Tichys Einblick
Israel wählt in Corona-Zeiten

Netanyahu dürfte die stärkste politische Kraft Israels bleiben

Israels viel geschmähter Premier Benjamin "Bibi" Netanyahu dürfte trotz aller Anschuldigungen die anstehenden Wahlen gewinnen. Er inszeniert sich erfolgreich als Beschützer Israels – unter anderem vor der iranischen A-Bombe und dem Corona-Virus.

IMAGO / UPI Photo

Israel fragt sich im Wahl-Monat März anno 2021: Was haben Covid-19 und Benjamin Netanyahu gemeinsam? Beide werden uns noch lange in Atem halten. Es sind Legionen, die in den letzten Jahren versucht haben „Silberlocke Bibi“ aus dem Amt des Ministerpräsidenten zu drängen. Bei der vierten Wahl in zwei Jahren sagen alle Umfragen aufsteigend voraus: Er und seine Likud-Partei werden mit geschätzt 30 von 120 Mandaten stärkste Partei. Der Regierungsauftrag ist ihm damit so gut wie sicher. Aber mit wem er eine Mehrheit in der Knesseth bekommt – wenn überhaupt – steht in den Sternen.

Von den vielen Ehrgeizigen, die in der letzten Zeit auf Netanyahus Stuhl gerne Platz nehmen wollen, sind drei übriggeblieben: Gideon Sa´ar, Naftali Bennett und Yair Lapid, alle drei Ex-Minister in einer seiner Regierungsmannschaften. Die ersten beiden waren einst engste Partei-Vertraute, letzterer mächtiger Ex-Finanzminister, aber nicht nur nach „Bibi“-Lesart, „der schlechteste in der Geschichte Israels“. Man kennt sich.

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Links und rechts des politischen Wegesrandes liegen klingende Namen wie Ex-Generalstabschef Benny Gantz, der seit Mai 2020 den holprigen Titel „Alternierender Ministerpräsident“ trägt – nebst Büro und Fahrer. Aber bei der Wahl am 23. März kann er froh sein, wenn seine „Blau-Weiß“-Partei noch ins Parlament einziehen darf.

Next: Der 76jährige, langjährig amtierende Tel Aviver Bürgermeister Ron Huldai gründete Anfang Januar mutig und lautstark die „Partei der Israelis“ und warf „Bibi“ den politischen Fehdehandschuh hin. Huldai und seine Partei überlebten nicht einmal das jüdische Purimfest im Februar, das an einen persischen Widersacher des jüdischen Volkes vor 2 500 Jahren erinnert. Haman – so hieß der damalige Widersacher – endete mit seinen zehn Söhnen am Galgen. Der Rathaus-Chef ist zum Glück wohlauf, aber vom Sprung nach Jerusalem haben ihm seine Freunde dann doch abgeraten. Fünf Jahre älter als Netanyahu, kann er schlecht überzeugend von einer erneuernden Verjüngung an der Spitze des Staates reden.

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Jetzt stehen sich drei Lager gegenüber: die Netanyahu-Ablehner und die Bewunderer des inzwischen dienstältesten Ministerpräsidenten in der 73 jährigen Geschichte Israels. Die Umfragen zählen 59 gegen 49. Dazwischen steht der Königsmacher Bennett mit angesagten 12 Sitzen. Der gemeinsame Nenner der Ablehner-Front heisst „Bibi verhindern“, aber sie bestehen aus mehreren Parteien und rivalisierenden Egomanen, die „Number one“ werden wollen. Politisch reicht das Spektrum der 59 von Annexionisten von Teilen der Westbank bis zu Befürwortern einer Zweistaaten-Lösung. Deshalb wird Bennett von Auguren unterstellt, dass er sich eher Netanyahu anschliessen wird, wenn er bekommt, was er will: vermutlich eine Fifty-Fifty-MP-Lösung im Verlauf der nächsten Legislatur-Periode. Also alles wie gehabt?

Keine schlechte Ausgangslage für Netanyahu, den gelernten Architekten mit MIT-Abschluss in den USA, der im aktuellen Jerusalem-Post-Interview Geschichtsbücher und politische Biographien als seine Lieblingslektüre nennt. Intellektuell inhaliert und erfolgreich praktiziert hat er dabei eine bekannte Lehre Julius Caesars, Napoleons und Machiavellis: divide et impera, frei übersetzt: sprenge das politische Lager deiner Gegner und du bleibst an der Macht. Dass er diese Staatskunst trickreich beherrscht, hat er mehrfach bewiesen.

Aber auch seine politische Bilanz kann sich sehen lassen. Er selbst sieht sich als Beschützer Israels vor Irans A-Bombe, der 2020 auch bei arabischen Golfstaaten kampfbereite Partner gefunden hat. Außerdem hört er es gern, wenn er als Befreier der Wirtschaft von staatlich dirigistischen Regularien genannt wird. Trotz überdimensionaler Verschuldung und hoher Arbeitslosigkeit steht Israels Wirtschaft auch im OECD-Vergleich gut da. Aktuell vergisst Netanyahu im Wahlkampfmodus nicht hervorzuheben, dass er auch der Retter Israels vor dem Covid-19-Virus und seinen Mutanten ist.

Die Zahlen sprechen für ihn. Israel ist dank Netanyahus Einkaufspolitik Impf-Weltmeister. Er hat mit seinem Team so umsichtig geplant und die Staatskasse vernünftig geöffnet, dass auch Impfdosen für 120 000 Palästinenser und 100 000 Portionen für befreundete Länder von Honduras bis Kosovo zur Verfügung stehen. Seine dominante Motivation ist, Schaden vom eigenen Volk abzuwenden. Und zwar bedingungslos. Der Wohlfahrtsstaat muss vor der leistungsfordernden Wirtschaft und seinem anspruchsvollen Dienstleistungssektor stets zurückstecken. Das lernt der Israeli aus Nahost-Realität und eigener Geschichte. Spätestens während seiner obligatorischen zwei- bis dreijährigen Militärzeit.

Israel zählt deshalb im Gegensatz zu Deutschland weniger die 35-, 50- oder 100-Inzidenzen, beschäftigt sich nicht so angestrengt mit endlosem Tests oder verfolgt pingelig Kunden in Geschäften und Einkaufszentren, die gegen eine Quadratmeter-Regelung verstoßen. Impfen heisst die Devise, denn es rettet Leben. Das weiß man spätestens seit der Polio-Impfung Mitte der 50er Jahre. Ein Impfstoff, der übrigens in weniger als zwei Jahren entwickelt wurde und von seinem Erfinder, Jonas Salk – Sohn russisch-jüdischer US-Einwanderer – patentfrei der Welt zur Verfügung gestellt wurde.

Netanyahus Kurs muss etwas an sich haben, sonst würden sich Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und seine Amtskollegin in Dänemark, Mette Frederiksen, nicht von der EU zumindest Corona-mäßig abwenden und mit Israel eine Impfallianz eingehen. Gemeinsam will man Impfstoffzentren bauen, denn die Pandemie wird noch einige Zeit andauern.

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Und wer noch immer daran zweifelt, dass wir es mit einer Pandemie zu tun haben, gegen die Impfen hilft, sollte sich die Sterberaten und die Entwicklung der ernsten Covid-19-Fälle inklusive Beatmung in Israels Krankenhäusern anschauen. Beides hat rapide abgenommen. Beispiel: Vom 9. auf 10. März beklagt Israel den Tod von elf, vom 10. auf 11.März zehn Menschen (Quelle: ToI). Deutschland mit einer neunmal größeren Bevölkerung 300, bzw. 321 (Quelle: RKI). Im November/Dezember berichtet die Statistik von einem Vielfachen davon.

Während Angela Merkel „noch drei bis vier schwere Monate“ ankündigt, öffnet der Impfweltmeister inzwischen Tür und Tor der Einkaufszentren, Cafés und Restaurants vorwiegend im Außenbereich begünstigt durch frühlingshaftes Wetter. Schulen und Unis kehren zum Präsenzunterricht zurück. Der wochenlang stillgelegte internationale Flughafen „Ben Gurion“ lässt seit Sonntag wieder täglich 1000 Israeli einreisen, in den nächsten Tagen soll die Quote auf 3000 erhöht werden. Eine 10tägige Zu-Hause-Quarantäne nach einer Einreise ist vorläufig noch Pflicht.
Noch wissen die Virologen zu wenig über die Wirkung der Mutanten auf die jetzt Geimpften, deshalb agiert Israel vorsichtig und lässt den wirtschaflich lebenswichtigen Tourismus für Ostern noch ruhen. Wichtig ist für Netanyahu, dass Israeli Ende März das traditionelle Pessachfest, das an den Auszug aus Ägypten vor 3000 Jahren erinnert, im großen Familienkreis feiern können. Die Hotels an den Ferienorten am Toten und Roten Meer sowie am See Genezareth müssen vorerst von Einheimischen leben. Wähler und Nichtwähler können dann von dort aus beobachten, ob es Netanyahu wieder einmal schafft oder ob er abgelöst wird. Oder aber, ob eine fünfte Wahl ansteht.

In diese Zeit fällt auch der nächste Gerichtstermin, bei dem Netanyahu sich gegen Korruptionsvorwürfe verteidigen muss. Wie heisst ein Werbespruch für Israel-Besucher: never a dull moment – es wird niemals langweilig.

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