Tichys Einblick
Paris

Verweis auf Prophet Mohammed in Dantes „Göttlicher Komödie“ gecancelt

Um nicht „unnötig zu verletzen“, wurde in einer niederländischen Adaptation der danteschen „Hölle“ der Verweis auf den Propheten Mohammed gestrichen. Die französische Tageszeitung „Le Figaro“ macht sich Sorgen über den Triumph der Politischen Korrektheit, die ausschließlich das abendländische Erbe im Visier habe.

IMAGO / imagebroker

In der französischen Tageszeitung „Le Figaro“ äußert sich der Historiker Christophe de Voogd, der an der Elite-Universität Sciences Po in Paris und Brüssel lehrt, kritisch über den jüngsten Versuch, klassische Literatur zu zensieren. Dabei geht es um die neue niederländische Übersetzung beziehungsweise Adaptation der „Hölle“ von Dante, bei der der Verweis auf den Propheten Mohammed gestrichen wurde, „um nicht unnötig zu verletzen“.

Selektive Neuschreibung der Vergangenheit

Der Spezialist für niederländische Geschichte sagt, wir hätten es hierbei nicht mit einer Entscheidung religiöser Autoritäten oder staatlicher Stellen, sondern mit einer des Verlegers zu tun, also mit einem „Akteur der Zivilgesellschaft“. Dieser „rührt nicht an Äußerungen eines lebenden Autors, sondern am literarischen Erbe selbst“, und damit an einem der literarischen „Leitsterne der abendländischen Kultur“, an der „Göttlichen Komödie“ Dantes. Es gehe dabei daher um eine „echte selektive Neuschreibung der Vergangenheit à la Orwell“. Damit gehöre sie tatsächlich „in eine ganze Reihe jüngster Ereignisse, die Filme, Bücher und schulische und universitäre Lehrpläne betreffen: die Durchsetzung einer Cancel Culture, die all das vorschreibt, was ‚Gefühle verletzen‘ kann“ – hier die Gefühle der Muslime, „die in diesem Fall indes nichts gefordert haben“.

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Streng genommen handele es sich dabei aber, so fährt de Voogd fort, nicht um eine Übersetzung, sondern um eine Textbearbeitung für junge Leser, die eine Spezialität des neuen und sehr kleinen niederländischen Verlagshauses Blossom Books ist: „Die Übersetzerin bzw. Bearbeiterin ist übrigens überhaupt keine Italienisch-Expertin. Doch die Tatsache, dass es sich um einen zweiten Vorfall nach wenigen Wochen Abstand zu dem Verzicht einer weißen Übersetzerin, das Gedicht von Amanda Gorman zu übersetzen, zeigt, dass sich die Woke-Kultur in den Niederlanden ausbreitet“.
Triumph der neuen politischen Korrektheit?

Es gehe dabei um „Selbstzensur“. Werde das nun zu einer „entschlossenen Reaktion der Anhänger der Meinungsfreiheit führen“, fragt sich de Voogd, „oder hingegen zum Triumph der neuen politischen Korrektheit – durch eine Kombination aus Angst und Feigheit?“ Doch es sei hierbei noch mehr im Spiel: der ganze „Rummel um die ‚Sensibilität‘“, um die Gefühle der einen oder anderen, „beruht tatsächlich auf einer tiefen literarischen und historischen Unkenntnis, deren Fortschritte ich tagtäglich konstatiere“.

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Diese Unkenntnis beziehe sich dabei zunächst darauf, was Literatur eigentlich sei. Dann aber auch auf eine „Unkenntnis des Textes von Dante, der in seine Hölle unzählige Päpste und Helden wie auch Homosexuelle schickte, die daher ebenfalls eine Säuberung fordern müssten, um ‚nicht verletzt zu werden‘.“ Und aus Dante einen „Islamophoben“ par excellence zu machen, „wird all jene aufheitern, die die Würdigung Saladins oder Averroes‘ in seinem Gedicht kennen“. Schließlich widersetze sich dieses Buch „mit einer starken esoterischen Inspiration, das auf der gesamten antiken Mythologie und der christlichen Spiritualität fußt und in dem es von Details über die politische Realität Italiens der 1300er-Jahre nur so wimmelt, einer verkürzenden Lektüre und ebnet seit Jahrhunderten den Weg für zahllose Interpretationen“.
Die moralische Gartenschere in der Hand

Darüber hinaus müsse man sorgfältig über eine „Kontextualisierung“ wachen, „die oftmals darin besteht, unsere ‚armen‘ Vorläufer dafür zu entschuldigen, dass sie noch nicht unsere ethische Vortrefflichkeit erreicht haben. Daher fürchte ich jedoch, dass dies den permanenten Anachronismus nicht wirklich infrage stellt, die die Woke-Kultur ausmacht, die mit den Werten von heute mit einer moralischen Gartenschere in der Hand die Vergangenheit – inklusive der allerentferntesten – neu interpretiert“. Speziell, die „Vergangenheit des Abendlandes, denn merkwürdigerweise scheint sich ja niemand aufgrund von Homophobie, Rassismus oder Frauenfeindlichkeit in anderen Kulturen ‚verletzt zu fühlen‘“, meint de Voogd.

Diese Selektivität sei in seinen Augen „das Zeichen eines politischen und nicht wissenschaftlichen Unternehmens, das zunächst von den Abendländern selbst ausgeht, und das sich ausschließlich gegen all das richtet, was das abendländische Erbe ausmacht, was man wohl eine Form des kulturellen Selbstmordes nennen müsste“. Unbestreitbarer Beweis dafür sei, dass „derzeit besonders auf die klassischen Studien und das christliche Erbe abgezielt wird in einer Zivilisation, die nach den Worten von Valéry auf dem zusammengefassten Vermächtnis von ‚Athen, Rom und Jerusalem‘ begründet ist“. Doch die Göttliche Komödie „ist zweifellos eine der symbolhaftesten und vollendetsten Ausdrucksformen dieser drei Vermächtnisse, die von Dante meisterlich vereint und neu interpretiert wurden“.

Dennoch hoffe de Voogd darauf, dass die Reaktionen auf die Entscheidung des Verlages Wirkung zeigen könnten.


Dieser Artikel von Jürgen Liminski erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.

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