Es gibt einen typischen Plot in alten exotischen Romanen und Opern: Ein europäischer Forschungsreisender stößt zu einem fremden Volk – nehmen wir an, es wären die Inkas in den Anden. Er verliebt sich in eine der Sonnenpriesterinnen und sie sich in ihn. Sie ist aber zugleich an die Gesetze ihres Volkes gebunden und soll allein dem Sonnengott dienen. Doch der Geliebte scheint ihr heller als die Sonne zu strahlen. Am Ende kommt es, wie es kommen muss, der junge Held findet eine Gelegenheit zum Raub und rettet sich mit seiner Priesterin in die Wildnis des südamerikanischen Urwalds, wo sie ein kurzlebiges Liebesidyll finden – bevor sie sich ihrem Prozess vor einem peruanischen Hofgericht stellen müssen.
Etwa so verlief auch die Romanze von Harry Mountbatten-Windsor und Meghan Markle. Aber Vorsicht: Die Eingeborenen wären in diesem Fall die britischen Royals und Meghan der mutige Missionar, der Harry aus den Fängen einer mittelalterlichen Inquisition befreit. Diesen Rollentausch hatte man schon länger geahnt, und er wird mit jedem Wort in diesem Interview und jedem neuen Ereignis deutlicher.
In Santa Barbara, Kalifornien, ist der Frühling schon da, vielleicht ein ewiger. Für ihr Interview mit US-Talklegende Oprah Winfrey hatten sich die Markles, wie passend, das weiträumige Gartengrundstück eines Freundes, inklusive Hühnerstall, geliehen. Auf CBS und wenig später beim britischen Privatsender ITV erfuhr man so unter den erschrockenen Augen der Talklegende und engen Freundin des Hauses Oprah Winfrey, wie Harry und Meghan die Aufregung der letzten Monate sehen und erklären. Und man bekam eine Ahnung, was das für ein unglaubliches Drama war für diese beiden.
Piers Morgan: Ein Platzhirsch geht vom Feld
Einer der Platzhirsche des britischen Fernseh- und Twitterjournalismus bekam dieses Drama als erster zu spüren. Es ist der seinerseits legendäre Piers Morgan, der nun seinen Rücktritt beim Frühstücksprogramm Good morning Britain des Privatsenders ITV einreichen musste. Vorausgegangen waren über 40.000 Beschwerden innerhalb von 24 Stunden, und mit diesem Mittel bringt man heute offenbar den stärksten Hirschen zur Strecke. Morgan – in seiner scharfzüngig-aufgeräumten Art das »mediale Äquivalent zu Morgenkaffee und erster Zigarette« (Alec Marsh im Spectator) – hatte bekundet, dass er der Herzogin kein einziges Wort abnehmen könne, selbst wenn sie nur den Wetterbericht vortrüge.
Kommen wir zurück zu unserem peruanischen Roman. Denn ein Teil der Öffentlichkeit lässt sich durchaus von dieser verborgenen Erzählung einfangen, wie man an den Reaktionen auf das neue Interview sehen kann. »Offenbar sind Harry und Meghan geradewegs einer Sekte entkommen«, schreibt etwa eine Twitter-Nutzerin namens Kelvy Alter. Und natürlich spielen auch die Rassismus-Vorwürfe gegen die britischen Royals eine gewichtige Rolle im sozial-medialen Echo unserer Tage. Wir Europäer sind die neuen Eingeborenen, mit merkwürdigen Ritualen, die ein US-Serien-Star »of colour« nicht kennen, aber offenbar auch nicht erlernen kann.
Die Königin berichtet von anderen »Erinnerungen«
Nun hat sich auch die echte Königin der Eingeborenen – nicht die der Talkshows oder der lebensverändernden Podcasts – zu dem Interview-Text geäußert. Die Queen ist traurig, vom »vollen Ausmaß« von Harrys und Meghans Leiden der vergangenen Jahre zu erfahren. Als Freund der klaren Aussprache versteht man, was sie sagen will: »Too much information!« Denn ihr eigenes, ganz persönliches, aber niemals privates Drama hatten die Sussexes eigentlich nie unter den Scheffel gestellt. Ihr Wirken stand schon immer im Zeichen maximaler öffentlicher Aufmerksamkeit, denn nur die konnte die eigene »Sache« (und den Geldbeutel) befördern.
In der Pressemitteilung der Queen heißt es an zentraler Stelle: »Einige Erinnerungen mögen variieren, aber wir werden das sehr ernst nehmen und in der Familie privat besprechen.« Privat – das hätte die Monarchin gerne gehabt, doch mit dem neuesten Interview der Sussexes stand eine Elefantenherde im Raum, die sie einfach nicht mehr ignorieren konnte.
Die Hautfarben-Bemerkung
Mit jenen variierenden »Erinnerungen« meinte die Queen offenbar ein Gespräch unter Verwandten über die mögliche Hautfarbe des Meghan-Sohnes Archie, das sich wohl nur in der stärksten Verkürzung für einen Skandal und das Augenklimpern Oprahs eignete. Ein Familienmitglied soll diese Frage in unbekanntem Kontext und ungeklärter Absicht aufgeworfen haben. Man weiß nicht, wer hier mit wem sprach, Meghan war jedenfalls nicht dabei. Als sie davon erzählt, sieht Winfrey etwa so aus wie eine antike Windgöttin oder jene Bocca della Verità, in die man seine Hand legen muss, um zu erfahren, ob man lügt oder wahrhaftig ist.
Bei Meghan bleibt in der Tat eine Unsicherheit zurück. Ihre Sprechpausen, auch der Tonfall scheinen nicht ganz zu stimmen. Wie mit Bedauern bringt sie ihre Anschuldigungen vor, als ob sie sagen würde: Es war vielleicht nicht genauso, wie ich jetzt sage, aber weil ihr – die Royals, The Firm, die böse britische Presse – so gemein zu mir wart, muss ich es jetzt leider mit gleicher Münze zurückzahlen. Auch Winfreys Empörung wirkte ziemlich einstudiert. Tatsächlich ist sie mit dem Paar seit längerem bekannt und war einer der wenigen Hochzeitsgäste von Meghans Seite.
Dann beklagte sich Meghan noch über die wirklichen Schwierigkeiten ihres Londoner Lebens: »Wenn Wahrnehmung und Wirklichkeit zwei verschiedene Dinge sind, und man dich nur nach der Wahrnehmung beurteilt, während du die Wirklichkeit lebst … das kann man keinem erklären.« Ein typischer Ansatz: Keiner weiß, was ich leide. So sagte auch eine Bild-Kommentatorin mit Vogelnest auf dem Kopf jetzt: Wenn der Betroffene etwas als Rassismus empfindet, dann ist es Rassismus. Punkt. Worauf sich auch ein Alexander von Schönburg nur noch wundern konnte: Sind also alle Behauptungen auf dieser Erde wahr?
Meghan hatte noch ein paar Dementis auf Lager: So soll es nicht die Entscheidung des unkonventionellen Paares gewesen sein, auf alle Titel für Archie zu verzichten. Das hätte ihren Sohn – immerhin das erste Familienmitglied »of colour« – später den Polizeischutz kosten können. Das ist vor allem eins: Statusdenken vom ersten Atemzug an. Die Vorenthaltung der Titel war laut Meghan eine »Idee« der Familie – wenn nicht der Queen, die von dem Paar in wohlbedachter Weise geschont wurde. (Die Wirklichkeit ist übrigens komplizierter: Es hängt wohl mit der Thronfolge zusammen, die William begünstigt. Und mit der Frage, ob Charles jemals König wird. Denn nur dann hätte Archie – komplexe Regeln – ein Anrecht auf die Titel.)
Auch das traditionelle Photo von Mutter und Kind auf den Stufen des Krankenhauses hätten die Sussexes durchaus gemacht, doch sie wurden angeblich nicht danach gefragt. Der Londoner Telegraph hält all das für ziemlich unglaubwürdig: »After a quick break for commercials and viewers to pick their jaws up off the floor…« – nach einer kurzen Verschnaufpause für die Wunderfalten auf der Stirn…
Wählen Sie Ihren modernen Heiligen
Das paradoxeste an diesem Medienpaar ist dabei der regelmäßig geäußerte Abscheu über die Presse aus Harrys Heimatland. Die britische Boulevardpresse, die in der Tat keine Gefangenen macht, ist dem Prinzen schon seit dem Tod seiner Mutter ein Dorn im Auge. Die BBC betitelt ihren Bericht zum Interview denn auch mit: »Tabloid racism ›large part‹ of why we left, says duke«. Der Rassismus der britischen Boulevard-Presse hätte einen königlichen Herzog vertrieben? Vielleicht, aber das ist zugleich auch eine Chance: Denn Harry muss nun nicht mehr sein »white privilege« beklagen, vielmehr darf er sich zusammen mit seiner hell-olivfarbenen Frau von Briten und anderen Unmenschen verfolgt fühlen. Dabei hatte dieser Prinz einst durchaus Interesse und Freude an Nazi-Memorabilia. Wahrscheinlich explorierte er zu jener Zeit nur die veralteten Sitten des benachbarten Teutonenstamms, dessen Blut ja auch in seinen Adern fließt.
Vom Unverhältnis des Hollywood-C-Stars und des B-Prinzen zur Öffentlichkeit spricht zuletzt auch das Eingeständnis der beiden, dass sie schon drei Tage vor der offiziellen Hochzeit im engsten Kreis – also zu dritt, nur mit dem Erzbischof von Canterbury – geheiratet hatten. Im Hühnerstall sagt Meghan, mit verschmitzt tränenden Augen, zu Oprah: »Dieses Riesending, dieses Spektakel ist für die Welt, aber wir wollten einen Bund miteinander schließen, mit unseren eigenen Gelöbnissen, nur wir beide, im Garten hinter unserem Haus …«. Da ist er wieder, der Garten. Das Idyll, in das sich das jung-prominente Paar – bei Wahrung aller seiner Privilegien – zurückziehen will. Doch eines sollte nach dem ganzen Opfergerede klar sein: Nur die Harten bleiben auf Dauer im Garten.