Erst ist er ganz toll, dann nicht mehr ganz so, jetzt wieder doch – der AstraZeneca-Impfstoff hat eine Achterbahnfahrt hinter sich. Das Image hat sich mit den Ereignissen der letzten Tage wohl nicht gerade verbessert. Das muss jetzt geändert werden und dafür ist Maybrit Illner am Start, mit sechs Gästen, die alle nicht diskutieren ob, sondern wie man AstraZeneca am besten impft. Eine Art Werbeblock im Talkshow-Format, gepaart mit der Aussicht: „Die dritte Welle wird schlimmer als alle zuvor“. Und dass der monatelange Lockdown uns davor nicht schützen konnte, liegt lediglich daran, dass er nicht hart genug war. Dabei spielt sich ein Arzt zum Politiker auf und ein regierender SPDler verwechselt sich mit der Opposition – während der Vertreter der Grünen, Boris Palmer, dafür kritisiert wird, wofür eigentlich die Regierung verantwortlich wäre.
Er war im Grunde der Star der Sendung – das würde er selbst auch sofort bestätigen. Lauterbach kann einpacken, wenn Frank Ulrich Montgomery in die Stadt kommt – hier kann es nur einen Sheriff geben. Und der Vorstandsvorsitzende des Weltärztebundes hat mit den ganz scharfen Geschossen vorgelegt, sodass es Lauterbach in der darauffolgenden Lanz-Sendung schwer fallen wird, nachzulegen. Während Lauterbach Politiker und nebenbei Mediziner ist (wobei er zu ersterem zumindest gewählt wurde und das zweite ja studiert hat) ist Montgomery Mediziner und nebenbei Hobby-Politiker. Dafür braucht er in keiner Partei zu sein und muss auch nicht gewählt werden – der Frankie, der fühlt das einfach. Und so attackiert er Boris Palmer und die Beschlüsse der Grünen, als wären die in der Regierungsverantwortung und nicht die SPD – von der mit Michael Müller auch einer gegenüber von ihm saß, den er allerdings komplett ignorierte.
Ich finde es ja keineswegs falsch, dass man die Grünen kritisiert, allerdings können die für die Corona-Politik ausnahmsweise mal eher wenig und schon gar nicht Palmer. Warum also Beschlüsse der Grünen von vor der Pandemie raus kramen und sich daran aufhängen, wenn es doch viel schwerwiegendere Fehler gibt, über die gesprochen werden sollte? Mir scheint, die Antwort auf diese Frage ist eine gewisse Merkel-Affinität Montgomerys. Wenn die beiden nicht schon zusammen Grillpartys veranstalten, dann sollte Angela dem guten Frank Ulrich schleunigst eine Freundschaftsanfrage auf Facebook schicken, denn in ihm hat sie wohl ihren treusten Unterstützer gefunden. Mir ist schon bei früheren Illner-Sendungen aufgefallen, dass zwischen den beiden irgendetwas läuft, denn er wird nicht müde, sie immer wieder zu verteidigen.
Die Montgomerische Formel
Politisch scheint Montgomery auch Corona betreffend mit der Kanzlerin auf einer Welle zu sein. Die eingangs zitierte Hiobsbotschaft „die dritte Welle wird schlimmer als alle zuvor“ stammt natürlich von ihm. Worauf diese These basiert, wo die komplette dritte Welle doch von Maskenpflicht, Lockdown und der – wenn auch schleichenden – Impfung begleitet wird, erklärt er leider nicht. Wie die Montgomerische Formel besagt, wird alles was Montomery sagt automatisch Naturgesetz. So hinterfragt es auch keiner, als er die Gleichung „je mehr impfen, desto weniger Lockdown – je weniger impfen, desto mehr Lockdown“ aufstellt – und das, obwohl der gesamte Impfzeitraum doch durch einen standhaften Lockdown begleitet wurde, der teilweise sogar noch verschärft wurde. Gut, Ausnahmen bestätigen die Regel, könnte man sagen.
Aber das erklärt nicht den Widerspruch zwischen seinem stetigen Warnen vor Corona und dem eindringlichen Aufruf, sich impfen zu lassen, auf der einen Seite und seinem Verteidigen der Impfbeschaffung auf der anderen. Denn einerseits behauptet er, das Risiko einer Corona-Erkrankung sei „unendlich“ so schlimm, wie das durch die Impfung – und überhaupt ist das die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg und jeder, der seine Oma besucht, ist ein Massenmörder. Andererseits sagte er gestern, „die vier Wochen, die wir da am Ende verloren haben (durch das Warten auf die Impfstoffzulassung), die machen den Kohl dann auch nicht fett“. Also ist Corona jetzt schlimm, oder kann man sich mit den Maßnahmen gut und gerne einen Monat Zeit nehmen? Ich persönlich finde es jetzt nicht so schlimm, dass man auf die Zulassung gewartet hat. Allerdings glaube ich auch nicht, dass jeder, der einmal bei Opi vorbeischaut, obendrauf Inge, Gertrud, Wilfried und Esmeralda auf dem Gewissen hat. Hauptsache eben, die Regierung hatte mit allem Recht.
Zumal der brave ZDF-Zuschauer ja jetzt auch gelernt hat, dass das alles gar nicht so schlimm ist mit der AstraZeneca-Impfung. Das haben sie ja letztens im Bildungsfernsehen gelernt, was anderes glauben ja nur die manipulierten Ungebildeten. Aber sie gucken sich in ihrer Freizeit Illner an, statt – Gott bewahre – Unterhaltungsfernsehen. Außerdem trinken sie jeden morgen Matchatee, essen kein rotes Fleisch mehr seit 1986, sind garantiert zu 100% spaßbefreit und können das Wort „quasi“ ganz toll in jedem Satz mindestens zwei Mal anwenden. Wer zur Elite gehören will, der muss jetzt sich und andere mit AstraZeneca schützen. Das würden die Politiker natürlich auch sofort tun, aber sie wollen sich natürlich nicht vordrängeln oder sind blöderweise schon ganz zufällig mit BionTech geimpft. Zu schade aber auch.