Tichys Einblick
Die Zahlen sagen: öffnen!

Unionsabgeordnete, wer traut sich zu rebellieren? Dann ist heute der Tag gegen den Lockdown!

Die Abstimmung zum neuen Infektionsschutzgesetz steht an. Die Fakten sprechen indes von Tag zu Tag eindeutiger für Öffnungen. Heute trennt sich die Spreu vom Weizen. Sieben Argumente gegen den Bundeslockdown.

IMAGO / Jens Schicke

Am Machtkampf um die Kanzlerfrage in der Union ist besonders eines so entlarvend: Dass es beide Seiten geschafft haben, das vergangene Jahr vollkommen auszublenden – und die anstehende Abstimmung über einen bundesweiten Ultra-Lockdown einfach beiseite zu legen. Nur so ist es möglich, dass ein Markus Söder, der nicht nur die beispiellose Einschränkung der Grundrechte, sondern auch die Entmachtung der Bundesländer vorantreibt, in dieser Partei „konservativer Hoffnungsträger“ genannt werden kann – nur weil er vor ein paar Jahren mal ein paar Kreuze aufhängen ließ. Aber diese entscheidende Abstimmung, sie ist heute. Wenn die Unionsfraktion oder nennenswerte Teile mutig sein und gegen das Parteiestablishment aufstehen wollen, dann nicht für Markus Söder. Sondern heute gegen dieses Gesetz! Gegen den Bundeslockdown.

Kandidat vor der Entscheidung
Heute kann Armin Laschet seine Eignung als Kanzler beweisen
Nach massiven Verfassungsbedenken haben die Koalitionsfraktionen ihren Entwurf zwar geringfügig angepasst. Doch nicht in der Substanz, nicht in der Einsicht, dass hier der Geist des Grundgesetzes auf den Kopf gestellt wird, sondern im Slalom um jene Punkte, bei denen sich ein Gericht möglicherweise ganz konkret einschalten könnte. Die Ausgangssperre wurde um eine Stunde verkürzt – wie gnädig. Das Gesetz ist befristet bis zum 30. Juni – sind ja nur ein paar Monate absolute Isolation. Der Bundestag muss weiteren Regierungsverordnungen nun doch zustimmen – immerhin. Dafür schließen Schulen ab einer Inzidenz von 165. Das ist nicht nur ein Angriff auf die Familien im Land, sondern auch eine Verhöhnung der Kritiker des Gesetzes. Denn die bemängelten insbesondere die reine Koppelung der Maßnahmen an den Inzidenzwert. Und während der Wert 100 immerhin optisch den Anschein eines Planes erwecken könnte, liegt bei 165 der Verdacht doch nahe, dass man den von den Schwingungen des Mondes und dem Stand der Venus abgeleitet hat.

Für das Gesetz gibt es keine Grundlage. Es ist nicht notwendig, nicht wirksam und damit automatisch nicht verhältnismäßig. Die Argumente:


Inzidenz? Da kann man auch gleich würfeln

Es gibt grundsätzliche Trends, die die Inzidenz systematisch verzerren. Beispielsweise der massenhafte Einsatz von Schnelltests, über den man schlichtweg keine Zahlen hat. Auf TE-Anfrage konnte man beim RKI nicht mal grobe Schätzungen vorlegen. Aus dem Alltag kann man aber wohl vermuten, dass die Zahl der Schnelltests die der PCR-Tests deutlich übersteigt – die Zahl der Gesamttests hat sich in den letzten Wochen dadurch also mindestens verdoppelt, wohl eher noch mehr vervielfacht. Da das RKI aber nur die Zahl der PCR-Tests ermittelt, kommt das in den Statistiken des RKI nicht vor. In den letzten Wochen erleben wir einen plötzlichen Anstieg der Positivenquote der PCR-Tests. Es ist zu vermuten, dass die bestehende Dunkelziffer an Personen, die das Virus in sich tragen, aber nicht weiter schwer erkrankt sind, so aufgelöst wird. Der Infektiologe Peter Kremsner kommt bei BILD zu dem Schluss: „Die vielen Schnelltests verzerren die offiziell angegebene 7-Tage-Inzidenz für Tübingen um 25 bis 50 Prozent nach oben. Je mehr getestet wird, desto mehr wird die offiziell berichtete Inzidenz hinauf getrieben.“

Triage auf den Intensivstationen? Ja, aber nein.

Die Zahl der gemeldeten Corona-Fälle auf den Intensivstationen steigt – allerdings nicht die Zahl der insgesamt belegten Betten. Das hat viele systematische Verzerrungen in der Meldestatistik zur Ursache. Vor allem durch den Pflegeschlüssel wird die Zahl der vorhandenen, einsetzbaren Betten radikal nach unten gefahren – in Wahrheit und im Notfall existieren diese aus der Statistik gestrichenen Betten aber trotzdem. Bedeutet: Im Ernstfall sind weitaus mehr Betten verfügbar, als angegeben wird. Das Personal ist dennoch überlastet. Mehr dazu hier.
Der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft Gerald Gaß sagte erst vor kurzem, dass kein Ende der Versorgung drohe und man nicht an der absoluten Belastungsgrenze sei.

Massenhaft Tote – wo denn?

Seit Wochen sind die Corona-Todeszahlen auf einem niedrigen Niveau. Es kommen zudem immer mehr Zweifel auf, wie viele dieser Toten tatsächlich ursächlich an und welche nur mit Corona gestorben sind. Seit Wochen gibt es laut Statistischem Bundesamt in Deutschland eine Untersterblichkeit im Vergleich zu den Vorjahren. Die Toten der zweiten Welle kamen aus den Hochrisikogruppen, ein Großteil (je nach Region bis zu 80 Prozent) aus den Altersheimen. Durch den Schutz der Heime mit Schnelltests wurden diese Infektionsketten gebrochen, Todeszahlen in der Dimension sind nicht abzusehen.

Die tödlichere Mutante? Ein Märchen

Neue Studien, die in „The Lancet Public Health“ bzw. „The Lancet Infectious Diseases“ veröffentlicht wurden, belegen, dass die angeblich so gefährliche Corona-Mutante gar nicht tödlicher als der Wildtyp ist.

„Long Covid“? Neue Studien geben Entwarnung

Eine großangelegte Studie hat Long Covid nun systematisch untersucht. Die in Nature Medicine veröffentliche Analyse, an der britische, amerikanische und französische Wissenschaftler u.a. vom King’s Kollege London und der Harvard Medical School mitwirkten, untersuchte die über eine App gemeldeten Symptome von 4.182 Corona-Fällen. Das Ergebnis: Etwa 13 Prozent der Infizierten haben nach über 28 Tagen noch Symptome, 4,5 Prozent nach über acht Wochen und lediglich 2,3 Prozent nach über drei Monaten. Eine andere bisher nur als Pre-Print veröffentlichte Studie, ebenfalls von Wissenschaftlern u.a. der Harvard Universität, kommt zu ähnlichen Zahlen. Und: Bei anderen viralen Erkrankungen würden Langzeitfolgen nahezu genauso oft auftreten. Der Schluss liegt hier nahe, dass die Wahrscheinlichkeit derartiger längerfristigen Symptome bei Covid-19 nicht wesentlich höher ist als bei der herkömmlichen Grippe, HMPV oder RSV.

Warten auf die Impfung? Sinnlos

Wenn die Impfung wirkt, ist sie eine gute Sache. Dann sind die Hochrisikogruppen bereits heute geschützt – warum man die junge Bevölkerung ebenfalls schützen muss, ist bei bis dato 17 Corona-Toten unter 20 nicht zu erklären. Wenn es Mutanten gibt, die bereits resistent gegen die Impfung sind, offenbart sich der grundsätzliche Fehler der Strategie. Wenn ein mutationsfreudiges Virus auftritt und man einen Lockdown bis zum Impfschutz durchzieht, dürfte das Spiel schnell wieder von vorne losgehen. Das ist eine Endlos-Spirale.

Einfach öffnen? Das Ausland macht es vor

Es gibt zahlreiche Länder die einfach öffnen. Texas hat alle Maßnahmen aufgehoben, die Stadien sind wieder geöffnet – zahlreiche weitere US-Bundesstaaten haben den Lockdown inklusive Maskenpflicht aufgehoben. Überall sind die Zahlen weiterhin auf niedrigem Niveau. In Großbritannien öffnen die Pubs – die Zahlen sinken. Schweden hat erst gar nicht geschlossen – nachdem man die Fehler im Schutz der Altersheime in der ersten Welle ausbesserte, lag man in der zweiten Welle bei den Toten im Verhältnis unter Deutschland.


Die Fakten liegen auf dem Tisch. Der Bundeslockdown bis in den Sommer hinein nützt wenig und schadet viel. Nicht nur den Menschen im Land, sondern auch unserer Demokratie. Wenn man das Grundgesetz so lax und gleichgültig auslegt, zieht man es öffentlichkeitswirksam in den Dreck und erschüttert das Vertrauen der Bürger in die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Heute geht es um alles. Und jeder muss sich entscheiden.

Anzeige
Die mobile Version verlassen