Entschuldigung Sie bitte, eigentlich hätte die Rezension der Osteransprache des Deutschen Bundespräsidenten vom Samstag längst hier bei TE erscheinen müssen, aber es gibt Aufgaben, vor denen man sich windet wie ein Aal, denen man aus dem Wege geht, um sie dann erst auf den letzten Drücker zu erledigen.
Die Fernsehansprache von Frank-Walter Steinmeier zu Ostern steht in der Tradition solcher Ansprachen zu Weihnachten oder Neujahr. Der Jahreswechsel nicht, aber die Terminierung solcher Reden an den christlichen Hochfeiertagen sind ein Hinweis auf die christliche Tradition dieses Landes und des Kontinents. Es gab allerdings – erfährt TE bei Nachfrage in der Pressestelle des Bundespräsidenten – einmal einen Wechsel. Denn von 1949-1960 hielten traditionell der Bundeskanzler die Weihnachtsansprache und der Bundespräsident die Neujahrsansprache, aber Gustav Heinemann und Willy Brandt hatten Lust zu tauschen und dann blieb es eben dabei.
Um schneller durchzukommen mit Steinmeiers Ansprache verzichten wir hier auf eine Mutmaßung, wie lange es solche Ansprachen an diesen christlichen Feiertagen noch gibt, bis sich Minderheitenorganisationen in Deutschland darüber empört zu Wort melden.
Das RKI jedenfalls vermeldete gerade wieder sinkende Todeszahlen und ein relevanter Klinikleiter gab sogar Entwarnung, was eine mögliche Überlastung seiner Intensivbettten angehen würde. Dass steigende Zahlen positiver Tests keine Relevanz mehr haben als Argument für eine Verschärfung der Maßnahmen, hat schon verstanden, wer erkannt hat, dass es keine entsprechende Zahl der insgesamt durchgeführten Tests gibt. Die Tests im Home-Office haben die Möglichkeit für solche Vergleichszahlen zuletzt schon ganz eliminiert. Also vermisst auch niemand die peinlich-düstere Anbetung solcher Zahlen durch erwachsene Menschen – Wissenschaftler! – ,die ein Student aus Bayern mal eben im Vorübergehen ad Absurdum geführt hatte.
„Ein Gefühl von Ohnmacht und Frust macht sich breit“, Steinmeier spricht weiter von einer Krise des Vertrauens. Insbesondere deshalb würde er sich an uns wenden, sagt er. Aber warum so kompliziert? Mit einem Rücktritt wäre schon geholfen, möchte man hier schon grinsend einwerfen – nicht sofort spürbar im Portemonnaie, aber doch als Gefühl der Genugtuung beim verunsicherten Bürger. So ein Zeichen hätte Steinmeier setzen können, anstatt uns zu belehren, dass Vertrauen zwischen Staat und Bürgern auf folgender Übereinkunft baiseren würde: „Du, Staat, tust Deinen Teil, ich Bürger tue meinen.“ Hofft der Bundespräsident hier etwa, so ein pseudo-alturistischer Aphorismus könnte mit seinem Brandzeichen den Weg in die Geschichtsbücher finden? Will Steinmeier etwa mit so etwas die Zeit überdauern? Um Himmelswillen, warum schießt er die Nachricht nicht gleich als präsidiale Botschaft ins Weltall?
Es bleibt eine Spur drüber: Von einer „historischen Krise“ spricht Steinmeier und hofft wohl dabei, die Deutschen hätten unter dem Eindruck der Corona-Maßnahmen (nicht der biologischen Folgen der Corona-Pandemie) die wirklichen historischen Krisen davor vergessen, die Vertrauenskrisen, die schon in ein massives Misstrauen übergingen und nur deshalb nicht zum Machtwechsel führten, weil die Pandemie dazwischen kam und sich die Umfragewerte vorrübergehend erholten, ein bekannter Effekt übrigens in Krisenzeiten, in denen das Volk für den Moment den starken Staat wünscht – ein Moment, der aber längst vorbei ist, die Umfragewerte der Regierungsparteien sind im Sinkflug.
Die Bürger erinnern sich sehr wohl daran, dass der Bundespräsident die empfindlichen Einschränkungen der Grundrechte seiner Bürger – so massiv wie seit Republiksgründung nicht – ohne mit der Wimper zu zucken auch noch in Rekordtempo unterschrieben hat, schneller noch als er „Feinesahnefischfilet“ aufsagen hätte können. Aber wer so mit den Rechten der Deutschen umgeht, wohlwissend, auf was für eine Verwerfung diese Bundesrepublik 1949 aufgebaut wurde, der macht sich bereits verdächtig, der nährt so Verschwörungstheorien, von denen in diesen Zeiten die eine oder andere ihre Vorläufigkeit als Theorie schon wieder verloren hat – verfestigt im kollektiven Gedächnis als Wahrheit.
Die Pandemie würde uns den Spiegel vorhalten, sagt der Bundespräsident und versucht damit wohl, irgendwelche für Deutsche typischen Ängste und Verhaltensweisen herauszuarbeiten. Ja, da wo es passt, ist deutsch sein für den hohen Herrn mit bestimmten Chraktereigenschaften verbunden, üblicherweise mit negativen. Allerdings sieht man in besagtem präsidialen Spiegel etwas ganz anders, als den tumben Deutschen – dort wird vor allem die Unfähigkeit und das vollumfängliche Versagen der politischen Klasse in Deutschland wiedergespiegelt – im Zentrum der Osterredner selbst, der Scharfmacher, der Oberspalter der Nation, Frank-Walter Steinmeier himself.
Der Präsident meint, wir sollen die Politik auffordern: „Rauft Euch zusammen!“. Das ist ganz intelligent eingefädelt von ihm. Dann nämlich, wenn dieses Zusammenraufen eigentlich nur eine Werbung für kollektives Gehorsam der Ministerpräsidenten in der Runde mit Angela Merkel bedeutet. Pfiffig ist er der Sozialdemokrat, so ums Eck rum haben ganz früher die besten Betriebsräte für ihre Belegschaft den verkniffenen Unternehmern etwas abgerungen – aber was für ein schräges Bild angesichts unseres amtierenden Bundespräsidenten dessen herausragendste Leistung vielleicht darin bestand, einmal öffentlich und im Garten der präsidalen Villa den Glamcountry-Rockern von BossHoss eigenhändig Pflaumenkuchen aus der Hofküche serviert zu haben. Ja, Steinmeier ist bekennender BossHosser, aber die Sympathiewerte schwingend deshalb auch kaum höher.
Steinmeier fordert in seiner Osterrede ein Ende der Debatte: „Der Streit darf nicht zum Selbstzweck werden.“ Und der Präsident greift zur bewährten Durchhalteparole: „Raufen wir uns alle zusammen liebe Landsleute. Holen wir raus, was in uns steckt.“ Aktuell allerdings merken vor allem die, die sich um alle Ecken herum verbiegen, wer unbeeindruckt von der Krise versucht, alles aus den Bürger rauszuholen, was noch in ihnen steckt: beispielsweise das Finanzamt. Die Vollstreckungsankündigungen kommen weiter ohne terminliche Verzögerungen, schließlich muss auch die laufende große Sause irgendwann von irgendwem bezahlt werden, also warum nicht gleich?
Die endgültige Zahl der Suizide in Deutschland wird für 2020 erst im Herbst 2021 bekanntgegeben. Nur eine Galgenfrist für die politische Klasse, die gerade „Zurücktreten“ zu einem Fremdwort erklärt hat. Am Ende sei Vertrauen nichts anderes, sagt Steinmeier, „als uns selbst vertrauen“. Welch Zynismus!
In Rekordzeit wären, so Steinmeier, Impfstoffe entwickelt worden, „ganz wesentlich hier in Deutschland“. Aber der einzige und wesentliche Mehrwert, der sich nun daraus ergab, ging durch Steinmeiers Hände in Form eines Bundesverdienstkreuzes für jene, die hier zwar ausgebildet und mit hunderten von Millionen Euro Steuergeldern subventioniert wurden, aber bisher zu wenig Impfstoff für Deutschland abgeliefert haben.
Klar, auch eine Impfaufforderung steht noch auf Steinmeiers Waschzettel zu Ostern. Und weil es so schleppend läuft mit allem in Deutschland, fragt Steinmeier seine Landsleute: „Warum muss es in Deutschland eigentlich immer der Superlativ sein – himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt?“ Mindestens diese Frage allerdings ist schnell beantwortet: Die Deutschen sind eben Meister im Anpacken, dafür bewundert sie die Welt. Aber sie lacht auch schallend über unsere Politiker. Also himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt, so einfach. Und diese Politik verändert sich nicht durch „Zusammenraufen“, sondern durch „Entlassen“ der Unfähigen.
„Wir sind aber auch nicht Totalversager. Sondern wir sind die Bundesrepublik Deutschland.“ Wir, wir, wir: Wir haben nicht versagt. Sie repräsentieren die Versager. Das Versagen liegt bei der Politik. Nein, Frank-Walter Steinmeier, die Bundesrepublik, das sind wir – alles andere gerne bei Ihnen und ihren politischen Freunden. Und achten sie bitte darauf, dass ihnen die Kerze nicht runterbrennt, die sie neulich für die Gefallenen – ach Quatsch – für die Corona-Verstorbenen so medienheischend ins Fenster ihrer Villa gestellt haben. Frohe Ostern nachträglich.