„Sehr viel unterschiedlicherer Meinung als wir hier gerade sind, kann man ja eigentlich kaum sein“, sagt Markus Lanz zum Eingang der Sendung. Dann folgt die erste Frage: Würden Sie sich mit AstraZeneca impfen lassen? „Ja, natürlich“ sagen alle Gäste – der Diskurs lebt. Man muss aber zugeben: so ruhig bleibt es nicht lange. Denn in der Liga der Charmebolzen wird nicht nur geflirtet, sondern auch gefetzt, was das Zeug hält. „Gott nehmt euch endlich ein Zimmer!“ möchte man den Bildschirm anschreien. Kein Wunder, dass die Sendung von Lanz lange nach der Familiensendezeit ausgestrahlt wird.
Im Zentrum der Sendung steht die Virologin Melanie Brinkmann. Die Corona-Muse von Frau Merkel spielt die Rolle der etwas verschusselten, aber aufgebracht und besorgten Wissenschaftlerin exzellent. Die Männerherzen schmelzen dahin, das merkt man daran, dass die anderen wie verliebte Schuljungen kichern, jedes Mal wenn Brinkmann Sätze wie „Ich rede jetzt!“ ausruft, oder zugibt, dass sie den Faden verloren hat. Ihre Gedanken scheinen sich zu überschlagen und die anwesenden Männer schauen ihr fasziniert dabei zu. Dabei wäre etwas Opposition gar nicht schlecht gewesen. Denn sie hat nicht an Radikalität eingebüßt und schwört uns auf weitere Jahre der Pandemie ein.
Dabei schraubt sie sich langsam hoch. Erst sagt sie: „Die Wahrheit ist, dass wir im Sommer mit dieser Pandemie nicht durch sind“. Dann geht sie ein Schritt weiter: „Dieses Jahr noch nicht.“ Ganz beiläufig, einfach so. Dann erklärt sie, dass eine Impfquote von 50% nicht reichen wird. Selbst bei einer Impfquote von 70% haben wir in Deutschland immer noch ein Problem, wenn Corona in den anderen Ländern der Welt noch wütet. Dagegen sagt niemand was – und da wären wir dann wieder beim Thema Diskurs. Na toll, wenn wir erstmal die ganze Welt von Corona heilen müssen, bis wir endlich „neue Freiheiten“ in Deutschland bekommen, dann wird das dieses Jahrtausend ja nichts mehr.
Hätten wir bloß auf mich gehört
Dann geht sie dazu über, Michael Kretschmer, den Ministerpräsidenten von Sachsen anzugreifen, obwohl der ja nun auch alles andere als ein Lockdown-Kritiker ist. Aber statt auch nur irgendeine Bemerkung in ihre Richtung zu machen, lässt Kretschmer die Standpauke Brinkmanns über sich ergehen. Die inszeniert sich derweil zu der einzigen Stimme der Vernunft, auf die ja niemand gehört hat.
Im direkten Vergleich hat die andere Frau im Studio – die Journalistin Anja Maier – die Ausstrahlung eines aufgekochten Kamillenteebeutels. Sie übt sich auch in Kritik an der Politik, aber hier lässt ihr das keiner so einfach durchgehen. Kretschmer untermalt ihren Beitrag mit reingerufenen Neins und Kubicki tut ihn als „die Narrative von Journalisten, die ihre Artikel voll schreiben müssen“ ab.
Am Ende der Sendung hat jeder einmal mit jedem gestritten, nur Frau Brinkmann bleibt fein raus, kann austeilen, muss aber nicht einstecken. Entscheidend ist aber nicht, ob heute oder morgen geimpft wird. Entscheidend ist, ob es sich beim Lockdown noch um Monate oder doch schon um Jahre dreht. Während Melanie Brinkmann sich offen hält, was nächstes Jahr die Corona-Lage sein wird, gibt es keinen Einspruch. Bis nächstes Jahr bleibt Corona mindestens noch, das ist selbst in dieser Runde mit so vielen unterschiedlichen Meinungen (laut Lanz) Konsens.
Kretschmer wird noch etwas genauer. Sein Ziel ist, dass der Sommer 2022 so „unbeschwert“ wie der Sommer 2020 wird. Nein, nicht der Sommer 2019, sondern der letzten Jahres. Der einzige Zeitraum im letzten Jahr, wo wir keinen Lockdown hatten, aber wohlgemerkt wurde von Reisen abgeraten, überall war Maskenpflicht und soziale Kontakte waren zwar nicht direkt verboten, aber schon verachtet – und die ganze Zeit wurde ein neuer Lockdown herbeigeredet. Wenn das die neue Definition von „unbeschwert“ ist, dann gute Nacht.