Es gibt politische Bücher, die sind schon nach ein oder zwei Jahren überholt. Manche These hält nur einen Sommer. Doch das Buch „Wohin treibt unsere Republik? Wie Deutschland links und grün wurde“ von Rainer Zitelmann ist sogar nach mehr als einem Vierteljahrhundert noch lesenswert. Es enthält hellsichtige zeitgeschichtliche Analysen und Aussagen, die erklären können, wie und warum wir in der linksgewendeten Merkel-Republik gelandet sind. Und das, obwohl Zitelmanns Buch 1995 erschien. Nun hat er 2021 eine Neuauflage mit einem neuen Vorwort herausgebracht.
Schon zu Kohl-Zeiten waren die Tendenzen zu einer fatalen Linksverschiebung der Republik absehbar. Mit einer Vielzahl an teils entlarvenden Zitaten erklärt Zitelmann die wichtigsten Treiber. Die 68er hatten schon seit den 1980ern und verstärkt in den 1990ern entscheidende Schaltstellen in Medien, Politik, Universitäten und Kirchen besetzt. Obwohl die Grünen damals noch eine relativ kleine Partei waren, bestimmten sie den Zeitgeist und konnten die Meinungsführerschaft erringen – mit freundlicher Unterstützung der ihnen wohlgesonnenen Medien. Zitelmann verweist auf Umfragen, dass schon 1994 die Mehrheit der parteinahen Journalisten der SPD, den Grünen und der PDS (heute Linkspartei) zuneigte. Schon damals setzten sie den Bürgern penetrant ihre linken Themen vor und sorgten dafür, dass andere wichtige Themen, die der Political Correctness widersprachen, tabuisiert wurden.
Zitelmann ist Historiker, die zeitgeschichtlichen Analysen gehören zu den stärksten Seiten des Buchs. Den Aufstand von 1968 benennt er zurecht als fatalen „Bruch“ in der Entwicklung der demokratischen Bundesrepublik, 1968 war ein Schicksalsjahr. Der antitotalitäre Konsens von Adenauer und Schumacher, der die Demokratie wehrhaft sowohl gegen Nationalsozialisten als auch gegen Kommunisten verteidigte, wurde aufgeweicht. Zitelmann zeigt, dass es eine Legende ist, dass zuvor die NS-Vergangenheit nicht aufgearbeitet worden sei. Die 68er aber nutzten und instrumentalisierten die „Vergangenheitsbewältigung“, um die Republik radikal umzugestalten.
Zwar gelang es den Ultralinken von 1968ff., den kommunistischen, maoistischen und sonstigen marxistischen Splittergruppen aus den Universitäten, nicht direkt, die Republik zu stürzen. Aber sie haben nach und nach wichtige Institutionen infiltriert, die Universitäten, die Medien, die evangelische Kirche; ihr parteipolitisches Vehikel war erst die SPD, dann die Partei „Die Grünen“. „Misst man die 68er-Revolte an ihren utopischen Zielen wie z.B. der Errichtung einer revolutionären Rätedemokratie, dann ist sie gescheitert“, schreibt Zitelmann. „Misst man ihren Erfolg an den faktischen Wirkungen, die sie auf die bundesdeutsche Gesellschaft hatte und hat, dann war sie eine Revolution von radikaler Durchschlagkraft und Veränderungspotenz.“
Anhand vieler Beispiele zeichnet er nach, wie es zu einer „Erosion der Abgrenzung“ zwischen Sozialdemokraten und kommunistischen Gruppen kam. Die neomarxistische Frankfurter Schule eroberte weite Teile der Universitäten. Die DDR wurde systematisch schöngeredet, die Bundesrepublik dagegen als Vorhölle eines neuen „Faschismus“ denunziert. Wer sich für die Namen und Organisationen interessiert, die seit den 1960ern wühlmausartig die Fundamente der freiheitlich-bürgerlichen Republik zu untergraben versuchten, wird in Zitelmanns Buch eine Fundgrube sehen.
Der Epochenbruch 1989/1990, als die DDR und der Ostblock kollabierten, war für die Linke eine historische Niederlage, ein Schock, den sie nicht erwartet hatte. Nicht der Kapitalismus, sondern der Sozialismus war an inneren Widersprüchen gescheitert und zusammengebrochen.
Das Fenster für die Wiedervereinigung öffnete sich. Zitelmann zeigt, wie die Linken noch versuchten, die Wiedervereinigung zu verhindern. Seit mindestens den späten 1960ern hatten Intellektuelle den „Status Quo“ der Teilung schöngeredet, nun brach für sie eine Welt zusammen. Die Linke war 1989/1990 tief frustriert. In Frankfurt organisierten die antinationalen Einheitsgegner, darunter in führender Rolle eine Grünen-MdB, im Mai 1990 eine Demonstration mit 20.000 Teilnehmern unter dem Motto „Deutschland muss sterben, damit wir leben können.“ Die Grünenabgeordnete Siggi Fries rief: „Wir wollen kein Selbstbestimmungsrecht der Deutschen, weil das ein Selbstbestimmungsrecht der Imperialisten ist.“
Die Wiederherstellung eine geeinten deutschen Nationalstaats war für diese Linke die Höchststrafe. Man erinnert sich vielleicht, dass Claudia Roth ein paar Jahre später bei einer Demonstration hinter einem großen Transparent „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“ lief. Parteichef Robert Habeck bekannte, er habe „Vaterlandsliebe stets zum Kotzen“ gefunden. Nur wenige Linke reagierten 1990 mit selbstkritischer Reflexion ihrer Irrtümer.
Faszinierend und erschreckend ist es bei Zitelmann zu lesen, wie die Linke nach ihrer historischen Niederlage 1990 schon sehr schnell – nach einer Schrecksekunde – wieder in die Offensive kam. Das Thema „Ausländerfeindlichkeit“ und der „Kampf gegen Rechts“ waren für sie die Vehikel für ein Comeback. Und zur Überwindung des Nationalstaats arbeiteten sie an „Europa“ – nicht einem Europa der Vaterländer, sondern an einem europäischen Bundesstaat.
Zitelmanns Buch ist heute selbst ein kleines Zeitdokument. Die Versuche damals, eine „demokratische Rechte“ von Intellektuellen aufzubauen, trafen auf eine geradezu hysterische Abwehr der Linken. Die Autoren des Sammelbandes „Die selbstbewusste Nation“ – herausgegeben von Heimo Schwilk und Ulrich Schacht – wurden in den Feuilletons dämonisiert. Zitelmann meinte damals, die demokratische neue Rechte habe Erfolgschancen. Kurz darauf wurde er selbst bei der Tageszeitung „Die Welt“ abgesägt, der von ihm als Cheflektor geleitete Ullstein-Verlag machte nach seinem Abgang eine Linkswende.
Worüber man mit Zitelmann durchaus streiten kann, ist seine Einschätzung der Frage, ob es jenseits von CDU und FDP eine demokratische Rechtspartei geben sollte. Er war und ist skeptisch. Sicherlich hat er klug analysiert, dass – im Gegensatz zur Nachsicht der linken Medien mit den Irrungen und Wirrungen der Grünen – bei einer Rechtspartei alles sofort skandalisiert und denunziert wird. Eine Partei wie die AfD zieht auch extremistische und wirre Elemente an. Der in Medien erhobene Vorwurf des Rechtsextremismus werde zur „self-fulfilling prophecy“, meint Zitelmann.
Aber muss man vielleicht auch konstatieren, dass die FDP heute zu schwach und wohl ein hoffnungsloser Fall ist, und dass die Union zu weit in die linke Mitte gerutscht ist, als dass von ihr noch eine Korrektur des Linkstrends der Republik zu erwarten wäre. Trotz massiver Anfeindungen in den Medien hält sich die AfD bis heute erstaunlich solide. Man sollte ihr eine Chance geben. Die Dominanz der Linksgrünen in unserer Republik wird sonst dauerhaft weiterbestehen.
Rainer Zitelmann, Wohin treibt unsere Republik? Wie Deutschland links und grün wurde. Books on Demand, Norderstedt 2021, 266 Seiten, 19,99 Euro.