Maximilian Steinbeis sagt: Ich glaube, da hat Frau Röhl was missverstanden.
Das BVerfG verpasst der „Facebook-Zensur“ aber so was von überhaupt nicht einen Dämpfer
Die Entscheidung, die angeblich der Republik den Zensurungeist austreiben soll, betrifft tatsächlich einen Facebook-Eintrag, mit dem ein Mann einen Polizisten als „Spanner“ bezeichnet hatte, nachdem ihm dieser mit dem Auto in die Hauseinfahrt geleuchtet hatte. Die Strafjustiz hatte dies als üble Nachrede gewertet und das Wort „Spanner“ als Tatsachenbehauptung, die dem Polizisten perverse Neigungen unterstelle. Das kann man so nicht machen, findet das BVerfG. Denn wenn man eine Äußerung als Tatsachenbehauptung im Gegensatz zur Meinungsäußerung qualifiziert, dann beschränkt man damit den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Denn unwahre Informationen zu verbreiten ist natürlich keine grundrechtlich geschützte Tätigkeit. In dem konkreten Fall sei die Bezeichnung Spanner aber erkennbar nicht darauf gerichtet gewesen, die Öffentlichkeit über die sexuellen Praktiken des Polizisten fehlzuinformieren, sondern einfach ein Schimpfwort. Strafbar allenfalls als Beleidigung, nicht als üble Nachrede, und ob zu bestrafen und wie hart, muss das Amtsgericht halt jetzt neu prüfen.
Wie kommt Röhl darauf, dass Karlsruhe mit dieser für sich genommen nicht allzu bemerkenswerten Kammerentscheidung im Sinn gehabt haben könnte, „ganz beiläufig die rechtlichen Grenzen der übereifrigen Zensoren (…) in ihrer wahnhaften Drangsalierung von bis dato unbescholtenen Bürgern zwecks Durchsetzung ihrer ,politischen‘ Ziele“ aufzuzeigen?
Das passiert durch eine Kette aufeinander aufbauender Fehlschlüsse.
Meinungsfreiheit heißt nicht „darf ich sagen!“
Zunächst insinuiert sie, das Bundesverfassungsgericht habe es irgendwie für okay erklärt, Polizisten als „Spanner“ zu bezeichnen. „Jeder Mensch darf also seinen Unmut über das Verhalten oder Fehlverhalten eines anderen Menschen äußern„, ist ihr Fazit. „Alle Menschen dürfen Menschen sein und sich bei Fehlverhalten auch mal härter aufregen.“
Dabei unterschlägt sie, dass die nicht besonders lange BVerfG-Entscheidung, die sie offenbar durchaus sehr genau gelesen hat, am Ende folgende Passage enthält:
Damit ist nicht entschieden, dass die Bezeichnung des Polizeibeamten als „Spanner“ im Ergebnis von der Meinungsfreiheit gedeckt war, und schon gar nicht, dass der Beschwerdeführer den Polizeibeamten künftig beliebig als „Spanner“ bezeichnen könnte. Soweit es sich bei der Äußerung nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern naheliegender Weise um ein Werturteil handeln sollte, läge hierin jedenfalls eine Herabsetzung des Polizeibeamten und damit eine Beeinträchtigung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die nicht ohne weiteres zulässig ist.
Röhl kommt in eklatantem Gegensatz zu dieser Passage zu dem durch nichts belegten Schluss, es sei „ziemlich abwegig„, die Bezeichnung als „Spanner“ als strafbare Beleidigung zu werten. Damit nicht genug: „Leider befasst sich das Verfassungsgericht nur mit den angegriffenen Instanzenentscheidungen„, schreibt sie (womit denn sonst?), „und bietet so gesehen nicht die richtige Komplettlösung an„. Ja, leider, leider…
Argumentatives Manöver
Dieser Fehlschluss, das BVerfG habe den rechtlichen Spielraum zum „sich auch mal härter Aufregen“ ausweiten wollen, bereitet den Boden für den nächsten Fehlschluss.
Im Anschluss konstruiert Röhl eine Parallele zwischen dem „sich von dem Polizisten drangsaliert fühlende(n) Bürger“ einerseits, der sich nicht gern „von einem Polizeiauto nächtens ohne, dass er einen Anlass oder Grund gesetzt hätte, in sein Haus leuchten“ lässt, und dem wütenden Bürger andererseits, der sich nicht gern „von Privatunternehmen in sozialen Netzwerken zensieren (lässt), wenn er die regierungsamtliche Politik kritisiert„.
Warum das so parallel sein soll, wird nicht näher ausgeführt. Aber wenn man schon mal glaubt, das Bundesverfassungsgericht finde, man müsse Polizisten „Spanner“ nennen dürfen, und dann daneben hält, was das Bundesverfassungsgericht ganz gewiss findet, nämlich dass man die Regierung kritisieren können muss, dann leuchtet einem das Gesamtkonstrukt dermaßen ein, dass man überhaupt nicht merkt, dass man einem rhetorischen Trick aufgesessen ist. Und – schwupps! – landet man da, wo Röhl einen haben will: nämlich bei der Schlussfolgerung, man habe das Bundesverfassungsgericht beim Kampf gegen die „Facebook-Zensur“ fest an seiner Seite.
Was bei diesem argumentativen Manöver obendrein leicht verloren geht, ist der Blick dafür, dass in kritischen Äußerungen über die Flüchtlingspolitik der Regierung, soweit sie als Hate Speech qualifizierbar sind, nicht nur die Regierung vorkommt, sondern auch noch andere Menschen. Deren Recht auf Würde und Schutz vor Diskriminierung dürfte bei der Abwägung durch das Bundesverfassungsgericht doch vermutlich auch einiges Gewicht auf die Waage bringen.
Damit will ich es mal genug sein lassen. Ich habe mich bemüht, auf der argumentativen Sachebene zu bleiben. Dieses hämische Auseinandernehmen von Artikeln anderer mit dem Ziel, den anderen als Deppen und/oder Schurken hinzustellen, geht mir zunehmend auf die Nerven. Wir stecken doch sowieso schon alle viel zu sehr in unserer jeweiligen Filterbubble fest: für die meisten Leser_innen des Verfassungsblogs hätte ich vermutlich auch nicht mehr im Angebot als wohlfeiles Preaching to the Faithful, und die Leser_innen von Röhl und Tichy erreiche ich hier sowieso nicht.
Bettina Röhl antwortet Maximilian Steinbeis:
Na sowas!
Womöglich fühlt sich hier jemand auf seinen Verfassungsblogschlips getreten und überreagiert etwas arg. Es freut mich, dass Herr Steinbeis vom verfassungsblog.de meine Kolumne „Das Bundesverfassungsgericht verpasst der Facebook-Zensur einen Dämpfer“, die er angreift, der Sache nach voll bestätigt. Seine Einlassung, ich hätte behauptet, jeder dürfte einen Polizisten „Spanner“ nennen und zwar deshalb, weil es sich um ein Werturteil handelte, das grenzenlos zulässig wäre, hat mit meinem Text definitiv nichts zu tun. Ganz im Gegenteil.
Darf der Polizist überhaupt mit Autoscheinwerfern in den Hauseingangs eines Bürgers ohne Anlass und Grund hineinleuchten?
All diese Fragen habe ich gestellt und kenntlich gemacht, dass ich mich in Sachen Beleidigung zu einer eigenen journalistischen Meinungsäußerung in der Lage sah, da das Bundesverfassungsgericht selber, wie gesagt, zu diesem Aspekt, den die Instanzengerichte ja gerade trickreich umschifft haben, nichts gesagt hat.
Ich habe mich also in meiner Meinung über die Beleidigung oder Nicht-Beleidigung nicht auf das Bundesverfassungsgericht berufen und ergo auch nichts geschlussfolgert, weder richtig noch falsch. Und ich in der Tat, ich hielte den Begriff Spanner in diesem konkreten Kontext für „abwegig“. Wo ist das Problem.?
Zweitens habe ich ausdrücklich kenntlich gemacht, dass das Bundesverfassungsgericht sich nicht mit der Maas’schen Facebookzensur befasst. Und ich habe sogar noch den Halbsatz, „Um Mißverständnissen vorzubeugen“, dieser Feststellung vorangestellt, um kenntlich zu machen, dass ich einen faktischen Zusammenhang zwischen dem vom Verfassungsgericht entschiedenen Fall und der Praxis der Facebookzensur ganz tatsächlich sehe. Ja, ich sehe, dass das Urteil die Meinungsfreiheit stärkt, was per se in Zeiten, in denen der Zensurfinger nervös am Abzughahn fummelt, bereits ein Positivum ist.
Das Bundesverfassungsgericht sagt in ständiger Rechtsprechung, dass Überzeichnungen zulässig sein können, weshalb ja auch der Verfassungsblog, vollkommen zu Recht, feststellt, genauso wie ich es getan habe, dass der Entscheid des Bundesverfassungsgerichtes nicht sehr überraschend ist.
Der Denkfehler des Verfassungsblogs liegt klar darin, dass mit juristischer Verklausulierung meine journalistische Freiheit wahrscheinlich wegen nicht Passens meiner Meinung angegriffen wird. Ich nehme mir die Freiheit, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Korrelation zu der überbordenden unqualifizierten Facebookzensur in Sachen Hatespeech zu setzen. Und ich erlaube mir die journalistische Freiheit, das Urteil des Verfassungsgerichtes tatsächlich als Dämpfer gegen die Zensurwut zu interpretieren.
Ja, bei manch einem Hatespeech geht es nicht um Regierungskritik, sondern um andere Menschen, wie der Verfassungsblog sagt. Auch andere Menschen sind, wie ich ausdrücklich in Anlehnung an das Antidiskriminierungsgesetz formuliert habe, kritisierbar. Selbstredend im Rahmen der Rechtslage und der geltenden Gesetze, was denn sonst.
Deswegen ist auch die Belehrung der verfassungskonformen Grenzen von Grundrechten vollkommen neben der Spur. Die Unterstellung, dass ich für grenzenlose Beleidigung wäre, finde ich belustigend.
Ich gehe davon aus, dass nach der Forderung von Herrn Steinbeis, dass seine Kritik an meinem Kolumnentext bei TE veröffentlicht wird, nun auch meine Kritik an der Seinigen auf seinem Verfassungsblog erscheint. Soviel „Waffengleichheit“ und Fairness ist hier sicher selbstverständlich.
Und da das Wort Hatespeech in keinem Gesetz vorkommt und auch viele andere Schlagwörter der Zensoren in keinem Gesetz stehen, aber in der täglichen Zensurpraxis höchst relevant sind, gibt es erheblichen journalistischen Bedarf, sich diesem Komplex anzunähern. Es ist schade, dass der Verfassungsblog es offenbar nötig hat, die regierungsamtliche Facebookzensur dadurch zu sanktionieren, dass er darauf hinweist, dass es „rechte Kreise“ gäbe, die sich einer verfassungsrechtlichen Argumentation bedienten. Mit diesem Argument die ganze Verfassung abzuschalten, kann sicher nicht das Ziel des Verfassungsblogs sein, was soll das also?