Angesichts der derzeitigen Hochkonjunktur des Irrsinns hierzulande wundert man sich nicht mehr so schnell über Nachrichten. Nun soll eine Studie bewiesen haben, dass nach pollenreichen Tagen die Coronainfektionen zunehmen. Wenn also die Haselnuss blüht, kommen sieben Tage später Menschen an die Beatmungsmaschinen? Es wird immer grotesker. Unter der Leitung der Technischen Universität Münschen (TUM) und des Helmholtz Instituts soll aber genau das oder so ähnlich bewiesen worden sein. Da muss man sich zunächst einmal die Frage stellen, wie man überhaupt auf so eine Idee kommt, wissenschaftliche Kompetenz und Forschungszeit in so etwas abwegiges überhaupt zu investieren, als gäbe es aktuell keine wichtigeren Forschungsaufgaben. Aber lassen wir das zunächst dahingestellt: Sage und schreibe in 31 Ländern wurden zu dieser Studie Daten gesammelt, Wetterdaten verglichen und Informationen zum Pollenflug verglichen – möglicherweise noch mit einbeziehend, dass es landesweit abweichende Vegitation und also unterschiedliche Pollen gibt. Ach so, die Temperaturen und die Luftfeuchtigkeit spielten auch noch eine Rolle, ebenso, wie der Zusammenhang zwischen Coronamaßnahmen und Infektionszahlen.
Ist hier eine Corona-Pandemie-Alchemie auf ihrem bizarren Höhepunkt angekommen? Die Forschenden orakelten gegenüber einem Fachmagazin: „Der Pollenflug könne (…) im Durchschnitt 44 Prozent der Varianz in den Infektionsraten verschiedener Regionen erklären.“ Könne oder könnte? So aber könnte der Flügelschlag der Zugvogel auch erklären, warum am Stadtrand von Göttingen eine Suppe kalt geworden ist. Immerhin der Spiegel stellt dann etwas konsterniert fest: „Das Ergebnis klingt jedoch eindeutiger, als es ist.“
Was jeder weiß, ohne Wissenschaftler zu sein: Wenn ich mich verschlucke, fällt das Atmen für den Moment schwer, und wenn jemand Heuschnupfen hat, ist er auch erkältungsanfälliger. Das ist mindestens solides Hausarztwissen. Pollen fallen auf Schleimhäute und lösen eine Reaktion aus. Es ist müßig, weiter darüber nachzudenken, ob diese Aktivierung des Immunsystems mit allen Folgen möglicherweise in einem bestimmten Moment sogar eine bessere Abwehr gegen Viren bedeuten könnte. Andererseits könnten die eindringenden Blütenstaubpartikel die Abwehr gegen Viren auch schwächen, irgendwelche Erreger schneller eindringen. Ja, viele Szenarien sind möglich. Aber zuletzt unerheblich in der Gesamtschau. Immerhin fragte ein Wochenblatt: „Wie stark wirken sich die Pollen auf das Risiko einer Corona-Infektion aus?“ Und antwortete: „In dieser Hinsicht sind die Ergebnisse der Studie mit Vorsicht zu betrachten.“
Wären die möglichen politischen Folgen waghalsiger Interpretationen solcher „Studien“ nicht so brandgefährlich, man würde darüber lachen und es gut sein lassen. Der Spiegel schreibt: „Dennoch können sie nicht belegen, dass die beobachteten, vermehrten Infektionen tatsächlich auf die Pollen zurückzuführen sind und nicht etwa auf die Wetterlage, die den Pollenflug begünstigte. Oder einfach darauf, dass das neue Virus Sars-CoV-2 Europa und Nordamerika eben im Frühling erreichte und nicht im Herbst.“ Ja, oder es lag an der Mondstellung im Mai. Oder der ungünstigen Stellung eines Aszendenten des Jupiters im Saturn oder doch an diesem ominösen umgefallenen Sack voller Reis in China.
Ach ja, es gab ja eine zweite Corona-Welle im Winter, der aber war pollenarm. Nein, nicht Pollen verursachen Infektionen mit Covid-19, sondern Viren. BR24 schreibt, dass die Münchner Studie für Aufsehen gesorgt hätte. Der größte Unsinn kann allerdings auch für großes Aufsehen sorgen. Dann aber ebbt dieses Aufsehen schnell wieder ab.
Eine Allergie-Expertin am Klinikum München findet diese Geschichte nicht so lustig. Sie schätzt das Infektionsgeschehen im Zusammenhang mit Pollenflug auf „gerade mal zwei Prozent“, wo die Studie von 44 Prozent spricht. Hier zwei, dort 44 Prozent. Mehr muss man über den Stellenwert von Wissenschaft für die Debatte eigentlich nicht wissen. Spätestens hier muss man sich energisch einmischen.
Und da ist dann auch jede irgendwie humoristische Betrachtung dieses induzierten Irrseins zuende. Der Autor ist kurz vor dem Schreiben dieser Zeilen gerade von einer Beerdigung eines kaum 50-Jährigen Freundes zurück an den Schreibtisch gekommen. Ein Freund, dem sein Job alles bedeutet hat, der auch gewählter Betriebsrat war, also auch für die Kollegen wichtige Stütze und der vor seinem Herzschlag monatelang zu Hause sitzen musste. Nein, mein Freund war kein Allergiker. Seinen Hinterbliebenen durfte man auf dem Friedhof nicht einmal die Hand schütteln. Hinter den Masken hier ein scheuer Blick, dort eine Verbeugung und eine Hand auf dem Herzen als Geste des Beileids. Ein späteres Zusammensein mit alten Freunden, die ihrem liebgewonnenen Verstorbenen die letzte Ehre erweisen, fiel ebenfalls den Corona-Maßnahmen zum Opfer.