Tareq Alaows ist 2015 aus Syrien nach Deutschland gekommen und hat hier um Schutz gebeten. Er wollte jetzt für die Grünen in den Bundestag und wurde auch als Kandidat in Oberhausen-Wesel III (Wahlkreis 117) nominiert. Seine Themen sind Flucht und Migration, er setzt sich für Organisationen wie Seebrücke (sichere Fluchtwege nach Deutschland) ein und kritisiert Teile der deutschen Gesellschaft für ihren Rassismus. Für seine Kandidatur muss er zwingend Deutscher sein, aber nicht zwingend dort wohnen, wo er sich um ein Direktmandat bemüht – Tareq Alaows lebt in Berlin. Gestern hat er seine Kandidatur zurückgezogen.
Zeit Online titelte am Mittwoch, Alaows sei „der erste Geflüchtete, der für den Bundestag kandidierte.“ Aber es gilt: Die deutsche Staatsbürgerschaft ist laut § 15 Bundeswahlgesetz Grundvoraussetzung – spätestens am Wahltag, muss der Gewählte Deutscher sein.
Alaows hat, so erfahren wir von einer Pressesprecherin der Beauftragten der Bundesregierung für Integration, einen Antrag gestellt auf „Ermessenseinbürgerung“. Dazu heißt es auf der Website der Bundesregierung: „Wenn eine der gesetzlichen Voraussetzungen für die Anspruchseinbürgerung fehlt, entsteht kein Rechtsanspruch auf den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Es gibt aber auch die so genannte Ermessenseinsbürgerung. Sie gibt den Einbürgerungsbehörden die Möglichkeit zu einer positiven Entscheidung, wenn ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung besteht und einige Mindestanforderungen erfüllt sind.“ Ob dies geschehen ist, konnte die Sprecherin nicht sagen.
Jetzt hat Alaows also seine Kandidatur zurückgezogen. Der Grund dafür soll einer Pressemitteilung der Grünen zufolge eine Bedrohungslage gegen ihn und seine Familie sein. Laut Außenminister Heiko Maas (SPD) ist das „erbärmlich für unsere Demokratie“. Alaows wäre laut Maas „der erste aus Syrien Geflüchtete, der für den BT kandidierte“. Aber auch Maas macht nicht klar, ob Alaows schon Deutscher ist, um kandidieren zu können. Vollkommen unabhängig übrigens davon, ob die Grünen in Oberhausen-Wesel ihn als Direktkandidaten nominiert haben. Denn auch die Nominierung bleibt eine reine Willenserklärung.
Alaows wohnt zwar in Berlin und nicht in Oberhausen, aber ein Direktmandat für die Bundestagswahl ist nicht an den Wohnort gebunden – der muss laut Bundeswahlgesetz nur in Deutschland liegen.
Warum also jetzt der Rückzug? Die Medien bekommen dazu Informationen in einer Pressemitteilung auf der Website der Grünen in Dinslaken.
Erstaunlich in den Folgestunden nach Veröffentlichung der Grünen: Ganz gleich, welche der berichtenden Zeitungen man online dazu liest, im Wesentlichen wird die Pressemeldung wiedergegeben und eine Empörung angeheftet. Recherche zum Fall selbst: vielfach Fehlanzeige. Die Grünen aus Dinslaken vermelden die Rückzug von Alaows von seiner Kandidatur. Alaows begründet diesen Rückzug umfangreich in der Pressemitteilung:
„Die hohe Bedrohungslage für mich und vor allem für mir nahestehende Menschen ist der wichtigste Grund für die Rücknahme meiner Kandidatur. (…) Meine Kandidatur hat gezeigt, dass wir in allen Parteien, der Politik und der Gesellschaft starke Strukturen brauchen, die strukturellem Rassismus entgegentreten und Betroffenen helfen. (…) Die große öffentliche Aufmerksamkeit für meine Kandidatur hat gezeigt, was für uns, geflüchtete Menschen, möglich sein kann. In unserer Gesellschaft mangelt es leider an diskriminierungsfreien Räumen in allen Bereichen des Lebens. Es ist an uns allen, dies konkret in unserem Umfeld anzugehen und zu verändern. (…) Ich danke allen, die mich auf diesem Weg begleitet und unterstützt haben! Ich habe viele Situationen erlebt, die mir große Hoffnung gegeben haben – sowohl in der Partei als auch außerhalb. Unglaublich viel Unterstützung von Einzelpersonen, aus der Zivilgesellschaft und auch aus meinem Team. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar!”
Aber was genau ist Alaows, seiner Familie oder Freunden und Bekannten im Zusammenhang mit seiner Bewerbung passiert? Die Grünen aus Dinslaken sprechen nur unkonkret von einer „angespannten Sicherheitslage“, die eine Kandidatur unmöglich gemacht hätte.
Noch verwirrender: Nachfragen der Presse sind nicht erwünscht. Denn weiter heißt es dort: „Aufgrund des Schutzes von Herrn Alaows und seines privaten Umfelds zieht sich Herr Alaows für einen gewissen Zeitraum aus der Öffentlichkeit zurück. Deswegen steht weder er noch sein Team für Nachfragen zur Verfügung. Wir bitten Sie um Respekt vor dieser Entscheidung und von weiteren Anfragen bis auf weiteres abzusehen.“
Schutz wovor?
Die Bild berichtet, nach Auskunft eines Parteisprechers habe es „anonyme Morddrohungen gegen die Familie des Politikers in Syrien gegeben“ für den Fall, dass Alaows an der Kandidatur festhalte. Wohlgemerkt: „in Syrien“.
Den anderen berichtenden Medien und Politikern wie Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und Heiko Maas (SPD) reicht die Pressemitteilung dennoch völlig aus, um von Erbärmlichkeit zu sprechen wie Maas, beziehungsweise den Rückzug der Kandidatur „hochgradig beschämend für unsere demokratische Gesellschaft“ zu finden wie Göring-Eckardt via Twitter. Wissen die beiden mehr über das, was die Grünen nicht erzählen und wonach sie nicht gefragt werden möchten?
Um nur ein Beispiel aus den Medien zu nehmen: Die Frankfurter Rundschau schreibt „trotz seines von Rassist:innen erzwungenen Rückzugs“ hätte sich der Kandidat bei seinen Unterstützern bedankt. Was weiß die Zeitung mehr, außer, was die Grünen in Dinslaken geschrieben haben und warum übernimmt sie es ungeprüft?
Pressefragen, die auch die Umstände genauer betrachten könnten, sind von den Grünen und Alaows, wie schon erwähnt, nicht erwünscht. Aber Polizeidienstellen haben Pressestellen, die dazu befragt werden können. Also ruft TE in Dinstlaken/Wesel an, um zu erfahren, was genau die Bedrohungslage war, die Tareq Alaows zur Absage seines Vorhabens, für die Grünen in den Bundestag zu kommen, bewegt hat. Die zuständige Pressesprecherin der Polizei in Dinslaken/Wesel weiß von keiner Anzeige und von keinen Ermittlungen des Staatsschutzes. Für Staatsschutzdelikte sei man auch nicht zuständig, es hätte aber auch keine Weiterleitung gegeben.
Also probiert es TE, wie vorgeschlagen, in Duisburg. Tatsächlich sei etwas im Zusammenhang mit Tareq Alaows reingekommen, so die Auskunft der Polizei in Duisburg. Allerdings wäre man sich noch über die Zuständigkeit uneins. Vielleicht ginge der Fall auch nach Berlin, dem Wohnort des mutmaßlich Geschädigten, heißt es.
TE will genauer wissen, um was für eine Bedrohungslage es sich handelt und erfährt immerhin, dass es sich um Vorfälle auf Facebook handele. Über weitere Details erfahren wir aber vorerst nichts. TE soll aber bitte am Folgetag, also heute früh, noch einmal in Duisburg bei der Pressestelle nachfragen. Machen wir. Und erfahren, dass keine Anzeige der Grünen oder von Alaows vorliege. Ein Antragsdelikt läge nicht vor, erfahren wir. Inwieweit der Staatsschutz von sich aus aktiv wird, bleibt von Seiten der Pressestelle der Polizei Duisburg im Moment unklar. Was war aber nun auf Facebook, wie im ersten Gespräch mit der Polizei Duisburg erwähnt? Heute will man dazu nichts mehr sagen.
Man kann die Zustände in den sozialen Medien grundsätzlich bedauern: Und auch, wer sich gegen den Löschwahn in diesem Medien stellt, weiß um den Unterschied zu einer dort geäußerten Bedrohung, die ja geahndet werden muss – sogar unabhängig von ihrer Ernsthaftigkeit. Aber um über diesen Fall berichten zu können, braucht es weiterhin viel mehr als nur die dünne Pressemeldung der Grünen.
Es braucht deutlich mehr Informationen, um beispielsweise auch Rechtsextremisten zu vermuten oder gar islamistische Extremisten ausschließen zu können, denen das politische Engagement der Grünen und von Alaows missfallen könnte.
Dann allerdings wären Anwürfe, wie sie Maas und Görung-Eckardt geliefert haben, allenfalls Mutmaßungen. Es wäre für die Einschätzung des Falles hilfreich gewesen, die Grünen und Alaows hätten hier konkretere Angaben gemacht. Aber wo selbst die Nachfrage nicht erwünscht ist, kommt man in keine Richtung weiter. So erfährt man auch nichts darüber, was aus dem Einbürgerungsantrag geworden ist, dessen Genehmigung für die Kandidatur zwingend notwendig gewesen wäre.
Bei der Polizei liegt jedenfalls keine Anzeige vor. Fragen über Fragen und deutsche Politiker von Maas bis Göring-Eckardt, die selbst diese bedauerliche Entwicklung parteitaktisch in den Wahlkampf zerren.