Israel feiert am heutigen Donnerstag seinen 73. Wiedergründungstag. Ein ungerades Jubiläumsjahr, aber umso auffälliger im zweiten Jahr einer Pandemie. In Deutschland werden gerade die Lockdownzügel durch ein strammes Infektionsgesetz straffer gezogen. In Tel Aviv und Jerusalem sitzen Israeli mittags im Restaurant und überlegen, in welcher Disco oder in welchem Theater man sich am Abend trifft. Die lokale Presse titelt: „Israel feiert fast frei von Corona“. Das alles muss doch einen Grund haben.
Als der Staat Israel am 14. Mai 1948 ausgerufen wurde, hatte US-Präsident Harry Truman kurz vorher der UN-Teilungs-Resolution für das damalige „Palestine“ zugestimmt, weil er sicher war: In 14 Tagen gibt es kein Israel mehr. Da hat sich der Boss der damals größten und einzigen Weltmacht mit all seinen hochrangigen Beratern kräftig getäuscht. 73 Jahre später wird der Feiertag in Israel um einen Tag vorverlegt – aus Gründen, die in einem 3.000 Jahre alten Buch gesetzmäßig verankert sind. Andernfalls würde der „Shabbat“ verletzt, der siebte Tag der Woche, an dem möglichst jeder und alles ruhen soll, keine schöpferischen Tätigkeiten verrichtet werden dürfen.
Präsident Truman war nicht der erste und ist nicht der letzte Schlaumeier, der den Eindruck vermittelt, er würde Israel und Nahost verstehen. Sie haben alle eines gemeinsam: Sie wollen nicht zur Kenntnis nehmen, dass Israel die unendliche Geschichte von einem Land, einem Glauben, einer Sprache, einem Volk und einer Vision ist. Damit ist alles im Fluss. Jede Beschreibung ist eine Momentaufnahme, die morgen schon ganz anders aussehen kann. Wichtig ist der Trend und der ist erfolgreich, auch vor, während und nach einer Pandemie.
Abzulesen ist das auch an den Investitionszahlen des Jahres 2020: Trotz der Corona-Pandemie flossen 9,9 Milliarden US-Dollar in Start-ups – immerhin 14 Prozent mehr als im Vorjahr – und bestätigen damit Israel als weltweites High-Tech-Zentrum. Die Start-ups und Technologiezentren kennen das Homeoffice aus Kostengründen schon seit langem. Kurzarbeit oder gar eine monatelange Bezahlung fürs Weniger-Tun gibt es nicht. Also wird weitergebastelt an den Algorithmen von Morgen, die Autos selbst fahren oder gar fliegen lassen.
Deshalb hat Benyamin Netanyahu – hätte übrigens jeder Ministerpräsident – ausreichend Impfstoff für 9,3 Millionen Bürger besorgt. Das ist die eigentliche Ursache, dass die Lockdown-Plage in Israel der Vergangenheit angehört. Israeli schauen nicht ängstlich gebannt auf eine mögliche, gefährlichere Mutation, sondern nehmen die ohnehin bekannte Herausforderung an. 70 medizinische Start-ups suchen nach einer helfenden Arznei. Diese Lebenshaltung ist Teil des jahrtausendealten Überlebenskampfes. Akteure und Zuschauer konnten deshalb bei den Feierlichkeiten am Herzl-Berg in Jerusalem am Mittwochabend agieren, als gäbe es keine Covid-19-Gefahr mehr.
Israel ist risikobewusst und -bereit. Kein Volk hat mehr Lebenserfahrung, aus fast nichts viel zu machen: 100prozentige Lösungen gibt es nicht, auch keine 100prozentige Gerechtigkeit. Diejenigen, die stur und uneinsichtig danach streben, sind lösungsfern, letztlich ungerecht und nehmen in einer Pandemie gnadenlos den Tod von Tausenden Mitmenschen in Kauf. Die täglich gemeldeten Zahlen der Corona-Toten sind in Israel seit langem meist einstellig, in Deutschland dreistellig.
Am Vorabend des 73. „Yom Hatzma´uth“ geht mit dem Sonnenuntergang traditionell der Gedenktag für die Gefallenen in allen Kriegen und Ermordeten bei Terroranschlägen seit 1948 zu Ende. Es sind aktuell 23.928 Männer und Frauen. Das entspricht ungefähr der Anzahl an Menschen, die in drei Tagen in Auschwitz ermordet wurden. Dieses Trauma lebt noch immer. Der wesentliche Unterschied: Das heute 73jährige Israel ist eine überzeugende Antwort auf Machtlosigkeit, Pogrome, Vertreibung und Verfolgung, Leben im Ghetto, Tragen eines Judensterns und Krematorien. Deshalb haben es Israeli in der Nacht mit schier endlosen Feuerwerken krachen lassen. Der Himmel strahlte und leuchtete mitten in einer Pandemie, die Israel wie die ganze Welt teuer zu stehen kommt. Hoffnung und Zuversicht zu Beginn des 74. Jahres der Wiedergründung leben.