Die Reaktionen auf das „gendergerecht“ reformierte online-Wörterbuch des DUDEN sind schwerwiegend. Frau Dr. Kunkel-Razum befindet sich in einer prekären Lage. Aus ihren Reaktionen liest man heraus, dass sie sich wohl nichts lieber wünscht, als das unselige Projekt ungeschehen zu machen. Das geht aber nicht. Die Missgeburt hat das Licht der Welt erblickt und inzwischen vermutlich auch Säcke an Geld verschlungen. Jetzt wird zurückgerudert, um den Schaden abzumildern. Es sei ja alles gar nicht so gemeint gewesen. Das generische Maskulinum gäbe es nach wie vor, usw. Diese rhetorischen Abwiegeleien sind natürlich, folgt man der Logik des DUDEN, einen Pfeifendeckel wert. Die DUDEN-Regelung schafft das generische Maskulinum ab. Punkt. Alles andere würde die Verfertigung dieses neuen Meilensteins in der Beschreibung des Deutschen auf Kasperltheater reduzieren. Und einen Fasnachtsscherz wird Frau Dr. Kunkel-Razum wohl nicht beabsichtigt haben. Meines Erachtens wäre der würdigste Ausstieg, das Projekt einzustampfen und sich bei den Geldgebern für die Pleite zu entschuldigen.
Das gender-linguistische Problem: Sie sind alle vom Genus her maskulin. Und es gibt zu keinem von ihnen eine etablierte feminine Ableitungsform. Man denke nur das Beispiel Feigling und das was einen erwarten müsste: Feiglingin, Feigline, Feigleuse, Feigtesse. Alle bestenfalls als ad-hoc Bildungen für Sprachscherze zu gebrauchen.
An vielen Beispielen kann man sehen, dass das Substantiv auf -ling trotzdem keinerlei Probleme bei der Anwendung an weibliche Personen verursachen. Ein Satz wie: Der Säugling Waltraud schaute voller Aufmerksamkeit in die Kamera, würde wohl auch härteste Verfechter und Verfechterinnen der Gendergerechtigkeit semantisch nicht aus dem Gleis werfen.
Bei Heinrich Mann heißt es über die Taufpatin Cathérine, Schwester des Königs Heinrich IV, anlässlich der Taufe seiner Tochter auf den Namen Cathérine-Henriette: Nach den wohlgelungenen Gliedern des Täuflings beschrieb sie das Kissen, auf dem er … lag … Obwohl es um ein Mädchen geht, nimmt die Grammatik darauf Bezug mit der maskulinen Form Täufling und folgerichtig auch mit dem Pronomen er. Auch bei einem weiblichen Täufling scheint es also keine ernsthaften Probleme zu geben.
Was also tun? Das neue DUDEN-Wörterbuch findet sich in der Klemme und muss einräumen, dass sich Säugling auch weiterhin auf ein weibliches Neugeborenes beziehen darf. Wer aber gehofft hatte, dass das das letzte Wort zu den Substantiven auf –ling war, sieht sich getäuscht. Als Nachbareintrag für Fremdling wird nämlich nun – ich schwöre es – die Fremdlingin aus der Tasche gezogen.
Der DUDEN schwindelt damit das Wort Fremdlingin in den Wortschatz des heutigen Deutschen hinein. Man fragt sich, wieso es dann keine Feiglingin, Häuptlingin, Lehrlingin gibt. Wenn selbst eine Politikerin der Grünen sagt, sie hätte als kleines Mädchen gerne „Indianerhäuptling“ gespielt, muss an der prinzipiellen semantischen Unverfänglichkeit der maskulinen Form ja etwas dran sein. Die Tatsache, dass es zu den Substantiven auf –ling im Deutschen keine separate feminine Form gibt, eine solche aber durch Anhängen von –in möglich wäre, beweist, dass diese Substantive auf alle natürlichen Geschlechter bezogen werden können.
Sätzen wie: Wenn meine Tante kein solcher Feigling wäre, hätte sie ihren Mann längst rausgeworfen, haftet nichts merkwürdiges an. Für Feiglingin und dergleichen gibt es offenbar nicht den geringsten Bedarf. Für Fremdlingin natürlich auch nicht. Man findet jederzeit Beispiele wie: Freda kann uns nachdenklich machen, denn sie war selbst ein „Fremdling in unserem Land“. Ein Kommentator schreibt daher sehr richtig, dass sich Substantive auf -ling gemeinhin auf beide (oder mehr) Geschlechter beziehen, und dass „alle Genderisierungen hochgradig albern wären“: https://dict.leo.org/forum/viewGeneraldiscussion.php?idForum=4&idThread=1445344&lp=ende&lang=de.
Angsthäsin und Drückebergerin sind in meiner DUDEN-Ausgabe von 1989 noch nicht zu finden, obwohl man sie bilden kann. Bei Angsthase und Drückeberger erfährt man dort, dass es „jemand, ist der …“. Die Definition besagt, es kann sich auf einen Mann aber jederzeit auch auf eine Frau beziehen. Das Geschlecht eines Menschen, dem die Furchtsamkeit eines Hasen zugeschrieben wird, schien bislang keine Rolle gespielt zu haben. Analoges beim Drückeberger, beim Feigling, beim Fremdling usw.
Wer aber dennoch meint, die Movierung dieser Formen könnte einen emanzipatorischen Nutzen haben, sollte sich dann im Sinne der logischen Geschlossenheit auch gleich um die stets maskulinen Personenbezeichnungen kümmern, die aus Imperativsätzen entstanden sind: Gottseibeiuns, Habenichts, Haudrauf, Taugenichts, Tunichtgut, Schlagetot, Springinsfeld. Hier wird’s dann wirklich eng.
Aber vielleicht findet ja das DUDEN-Team um Dr. Kunkel-Razum einmal einen Literaturbeleg für Habenichtsin, oder Tunichtgutin oder für Springinsfeldin. Anne Will würde sicher viel dafür geben, ihr Millionenpublikum mit gendergerechten Kreationen beglücken zu können wie etwa in: Das Finanzamt nimmt selbst den HabenichtsɁinnen ihre letzten Notgroschen ab.
Josef Bayer, Prof. em. für Allgemeine und Germanistische Linguistik
Universität Konstanz