Die Bundeskanzlerin unternimmt kaum erst den Versuch, ihr radikales Vorgehen plausibel zu begründen. Weiterhin gibt sie sich siegesgewiss, lehnt Änderungsvorschläge ab, antwortet meist gar nicht darauf. Doch im Vorfeld der Bundestagsdebatte gaben zahlreiche Verbände und Persönlichkeiten ein Statement zum Antrag ab – überwiegend sind sie kritisch.
Auch der Deutsche Landkreistag widerspricht in einem Brief an den Bundestag der Regierung deutlich. Bei dem Entwurf handele es sich „um ein in Gesetzesform gegossenes Misstrauensvotum gegenüber Ländern und Kommunen.“ Man ist ebenfalls der Ansicht, dass der Entwurf entgegen der Meinung der Koalitionsparteien im Bundesrat zustimmungspflichtig sei, da in den Kompetenzbereich der Länder massiv eingegriffen werde. Ausgangssperren und die reine Orientierung an der Inzidenz werden kritisiert, auch die geplante Aufhebung von Modellprojekten stößt auf Widerstand.
Kritische Stimmen: Krankenhausgesellschaft, Kinderärzte & ein Verfassungsrichter
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft stellt die Maßnahmen zwar nicht in Frage, stellt aber klar: „Trotz der aktuell sehr hohen Belastung für das Personal gehen die Krankenhäuser aktuell nicht davon aus, dass in den kommenden Wochen die schwere Belastung der Krankenhäuser mit Covid-Patient/-innen in der Fläche zu kompletten Ausfällen der notwendigen Patientenversorgung führt. Dringliche Fälle werden weiterhin adäquat behandelt werden können.“
Die Begründung der Regierung wird in vielen Punkten nicht als ausreichend angesehen, die Schulen könne man unter wirksamen Hygienekonzepten zumindest teilweise offen halten. Der Entwurf der Regierung enthält eine vollständige Schulschließung ab einer Inzidenz von 200 pro Landkreis.
Auch die rechtlichen Bedenken, die in den letzten Wochen von zahlreichen namenhaften Stellen geäußert wurden, bekommen nun eine weitere gewichtige Unterstützerstimme durch Robert Seegmüller, den Vize-Präsidenten des Landesverfassungsgerichts von Berlin. Er schreibt, dass das Kriterium der Inzidenz nur verfassungsgemäß wäre, wenn es sich als „sachgerecht, insbesondere nicht als willkürlich“ darstelle. Beides könne nicht ohne weiteres angenommen werden. Die Werte des RKIs würden auch von den „Zufälligkeiten der jeweiligen Teststrategie, der Zahl der Testungen und des Meldedatums je Landkreis“ geprägt. Aus der Inzidenz leite sich auch nicht unmittelbar die Gefährdung ab.
Nachdem gestern die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages schwere rechtliche Zweifel äußerten (das Dokument wurde von TE hier veröffentlicht) wird das Eis immer dünner für die Regierung. Der Bundeslockdown-Vorstoß wird nicht mehr nur aus gesellschaftlicher Perspektive angegriffen, sondern auch aus fachwissenschaftlicher und juristischer. Weiterhin verzichtet die Regierung bis dato darauf, eine umfassende Begründung vorzulegen, warum die geplanten Maßnahmen verhältnismäßig, notwendig oder wirksam sein sollten. Bis heute baut die, im Entwurfstext geschilderte, Begründung wesentlich auf die höhere Sterblichkeit der Virus-Varianten, die zuletzt aber in einer weitreichenden Britischen Studie eindeutig widerlegt wurde.