Nehmen wir an, Sie arbeiten in der Satireabteilung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Eine gewisse Erschöpfung nach dem Abgang von Donald Trump macht sich breit: Das bisher wichtigste Ziel für Herrschaftskritik steht nicht mehr zur Verfügung. Im eigenen Land kann es selbstredend keine satirisch-quertreiberischen Kommentare zur Regierungsarbeit geben, das versteht sich von selbst, dafür sind die Zeiten einfach zu ernst. Im Gegenteil, es wächst die Notwendigkeit für die satirisch unterstützende Begleitung der Kabinettstätigkeit, oder, wie man sagen könnte, Regierungspositivity. Wer je in der Satirebranche seine Brötchen verdienen musste, der weiß: Nichts ist so schwer wie die Anfertigung konstruktiver Witze. Und derart undankbar. Das Ergebnis sieht immer so elegant aus wie eine Jeans vom VEB Jugendmodekombinat „Shanty“ Rostock 1980. Und kostet trotzdem unendlich viel Arbeit.
Zur Planerfüllung gibt es aber auch bei der heute-show keine Alternative.
Los geht’s in vier einfachen Schritten: So gelingt das Schmunzeln mit Haltung.
1. Die real existierenden Regierungsvorhaben bilden die Basis Ihrer Satirearbeit. Auf dem Programm steht bekanntlich die Änderung des Infektionsschutzgesetzes, das es künftig der Bundesregierung erlaubt, nach Inzidenzwerten Lockdowns inklusive Ausgangssperren zentralistisch zu verfügen. Gegner des Vorhabens, Wissenschaftler, Richter, Verfassungsrechtler, behaupten unter anderem, dass Ausgangssperren gegen das Infektionsgeschahen nicht nur nichts nützen, sondern sogar kontraproduktiv sind, sie schüren also schlechte Stimmung in einer Lage, die Mitmachen und Zusammenstehen mit Abstand erfordert.
Schreiben Sie also als Mitarbeiter der heute-show erst einmal hin, worum es geht:
„Die Bundesregierung beschließt die Änderung des Infektionsschutzgesetzes.“
Der eine Quertreiber, selbsternannte Faktenfinder respektive Witzbold, den es in jeder Abteilung gibt, sogar im Team der heute-show, weist darauf hin, dass die Regierung keine Gesetze oder Gesetzesänderungen beschließt, sondern das Parlament. Rein formal betrachtet stimmt das sogar. Und sehen Sie: Aus dem Einwurf lässt sich etwas machen, der konstruktiv-satirische Onliner ist schon fast fertig.
Mit der Satireabteilung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verhält es sich ähnlich wie mit dem Parlament: Es handelt sich um ein Relikt, heute würde man beides nicht mehr einführen, wenn man noch einmal ganz von vorn anfangen müsste. Aber es gibt diese Institutionen nun mal. Umso wichtiger, dass sie den Betrieb nicht aufhalten, sondern mitmachen.
2. Das tun aber im Fall des Parlaments nicht alle. Einzelne Abgeordnete der FDP etwa kündigen an, gegen das geänderte Infektionsschutzgesetz zu klagen, sollte es so kommen. Konstruktive öffentlich-rechtliche Satire ist immer auch helfende Kritik, in diesem Fall an der FDP: sie könnte noch rechtzeitig einsehen, dass sie fast in die Falle der Oppositionshaltung getappt wäre. In den zwei Wochen bis zur Verabschiedung des Gesetzes hätte sie Zeit, noch einmal in sich gehen. Schreiben Sie also genau das hin: „Mehrere Mitglieder der FDP wollen dagegen klagen.“ So spießen Sie mit spitzer Feder auf, was schief läuft. Ihre konstruktive Satire ist jetzt fast komplett.
3. Es fehlt aber noch etwas, so komisch das vielleicht klingt. Die Pointe. Sie muss aus Konventionsgründen an das Ganze drangeschraubt werden, so wie weiland die Nieten an die Shanty-Jeans. Schreiben Sie also:
„Mehrere Mitglieder der FDP und das Coronavirus wollen dagegen klagen.“
Das Gesetz ist das Gute Infektionsbekämpfungsgesetz, wer als selbsternannter Oppositionspolitiker dagegen vors Bundesverfassungsgericht ziehen will, das es ja übrigens auch noch gibt, besorgt das Geschäft des Coronavirus, das in Wirklichkeit, haha, gar nicht klagen kann. Nein, das war jetzt nur die interne Erklärung. Das sollen sie nicht auch noch dazuschreiben. Ihr konstruktiver Witz ist nämlich schon fertig. Raus damit auf Twitter!
4. Falls Ihnen jetzt ihre innere Quertreiberstimme sagt: dieser Onliner ist so schlecht, dass ihn ein Halbtalentierter noch zehnmal umschreiben müsste, bevor er ihn wegschmeißt: Ja, das ist so. Wie gesagt, die Herstellung von konstruktiv- vorwärtsweisenden Schmunzelerzeugnissen ist saure Arbeit. Deshalb hier zwei aufmunternde Beispiele, wie Kollegen zu anderen Zeiten und unter ähnlich schwierigen Bedingungen ihre Aufgaben gelöst hatten:
Andererseits: Sie arbeiten für den Frischen Wind, frischen Welke, die heute-show. In dieser Funktion tragen Sie einen Shanty-Jugendmodeanzug, quatsch, Sie tragen Verantwortung. Von Ihnen zu verlangen, dass Sie etwas konventionell Witziges produzieren, das wäre ungefähr so, als würde jemand von Prince Philip erwarten, dass er Schwanensee tanzt, ob nun vor oder nach dem 9. April 2021. Obwohl er das wahrscheinlich besser hinbekommen würde als ein deutscher Staatsfunkmitarbeiter einen Scherz. Nein, konstruktive Satire ist die Kunst, die Regierung zu unterstützen, und zwar in einer Sprache, die alle Kabinettsmitglieder verstehen. Dafür ist Ihr Witz bestens geeignet, erforderlich und angemessen. Vielleicht lacht nicht jedes Mitglied. Dafür lacht Heiko Maas grundsätzlich dreimal: einmal, wenn er den Twitterwitz der heute show liest, einmal, wenn er ihn erklärt bekommt, und noch einmal, wenn er ihn verstanden hat.
5. Für 86 Cent mehr Rundfunkgebühren pro Zahler und Monat wäre Ihr Witz natürlich noch qualitätsvoller ausgefallen. Das wird uns allen gern der Leiter der ARD-Satireabteilung, Herr Patrick Gensing, bestätigen. Aber auch für 17,50 hat ihr Tweet Weltniveau. Wie ARD-Intendant Tom Buhrow und die Bundeskanzlerin sagen: „Die Leute lieben das, was wir machen, und zwar alles.“