Tichys Einblick
Mittelstand in Gefahr

„Ein dritter Lockdown wäre der Knockout“ – ein junger Friseurmeister erzählt von der Angst

Im medialen Fokus steht jede noch so kleine Angst vor dem Virus – die vielen Menschen, die ihre Existenz verlieren, kommen kaum vor. Ein junger Unternehmer, der seinen eigenen Laden aufbauen möchte, berichtet von einer Branche am Abgrund, die im Stich gelassen wird.

Die Friseurbranche wird von vielen als privilegiert wahrgenommen – als einer der wenigen Geschäftszweige durfte sie vor kurzem öffnen. Neben der Gastronomie gibt es aber auch kaum eine so sehr vom Lockdown betroffene Branche, die weitgehend von Kleinunternehmern bestimmt wird. Nach einer aktuellen Konjunkturumfrage der Handelskammer sind 31,3 Prozent der Hamburger Unternehmen in schlechter wirtschaftlicher Verfassung und 96,6 Prozent der Gastwirte.

Wir sprachen mit einem jungen Friseurunternehmer, der seinen neuen Laden „Mighty Morris“ in Heidelberg kaum ohne Pandemie kennt. Er berichtet von der wirtschaftlichen Bedrohung, da kaum einer in der Branche etwas zurückgelegt hat, Hilfen ausfielen oder ewig verzögert ankamen. Und er erzählt von der großen, täglichen Angst. Zweimal musste man schon schließen, jetzt wird eine dritte Schließung diskutiert. Für viele wird es eng.


TE: Zur Zeit läuft wieder eine Debatte über die erneute, dritte Schließung, die auch die Friseure betreffen würde. Was würde das für Sie und die Branche bedeuten?

Morris: Es müssten definitiv noch mal viele Läden endgültig schließen – ein dritter Lockdown wäre der Knockout. Davor habe ich auch selbst große Angst. Ich habe meinen Laden noch nicht so lange. Wenn ich jetzt wieder für einige Monate schließen müsste – das wäre kritisch.

Wurde und wird Ihnen denn nicht geholfen? Die Regierung führt Plakatkampagnen durch, die für „Überbrückungshilfen“ werben …

Sagen wir es mal so: Es geht nur noch um Schadensbegrenzung. Ich habe von vielen Kollegen mitbekommen, die ihre Läden schon schließen mussten, viele weitere mussten Angestellte entlassen. Das hat nicht gerade wenige betroffen. Man muss dazu allerdings erwähnen, dass es gerade in unserer Branche einige Shops gibt, die etwas Geld schwarz zur Seite legen, und damit die Umsatzquoten in den letzten Jahren verfälschten und nun weniger Überbrückungshilfen erhalten. Diese Läden haben sich damit also ins eigene Bein geschossen.

Wie kommen die Hilfen denn bei Ihnen an? Es wird ja viel über die verzögerte Auszahlung von Hilfen gesprochen.

Wenn Anträge für Überbrückungshilfen gestellt werden, dann macht man das ja nicht erst in dem Monat, in dem man sie braucht, sondern einige Wochen im Voraus. Trotzdem haben viele Salons die Hilfsgelder für letztes Jahr erst vor wenigen Wochen bekommen. Da nützen die Hilfen recht wenig. Dementsprechend braucht man sich auch nicht zu wundern, wenn viele Betriebe im Einzelhandel das nicht überleben, da sie aus eigener Tasche keine finanziellen Möglichkeiten mehr besitzen, nennenswerte Rücklagen sind die Ausnahme. Und wenn das Unternehmen erst mal pleite ist, nützen die nachgezahlten Hilfen auch nicht mehr.

Die letzte Öffnung ist nur wenige Wochen her. Was waren Ihre Erlebnisse?

Als bekannt wurde, dass Friseursalons und Barbershops wieder aufmachen dürfen, war der Terminkalender für die erste Öffnungswoche schon Wochen vor der Eröffnung komplett ausgebucht. Der Andrang ist enorm und man merkt, dass die Leute danach ächzen, endlich wieder ihr Selbstwertgefühl durch einen Haarschnitt aufzupolieren.

Wie ist die Stimmung bei den Kunden, nachdem viele sich wochen- bis monatelang die Haare nicht schneiden lassen konnten?

Man merkt sehr stark, wie froh die Kunden sind, hier wieder im „Thron“ sitzen zu können. Haare sind nichts rein optisches, sondern haben auch einen starken Einfluss auf die Psyche. Eine Frisur, die auf jemanden maßgeschneidert ist, steigert, wie gesagt, das Selbstwertgefühl, man fühlt sich wohler in seiner Haut. Dementsprechend ist für viele Kunden, die hier reinkommen, die Erleichterung groß, dass sie sich endlich wieder die Haare schneiden lassen können. Wie genau sich das gefühlsmäßig äußert, ist sehr typenabhängig.

Welchen Einfluss hat das auf Friseure, so lange keine regelmäßige Tätigkeit zu haben?

Einen riesigen Einfluss. Es war definitiv für die meisten nicht nur ein finanzielles Problem, sondern irgendwo auch ein psychisches. Ich kann von mir sagen – aber ich denke, ich spreche da für sehr viele in meiner Branche – dass ich hinter meinem Beruf wirklich mit viel Passion stehe. Mir gibt der Beruf im Alltag einen gewissen Halt und Rhythmus. Uns wurde der Boden unter den Füßen weggerissen. Ich liebe es auch einfach, dass ich in meinem Beruf alle ca. 45 Minuten jemand neuen in meinem Stuhl sitzen habe und so mit verschiedensten Leuten ins Gespräch komme. Soziale Medien ersetzen richtige Face-to-Face-Konversationen einfach nicht. Dementsprechend war ich unglaublich froh, dass es wieder weitergehen konnte.

Es gibt diverse Hygienevorschriften – trotzdem mussten der Einzelhandel und die Friseure schließen. Die Haare müssen vor dem Schneiden gewaschen werden, Maske und Desinfektionsmittel müssen benutzt werden, Termine müssen im Vorhinein vereinbart werden, Kunden müssen manchmal draußen warten, wegen einer Quadratmeterregel und es gibt keine Bartdienstleistungen. Wie nehmen Sie das wahr?

Positiv war auf jeden Fall, dass viele Salons und Barbershops, die davor nicht wirklich hygienisch gearbeitet haben, nun eben dazu gezwungen wurden, entsprechende Vorschriften einzuhalten, zumal die Hygienestandards z.B. in England, wo ich Erfahrung sammeln konnte, bereits vor Corona höher waren als in Deutschland. Etwa das Verwenden von Desinfektionsmittel sollte man auch nach Corona beibehalten. Die ausfallenden Bartdienstleistungen sind für einige Barbershops schon suboptimal, zumal man sich auch Fragen kann, warum Zahnärzte weiterhin arbeiten dürfen, die wesentlich intensiveren Kontakt mit dem Mund des Kunden haben. Letzten Endes kann man es drehen, wie man will.

Was würden Sie sich in Bezug auf Corona in Zukunft von den Entscheidungsträgern wünschen?

Es ist klar, dass der Lockdown alles andere als von Vorteil für den Einzelhandel ist. Natürlich gab es für die Lockdowns Rechtfertigungsgründe – aber dann müssen wir einfach besser unterstützt werden. Wenn der Staat uns verbietet, unseren Job auszuüben, muss er uns mindestens soviel erstatten, dass wir nicht – unverschuldet! – pleite gehen. Es wird hier mit vielen Existenzen gespielt. Der große Mittelstand – das macht unser Land doch eigentlich aus. Der wird aktuell aber einfach fallen gelassen.


Von Manuel Freund. 

Anzeige
Die mobile Version verlassen