Tichys Einblick
WELT AM SONNTAG Nr. 32

Ein Sommer auf und ab

Neue Romantik, Betreutes Ich, Verdrängung des Prinzips Hoffnung, neue Zuwanderungsgewinnler, seine Trumpness und schrumpfende Parteien. Dieser Sommer hat wie Regen und Sonne für jeden etwas. Nur nicht immer, was er mag.

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Bernd Zeller

Da die Sonne wieder scheint, wollen wir es der WeLT AM SONNTAG nicht nachtragen, dass der Titel nicht hält, was er verspricht: „Ist die neue ROMANTIK unsere Rettung?“ Die Fotos der Titelstory retten den Text. Ja, sicher, auch jetzt wieder steckt das Motiv Sinnersatz in vielen Büchern und überflüssigen Kommerzangeboten, sich die Natur in die Stadt zu erholen oder sich in ihr zu erholen oder nur die neue Ausgabe der Landlust zu holen. Da habe ich im kurzen Gespräch von Wolfgang Herles mit Juli Zeh über ihren Gesellschaftsroman „Unterleuten“ mehr erfahren. Vielleicht sollte ich ihn lesen.

„Das Comeback des Eskapismus hat mit Verdrängung zu tun. Eine klassische Überlebensstrategie, wenn alles zu viel wird.“ Da hat Vize-Chefredakteur Beat Balzli gewiss recht. Dazu passt Henryk M. Broder, der in seinem Essay sagt, nicht das Prinzip Hoffnung bestimmt das menschliche Verhalten, sondern die Verdrängung. Angela Merkel bis Papst Franziskus beschuldigt er der Verdrängungs-Täterschaft.

Irgendwie passt auch die Story ins Bild: „Eine ausgewachsene ÜBERRASCHUNG“. Eine Studie, die demnächst publiziert wird, zeigt in den Tauglichkeitsuntersuchungen der Bundeswehr seit 1956, dass die 19-Jährigen in 54 Jahren im Durchschnitt 6,48 Zentimeter größer geworden sind. Seit den 90er-Jahren wachsen die Jungs nicht weiter in die Länge, sondern in die Breite.

Auch zur neuen Stadtflucht und zum Eskapismus passt „Das BETREUTE Ich“ im Wirtschaftsteil: „Eine ganze Industrie hilft den verunsicherten Deutschen, sich selbst zu optimieren. Für Fitness, Styling, Karriere gibt es Hilfe von Beratern – und ein paar Scharlatanen.“ Dazu wiederum passt auf seine Weise der kurze Einspalter: „Ohne Ausländer läuft auf dem Bau nichts mehr“: Die Branche ist von 1,4 Millionen Beschäftigten 1995 auf gut 760.000 geschrumpft, der Bauarbeiter alten Stils war gestern, drei von vier sind Fachleute. Die Unternehmen bedienen sich aus dem Reservoir der in Spanien, Portugal und Polen wegen der dortigen Immobilienkrisen freigewordenen Qualifizierten. Deutsche Lehrlinge sind kaum zu finden, „gerade einmal 10.000 neue Lehrverträge“ wurden bundesweit abgeschlossen, viel zu wenig in der Personalnot. Ausländische Subunternehmen sind der Ausweg. Ein Drittel der Migranten wären mit ihrem Alter zwischen 18 und 25 gerade richtig. Aber wann davon wie viele infrage kommen, ist ungewiß.

Ob diese Personalreserve von einer anderen Entwicklung positiv beeinflusst werden wird, ist zu bezweifeln. „Flucht in die BRUCHBUDE“ im Buch FINANZEN & WOHNEN beschreibt eine weitere Abteilung Migrationsgewinnler. Wohnungen aus den 60er-Jahren, die kaum je renoviert wurden, haben „im Einkauf vielleicht nur 300 Euro je Quadratmeter gekostet“, die Gemeinde muss aber den „Sozialmietensatz 5,25 Euro … für Schrottimmobilien bezahlen“. In solchen Wohnungen braucht es außerdem neue Betreuungsdienste, das nächste große Geschäft.

Verstehen kann ich die WamS auch, dass sie ihre Story „Trump der Schreckliche“ auf der Fronseite nur anteasert: Sie malt aus, was Trump angesichts seines mehrfachen Ausspruchs, „warum haben wir Atomwaffen, wenn wir sie nicht einsetzen“, als Präsident mit dem Atomknopf anrichten könnte. In der Geschichte fehlt mir der Hinweis darauf, dass alle Präsidenten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs über die US-Militärmacht verfügen wie weiland die absoluten Monarchen Europas – an der amerikanischen Verfassung vorbei.

Für die Karikatur von Bernd Zeller statt der Abbildung der Titelseite als Bild des heutigen Sonntagslesers habe ich mich entschieden, weil die WamS sechs Mitbürger zu Wort kommen lässt, die neu in Parteien eingetreten sind. Die Überschrift, „Sie tun es TROTZDEM“, beantwortet die Frage bereits und wird von Zahlen des Mitgliederschwunds der Volksparteien untermauert: „Seit 1990 haben sie zusammengenommen die Hälfte … verloren … von 2,4 auf 1,2 Millionen … Wenn der Trend anhält, müsste … um das Jahr 2040 der letzte Genosse im Willy-Brandt-Haus das Licht ausmachen.“ Beim Thema Parteien könnten Aust und Balzli bei ihren Kollegen etwas zum Übergang von der Parteiendemokratie zur Massenmedien-Demokratie in Auftrag geben. Das gäbe einen umfangreichen und tiefschürfenden Titel.

Ob es dieses Jahr noch richtig Sommer wird, wissen auch die Meteorologen nicht. So viel Sonnenschein wird zwischen dem Regen schon sein, dass wir uns genug Grün gönnen können – ganz ohne die Betreuungsindustrie. Ich schaue eben raus und sehe Berge und blauen Himmel. Wisst ihr was? Ihr könnt mich alle mal gern haben. Ich sehe gleich mal nach, was die Pilze machen oder wie die Österreicher sagen, die Schwammerln.

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