Zwei Tage vor einem Protestmarsch mit Guerrilla-Charakter hatte das linksradikale bis linksextreme Portal The Press Project einen Artikel veröffentlicht, in dem von unwillkommenen »Besuchen« der Polizei auf öffentlichen Athener Plätzen die Rede war. Ein solcher Besuch hatte kurz zuvor im Athener Vorort Nea Smyrni stattgefunden, wo angeblich unschuldige »Bürger« von der Polizei bedrängt wurden. Dagegen sprach die Polizei von einem Angriff von 30 Personen auf ihre Beamten, wobei es zum Kampf »Mann gegen Mann« gekommen sei. Das zugehörige Video zeigt eher ein paar aufsässige junge Leute und einige Polizisten, die sich nicht leicht Gehör verschaffen können. Es muss um eine Bagatelle gegangen sein, die aus dem Ruder lief, etwa die Missachtung von Lockdownregeln. Selbstverständlich hätten die Polizisten einen Regelübertreter belangen müssen, ohne ihn zu schlagen.
The Press Project und einige andere fabrizierten einen Skandal daraus, wie sich zeigen sollte, zu sehr eigenen Zwecken. Man kann das wohl als Hinweis darauf nehmen, dass sich gewisse Kreise – inmitten der Pandemie und eines strikten Lockdowns – Freiräume zu erobern suchen. Bald rief ein anarchistisches Kollektiv »Vogliamo tutto e per tutti« (»Wir wollen alles für alle«) zu einem Anti-Polizei-Marsch in Nea Smyrni auf. Dasselbe tat der berüchtigte Anarchistenbund Rouvikonas. Allerdings waren es nicht nur ausgesprochene Links-Anarchisten, die am Dienstag im Athener Vorort Nea Smyrni aufmarschierten. Bei vielen der Festgenommenen wurde daneben eine Verbindung zu Fußballhooligans bemerkt. Die Szenen scheinen sich zu überschneiden. Die Offiziellen rätseln noch, wie. Auch die Zusammenarbeit vierer Hooligan-Vereine lässt die Behörden aufmerken. Sicher ist man nur über eins: Die versammelten Gewalttäter gefährdeten das Leben eines Polizisten.
Premierminister Mitsotakis forderte die Gewalttäter zur Umkehr auf: »Die traurigen Szenen der Gewalt, die wir alle heute abend in Athen gesehen haben, müssen die letzten sein. Und das Leben eines unserer Mitbürger, das gefährdet wurde, muss uns aufwecken.« Nun seien Selbstbeherrschung und Gefasstheit gefragt. Die Jugend sei gefragt zu schaffen, nicht zu zerstören. Die Linksradikalen vom griechischen Indymedia-Ableger feierten die Ereignisse als Sieg über den »Polizeistaat«.
Keine Spur von »Solidarität« bei den Anarchisten
Den ersten Ausfall gegen den Polizisten unternahm ein dreißigjähriger »Grieche irakischer Abstammung«, der einerseits dem anarchistischen Milieu zugeordnet wird, andererseits als Fußballhooligan einem bestimmten Verein die Treue hält und als solcher organisiert ist. In seinen Kreisen wird dieser Gewalttäter gerne »Indianer«, »indianischer Läufer« oder auch »Sprinter« genannt. Ein Sprint machte ihn nun bekannt und zum gesuchten Straftäter. Von Beruf war er bisher Lagerhalter in einer Fabrik im Westen der griechischen Hauptstadt.
Nachdem der Irako-Grieche den 27-jährigen Polizisten vom Motorrad gerissen hatte (im Video ab Minute 2:00) rannten aus allen Himmelsrichtungen Vermummte herbei, um ihm den zweiten, dritten und vierten Schlag oder wahlweise Tritt zu versetzen. Insgesamt waren um die 60 Täter beteiligt. Von der sonst unter Linksradikalen so gefeierten »Solidarität« keine Spur bei den Krawallmachern, stattdessen pure Gewalt.
Den übrigen Festgenommenen wird offenbar vor allem der Besitz explosiver Substanzen zur Last gelegt – vulgo Molotowcocktails in Jumbogröße (1,5 Liter), die man tragetaschenweise sicherstellen konnte. Sieben der Beschuldigten sind minderjährig. Am Donnerstag wurde von zwei weiteren Festnahmen wegen des versuchten Mordes berichtet, ein 22- und ein 23-Jähriger. Einer der beiden ist ein polizeibekannter Anarchist aus einer organisierten »Aktionsgruppe«. Vor einem Monat hatte er das Büro des stellvertretenden Außenministers Miltiadis Varvitsiotis angegriffen. Die griechische Polizei setzt ihre Ermittlungen nun auf mehreren Ebenen fort: So wird das Videomaterial des Angriffs untersucht, mit Datenbanken abgeglichen, zudem die sozialen Medien nach verdächtigen Posts durchsucht.
Planung eines Angriffs
Tatsächlich handelt es sich wohl um einen geplante Aktion organisierter Gruppen von Hooligans und Anarchisten gegen die Polizei, wie die Tageszeitung Proto Thema nun klarstellte. Diese Gruppen, die zum Teil miteinander konkurrieren, dann wieder kollaborieren, verabredeten demnach, zunächst einen geballten Angriff auf die sechs Polizeieinheiten zu unternehmen, um sich danach in Untergruppen aufzuspalten. Man wollte Hinterhalte bilden, aus denen man dann die motorisierten Beamten der Einheit »DRASI« attackierte. Auch die Polizei war gewissermaßen vorgewarnt, denn im Netz fanden sich genügend Ankündigungen mit »kriegerischem« Charakter.
Auf dem zentralen Platz der Athener Vorstadt Nea Smyrni versammelten sich am Ende etwa 5.000 teils bewaffnete Vermummte. Protestiert wurde auch für einen Häftling und Ex-Terroristen, den Maoisten Dimitris Koufontinas, der seit 2002 für die Taten der »Revolutionären Organisation 17. November« einsitzt und seit Anfang des Jahres – zum wiederholten Mal – in den Hungerstreik getreten ist. Die oppositionelle Syriza-Partei warnte davor, dass Griechenland in diesem Jahr einen verhungerten Häftling vermelden könnte.
Koufontinas befindet sich derzeit, dank der vor zwei Jahren abgewählten Syriza-Regierung im offenen Vollzug in einem »landwirtschaftlichen Gefängnis« bei Volos. Doch die konservative Regierung änderte letztes Jahr die Bestimmungen für den offenen Vollzug, so dass der zu elfmal lebenslänglich plus 25 Jahren verurteilte Koufontinas wieder in die geschlossene Haftanstalt von Korydallos umziehen müsste. Koufontinas trat Anfang des Jahres in den Hungerstreik, verweigerte später auch das Trinken.
Die politische Landschaft in Griechenland ist, gelinde gesagt, uneins über dieses Thema. Linksradikale und Bürgerliche, Anarchisten und Hinterbliebene der Opfer streiten sich darüber, wie mit einem der Hauptverantwortlichen des linksextremen Terrorismus in Griechenland umzugehen ist. Unter den Hinterbliebenen ist übrigens auch der Premierminister selbst, dessen Schwager – der Politiker und Anti-Junta-Journalist Pavlos Bakojannis – einst von den Linksterroristen ermordet worden war. Der konservativen Regierung wird daher umso mehr Parteilichkeit im Umgang mit Koufontinas nachgesagt.
Der rotgrüne Syriza beklagte die Früchte seiner Saat
Auch in Deutschland gibt es Solidaritätsbekundungen mit dem Terroristen: In Tübingen wurden ein CDU-Büro mit schwarzer Farbe beschmiert und Flugblätter verteilt, wie der griechische Ableger des Sympathisanten-Portals Indymedia behauptet. Dasselbe linksextreme Milieu interessiert sich auch für die Ereignisse in der Rigaer Straße 94 in Berlin-Friedrichshain. Die Ex-RAF-Mitglieder Knut Folkerts, Christian Klar und andere veröffentlichten auf dem Portal non.copyriot.com eine Solidaritätsadresse.
Die linke Syriza-Partei hat zwar dieses Mal eine formelle Verurteilung der Geschehnisse ausgesprochen. Die Syriza-Jugend veröffentlichte aber auch ein Video, in dem sie – unter anderem zu Szenen aus Nea Smyrni – ein »Nein zum Polizeistaat« fordert und formuliert: »Werden eure Hände entfesselt, dann wird die Demokratie gefesselt.« Gemeint sind damit natürlich die Hände der Polizisten. Ein Satiriker twitterte, an die größte Oppositionspartei gewandt: »Bravo, Syriza, der heute unumwunden die Früchte verurteilt hat, die er einst säte und von morgen an wieder säen wird.«