Tichys Einblick
Sylvia Pantel, CDU-MdB

Prostitutionspolitik: Warum ein Sexkaufverbot den Frauen schadet

Weltfremde Idealisten glauben, der Staat könne das „Ende der Prostitution“ durchsetzen. Das dementsprechend jetzt geforderte "Nordische Modell" hilft den betroffenen Frauen nicht, im Gegenteil. Das kann aber die konsequente Anwendung des Prostituiertenschutzgesetzes. Von Sylvia Pantel, MdB

Sylvia Pantel (CDU) ist direkt gewählte Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Düsseldorf-Süd.

imago images / Political-Moments

Nach dem Glauben weltfremder Idealisten soll die Utopie vom „Ende der Prostitution“ gesetzlich erzwungen werden können. Mit Sexkaufverbot und Freierbestrafung wollen die Befürworter des „Nordischen Modells“ die staatliche Lufthoheit über den Schlafzimmern gewinnen. Statt Schutz für von Gewalt betroffene Frauen bieten sie moralische Bevormundung. Plötzlich zählt die sexuelle Selbstbestimmung nicht, sondern simpler Populismus. Sie glauben: Alle Begleiterscheinungen der Branche, wie Zwangsprostitution, Zuhälterei und Menschenhandel würden mit einem Sexkaufverbot verschwinden. Sie vermuten, dass es mit dem Verbot keine Prostitution mehr gäbe, dabei befördern sie in ihrer Naivität genau das Gegenteil.

Zwangsprostitution gehört bestraft – Sexuelle Selbstbestimmung gehört zu einer offenen Gesellschaft

Menschenhandel, Zuhälterei und Zwangsprostitution sind bereits verboten, gehören verfolgt und bestraft. Warum legale Prostitution verboten werden soll, während man verbotene Tätigkeiten wie Zwangsprostitution nicht aufdeckt, erschließt sich mir nicht.

Zeit zum Lesen
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Als selbstständige Unternehmerin und als Mutter von fünf Kindern hatte ich früher nichts mit dem Thema zu tun. Ich bin nach wie vor kein Unterstützer von Prostitution. Die Risiken, die mit dieser Arbeit verbunden sind, sind enorm – inklusive möglicher, lebenslanger körperlicher und seelischer Schäden. Ich muss Prostitution aber als gesellschaftliche Realität sehen. Schon als Kommunalpolitikerin und Ratsfrau in Düsseldorf wurde ich auf Gewalt und Missstände im Umfeld des Prostitutionsgewerbes aufmerksam. Seitdem hat mich das Thema beschäftigt. Nach meinem ersten Einzug in den Deutschen Bundestag wurde ich 2014 Berichterstatterin der CDU/CSU–Bundestagsfraktion für Prostitution – ein Arbeitsthema, das mich nun seit Jahren begleitet. Als ein Ergebnis verabschiedeten wir 2016/2017 das Prostituiertenschutzgesetz. Es zeigten und zeigen sich erste Erfolge unseres Gesetzes.

Dann führte die Corona-Bekämpfung zu geschlossenen Prostitutionsstätten und einem Prostitutionsverbot. Prostitution wurde aus dem öffentlichen Raum verdrängt – mit schwerwiegenden Folgen für die betroffenen Frauen. Für unterstützende Fachberatungsstellen und Behörden sind die Frauen nun nicht sichtbar und erreichbar. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass Frauen von einem Prostitutionsverbot oder einer einseitigen Kriminalisierung der Freier nicht getroffen werden. Vielmehr wandert Prostitution dadurch ins Dunkelfeld und die Angebote unkontrolliert in Online-Foren und versteckte Räume ab. 

Beim Thema Prostitution wird oft unehrlich argumentiert

Ich komme aus einer Großstadt, wo die Probleme im Zusammenhang mit Prostitution offener zu sehen sind als in der Vorstadt-Idylle oder im ländlichen Raum. Doch auch dort findet Prostitution statt – in Wohnungen, im Hinterhof, auf Toiletten, in Wohnwagen oder an versteckten und ungeschützten Orten. Viele Akteure und unterschiedliche Interessenslagen sind zu beachten – oft wird verdeckt und unehrlich argumentiert. Ich habe mir zu Eigen gemacht bei Gesetzesvorhaben mit allen Akteuren und Interessierten über deren Lebenswirklichkeit zu sprechen – um ohne Tabus die Situation zu erfassen und dann realistische, gute Gesetze machen zu können. Ich habe beim Prostituiertenschutzgesetz mit Prostituierten, Bordellbetreibern, Polizisten, Richtern, Rechts- und Staatsanwälten, Mitarbeitern von Ordnungsdiensten und Fachberatungsstellen, Verbänden, Kommunal-, Landes- und Bundesbehörden, sowie Therapeuten, insbesondere Sexualtherapeuten gesprochen. Auf die Gespräche mit all diesen Menschen stützt sich meine Bewertung des Themas. Damit alle Beteiligten berücksichtig werden, haben wir eine umfassende Evaluierung des Prostituiertenschutzgesetzes beschlossen. 

Ein Sexkaufverbot hilft bei der Bekämpfung des Menschenhandels nicht 

Gastbeitrag von Sylvia Pantel, MdB
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Die Vertreter des Nordischen Modells meinen im Vorhinein zu wissen, dass es freie und selbständige „Sexgeschäfte“ gar nicht geben kann. Deshalb fordern sie das Kaufverbot für Sex. In radikaler Lesart betrifft das auch den Tausch als Urform des Kaufvertrags. Aber wie viele „Tauschgeschäfte“ unter Sexualpartnern gibt es? Wenn ein Mann seiner Freundin eine Handtasche kauft, oder eine Frau ihrem jungen Liebhaber ein Essen ausgibt – „unter einer Bedingung“: Ist das auch schon verächtlicher Sexkauf, den es zu verbieten gilt? Der Gesetzgeber kann unmöglich regeln, dass Menschen nur aus tief empfundener Liebe und Vernunft Sex miteinander haben. Wir sollten uns auf die großen Verbrecher der Branche konzentrieren, das heißt Menschenhändler, Zuhälter, darunter auch sogenannte „Loverboys“ verfolgen und bestrafen. Moralische Stigmatisierungen und Selbstgefälligkeiten helfen den Frauen nicht.
Nordisches Modell – Mehr „Moral“ und mehr Geschlechtskrankheiten

„Nordisch“ ist das Modell vor allem deshalb, weil die schwedische Regierung es zu ihrer Außenpolitik gemacht hat, das sogenannte Sexkaufverbot europaweit zu verbreiten. Streng genommen gibt es aber kein länderübergreifendes „Nordisches Modell“. Die Ausgestaltung der Gesetze in der Europäischen Union und konkret in den skandinavischen Ländern ist sehr unterschiedlich. Unabhängige Beobachter der schwedischen Gesetzgebung sind längst zu dem Schluss gekommen: Die angeblichen Erfolge bei der Bekämpfung von Menschenhandel und Zwangsprostitution stützen sich auf keine solide Datenbasis.

In Ländern mit Sexkaufverbot kommt es nachweisbar zu einem Anstieg von sexuell übertragbaren Krankheiten und Gefährdungen der Sicherheit von Frauen. Eine Wissenschaftlerin der Universität Göteburg sprach im Rahmen einer Anhörung des Landtags von Nordrhein-Westfalen vom Sexkaufverbot als Teil eines außenpolitischen „Werbefeldzugs“ der schwedischen Regierung, in den „beachtliche Summen und viel Zeit“ investiert werden. Es habe mit dem „Bedürfnis zu tun, eine nationale Identität als moralisches Gewissen der Welt zu schaffen“. Im Bereich der Sexualgesetzgebung war das angeblich so „liberale“ Schweden ohnehin immer besonders. So wurde – europaweit einmalig – 1987 in Schweden ein Gesetz erlassen, das Sex in Saunen verbot, um die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten in „homosexuellen Dampfbädern“ zu bekämpfen. Das Verbot wurde 2004 wieder aufgehoben, weil sich herausstellte: Kondome schützen besser vor HIV als Sexverbote. Auf der Webseite unseres Auswärtigen Amtes wird heute explizit unter den Reise- und Sicherheitshinweisen für Schweden zur Vorsicht gemahnt: „Ein geändertes Sexualstrafrecht verlangt, dass beide Partner ausdrücklich und klar erkennbar mit dem Geschlechtsverkehr einverstanden sein müssen.“ Alles andere wird nach einem schwedischen Gesetz vom 1. Juli 2018 als „unachtsame Vergewaltigung“ gewertet. Es geht soweit, dass in Schweden nun diskutiert wird, was als „verbale“ und was als „nonverbale“ Zustimmung zum Sex gilt. Eine wirklichkeitsfremde Debatte über Sexualität ist die Folge. Die sozialdemokratisch-grüne Regierung Schwedens heizt europaweit große Diskussionen an, die aus meiner Sicht in der Sache nicht weiterhelfen. 

Die naive Haltung der SPD: Alles könnte ohne Regeln angeboten werden

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Nigerianische Mafia in Deutschland: Migration von Frauen in die Zwangsprostitution
Mit dem in Deutschland von Rot-grün eingeführten Prostitutionsgesetz von 2002 galt Prostitution nicht mehr als sittenwidrig und kannte kaum Auflagen. Die damalige Herangehensweise war genauso realitätsfern wie das jetzt geforderte Sexkaufverbot weltfremder Idealisten. In Folge der Osterweiterung der Europäischen Union stieg insbesondere die Zahl von Prostituierten aus Osteuropa. Deutschland wurde zum Magneten für Freier. Es gab keine Regeln. „Sexgeschäfte“ kannten in Deutschland weder Arbeitssicherheit noch Gewaltschutz für die Frauen.

Die dramatischen Veränderungen veranlassten uns als CDU/CSU, das Gewerbe zu regulieren. Mit dem Prostituiertenschutzgesetz vor vier Jahren haben wir dann wesentliche Forderungen durchgesetzt. Die Verhandlungen mit unserem sozialdemokratischen Koalitionspartner waren ausgesprochen schwierig. In der SPD herrscht nach wie vor oftmals die naive Haltung: Nichts müsste geregelt werden, alles könnte frei und ohne Regeln angeboten werden. Prostitution wäre ein Beruf wie jeder andere. Da war und bin ich genau anderer Meinung. Es ist eine legale, aber auch eine gefährliche Tätigkeit mit vielen Risiken. Deshalb brauchen wir Schutzvorschriften für die Frauen! In langen Verhandlungen konnten wir als CDU/CSU durchsetzen: eine Anmeldepflicht für Prostituierte, eine Erlaubnispflicht für das Prostitutionsgewerbe, Hygiene- und Sicherheitsvorschriften für Bordelle und die Überprüfung der Betreiber. Dadurch konnten z.B. allein 2018 in circa 120 Fällen die Genehmigung nach Überprüfung der Antragsteller verwehrt werden. Unseriöse Betreiber wurden erst gar nicht zugelassen. Auch die Kondompflicht war eine wesentliche Neuerung, für die ich in Freierforen beschimpft wurde – „Mutter der Kondompflicht“ war darunter noch die harmloseste Beleidigung. Zur Kondompflicht wird heute aus der Praxis berichtet, dass sie die Position der Frauen gegenüber den Freiern gestärkt hat und Gesundheitsschutz für viele Frauen erwirkte. Zwar ist es unmöglich von staatlicher Seite zu kontrollieren, ob Kondome immer und überall benutzt werden – aber: die Frauen können sich jetzt auf ein Gesetz berufen und es darf nicht mehr für Sex ohne Kondom geworben werden.

Das deutsche Strafrecht anwenden – realistische Ziele verfolgen

Das deutsche Strafrecht verbietet Zuhälterei (§181 a StGB – bis zu 5 Jahre Gefängnis), Menschenhandel (§232 StGB – bis zu 10 Jahre Gefängnis) und Zwangsprostitution (§232 a StGB – bis zu 10 Jahre Gefängnis). In dem Zusammenhang stehen außerdem Einschleusung von Ausländern (§96 AufenthaltG – bis zu 10 Jahre Gefängnis), sexuelle Übergriffe, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung (§177 StGB – bis zu 10 Jahre Gefängnis) unter Strafe.

Nicht länger zulassen
Zwangsprostitution muss verhindert werden
Prostitution muss kontrolliert werden, damit die Schutzgesetze greifen können. Im rot-rot-grün regierten Berlin finden abends zum Beispiel kaum Kontrollen durch die Ordnungsämter statt. Ein zuständiger Stadtrat berichtete mir, dass die Mitarbeiter bis 22 Uhr auf der Straße unterwegs sind, und bis 23 Uhr ihre Berichte schreiben. Dann ist für die Berliner Bezirksverwaltungen Feierabend – und die Kernzeit der Prostitution beginnt. Erst durch diese Haltung können sich illegale Formen und Menschenhandel etablieren. 

Das Prostituiertenschutzgesetz braucht Kontrolle und Umsetzung. Bei Nichtbeachtung kann es nicht wirken. Von Bundesseite mussten wir das Prostituiertenschutzgesetz „zustimmungsfrei“ gestalten, das heißt ohne die Zustimmung des Bundesrates. Die rot-grün regierten Bundesländer hätten es sonst im Bundesrat verweigert. Die Verfolgung und Kontrolle verblieb somit in der Zuständigkeit der Länder. Die rot-grün regierten Bundesländer blockierten, wo sie nur konnten – und hielten das Gesetz insgesamt für nicht notwendig.

Justiz, Polizei und Ordnungsdienste müssen besser ausgestattet werden!

Wo das Prostituiertenschutzgesetz angewendet wird, haben wir den Zugang zu den Prostituierten und können Zuhälter und Menschenhändler wirksamer verfolgen und bestrafen. Die Umsetzung des Gesetzes liegt aber in der Hand der Länder. Die zuständigen Behörden und deren Ausstattung legt jedes Bundesland selbst fest. Die Bundesländer müssen zukünftig ihren Aufgaben besser gerecht werden, wenn sie Zwang und Ausbeutung bekämpfen wollen. Das hat auch das SPD-geführte Bundesfamilienministerium festgestellt: Der im Sommer 2020 vorgelegte erste Zwischenbericht zur Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes stellt fest, dass die Abläufe in den Ländern oftmals unklar sind. Rot-grün regierte Bundesländer und Großstädte sollten deshalb endlich Justiz, Polizei und Ordnungsdienste so ausstatten, dass sie Kriminalität im Zusammenhang mit Prostitution bekämpfen können.

Zwang und Gewalt bekämpfen – Sexuelle Selbstbestimmung erhalten

Vom Rettungsboot ins Bordell
Von der sogenannten Seenotrettung direkt in die Zwangsprostitution
Die Vertreter des „Nordischen Modells“ glauben, dass sie Prostitution verhindern  können. Dabei wissen wir, dass es trotz Verboten immer Prostitution gegeben hat – auch vor 2002 als sie in Deutschland als „sittenwidrig“ galt – und in allen politischen Systemen des letzten Jahrhunderts. Auch in der DDR gab es zur Verwunderung führender Köpfe der SED die „Krankheit des Kapitalismus“, wie einige Kommunisten die Prostitution nannten. Das sozialistische Strafgesetzbuch der DDR stellte deshalb Prostitution unter Strafe als „Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten“ (§249 DDR-StGB), nach dem Vorbild der „Parasitengesetze“ der Sowjetunion. Anstatt – wie früher – Frauen als „Asoziale“ zu kriminalisieren, sollen jetzt nach Vorstellung einiger Feministinnen Männer als besonders verächtliche „Sexkäufer“ kriminalisiert werden. 
Prostitution während Corona – Sie findet weiterhin und ungeschützt statt

Undifferenzierte Maßnahmen und Gesetze helfen den Frauen nicht. Darin bin ich mit vielen Fachberatungsstellen einig. Die AIDS-Hilfe weist zurecht daraufhin, dass die Befürworter des Sexkaufverbots nur weibliche Sexarbeit thematisieren, aber männliche Prostitution ausblenden. Die immer noch wichtige Bekämpfung von HIV wird durch Kaufverbote von Sex nicht gelingen. 

Während der Pandemiebekämpfung 2020 und auch jetzt aktuell können wir den Prozess beispielhaft erleben: Die Schließung der Bordelle verlagert Prostitution ins Unsichtbare. Sie findet im Wald, auf der Straße, in Privatwohnungen oder Hotels statt. Zudem sind die derzeit gültigen Corona-Verordnungen der Länder oft nicht eindeutig genug. 

Fazit

Die Argumentation – „Frauen sind immer Opfer, die Männer immer Täter“ – ist viel zu einfach. Mit der Einführung eines Prostitutionsverbots, das das Nordische Modell vorsieht, werden wir die Ausbeutung der Frauen nicht verhindern, sondern verschleiern. Eher werden wir noch die Scheu erhöhen, sich an die Polizei zu wenden, zumal viele Prostituierte aus dem Ausland unsere Strukturen und Gesetze nicht kennen. Zwangsprostitution, Zuhälterei und Menschenhandel sollten wir weiter konsequent bekämpfen – und dafür brauchen wir das Prostituiertenschutzgesetz, das dringend durchgesetzt werden muss.


Sylvia Pantel (CDU) ist direkt gewählte Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Düsseldorf-Süd.

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