zur Lösung des Problems beitragen kann
Die weiteren verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den § 28b sind mannigfaltiger Natur. Ich mach es mal ziemlich kurz. Wir haben hier erstens einen Übergriff in die Kulturhoheit der Länder insofern, als dass der Bund hier regeln will, ab welchen Inzidenzwerten Schulen geschlossen zu werden haben. Das ist mir sehr zweifelhaft, dass der Bund das jemals darf, denn die Kulturhoheit bleibt bei den Ländern.
Es ist nicht erkennbar, was der Sinn dieses Ausgehverbotes eigentlich sein soll. Denn es sieht ja so aus, dass man die Menschen ermutigen müsste und dazu anhalten müsste, sich möglichst viel im Freien aufzuhalten und nicht etwa, wenn man sich verabreden will, um 21 Uhr schnell in einer engen Wohnküche zu verschwinden und dann auch noch dort zu übernachten, weil man ja nicht mehr auf die Straße gehen darf. Das ist gerade völlig kontraproduktiv. Davon mal abgesehen, das hat auch Herr Nagel als Sachverständiger aus dem naturwissenschaftlichen Bereich gesagt, und weiterhin, das ist auch richtig, darauf hat Christoph Möllers hinge-wiesen, nach dem schieren Wortlaut des Artikels 104 des Grundgesetzes, wo drinsteht, die Bewegungsfreiheit darf nur aufgrund eines Gesetzes, aber eben nicht durch ein Gesetz beschränkt wer-den, ist es schon zweifelhaft, ob das überhaupt durch ein Gesetz bewirkt werden könnte oder ob hier schon auf einer ganz einfachen formellen ver-fassungsrechtlichen Ebene, bevor man auch nur die Sinnhaftigkeit des Gesetzes diskutiert hat, das hier schon scheitern müsste. Davon abgesehen, ist das Ausgehverbot meines Erachtens übermäßig, weil es erkennbar widersinnig ist, gar nicht geeignet ist, überhaupt etwas zur Lösung des Problems beizutragen.