Dass sich Deutschland seit vielen Jahren ökonomisch selbst überschätzt, zeigen unzählige Wirtschafts-Rankings, die sich in den langen Jahren der Regierungszeit von Angela Merkel anfangs noch unmerklich, in den vergangenen Jahren aber zunehmend dynamisch negativ entwickelt haben: Sinkende Investitionsbereitschaft und nachlassende Produktivität; eine erratische Energiepolitik, die wenig klimafreundlich, sondern vorwiegend teuer ausfällt; ein Sozialstaat, der immer großzügiger ausgebaut wird, ohne die gewaltige Rechnung zu bedenken, die dem Volk präsentiert werden muss.
Doch die Kanzlerin präsidierte, verpackte ihren verwaltenden Politikstil in grüne und sozialdemokratische Watte – und ruhte sich zunächst auf den harten sozialpolitischen Reformschnitten ihres Vorgängers Gerhard Schröder aus, die sie aber dann peu à peu mit der SPD rückabwickelte. Die CDU machte das Spiel mit, das von der Energiewende, der Euro-Rettung bis zum Migrationsdrama angeblich doch „alternativlos“ war. Zwar sanken die Wahlergebnisse der CDU in vielen Merkel-Jahren (bis auf die Ausnahme-Bundestagswahl 2013, als die FDP aus dem Bundestag flog) immer deutlicher. Aber eine Mehrheit jenseits der Union bildete sich nie, auch wenn sich diese bei der Bundestagswahl 2013 bereits einmal in einer Mandatsmehrheit aus SPD, Grünen und Linkspartei manifestiert hatte, eben weil die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert war. Doch die SPD ließ sich auf eine zweite Große Koalition mit der Union ein. In der aktuellen Legislaturperiode schien die AfD zum Garanten des selbstgefälligen Unions-Mantras geworden zu sein, dass gegen sie nicht regiert werden könne, weil sie doch mit Abstand stärkste Partei bleibe.
Die SPD spürte den Stimmungsumschwung in der Bevölkerung offensichtlich eher als die Union. Vor allem ihre wahlkämpfende Ministerpräsidentin Malu Dreyer rücken die Sozialdemokraten seit Wochen immer stärker in die TV-Runden, um für Lockdown-Ausstieg oder Schulöffnungen zu werben. Im Subtext kritisiert sie den Bundesgesundheitsminister, obwohl sie selbst in der Ministerpräsidentenkonferenz (wie übrigens die SPD-Kabinettsmitglieder in Berlin) die Corona-Politik über lange Monate kritiklos mitgetragen hat. Doch die Dreyer-Performance scheint zu wirken. Lag die CDU in den Umfragen vor der Landtagswahl am 14. März monatelang vor der SPD, kann Malu Dreyer das Blatt wohl doch wieder zu Gunsten der SPD wenden – wie vor fünf Jahren, als Julia Klöckners CDU trotz guter Umfragewerte am Schluss den Kürzeren zog.
Die Union wird ab 15. März stürmische Wochen erleben, sollte meine Prognose vom schlechten Abschneiden bei den Landtagswahlen zutreffen. Man wird nach Führung in der Union rufen, doch allseits akzeptierte Führungspersönlichkeiten drängen sich nicht auf. Armin Laschet wird die Niederlagen in Stuttgart und Mainz nicht auf seiner Habenseite buchen können. Trotzdem wird ihm die Kanzlerkandidatur der Union kaum streitig zu machen sein. Denn auch der Stern seines Mitkonkurrenten Markus Söder ist längst im Sinken begriffen – in Bayern wie republikweit. Jens Spahn, der Corona-Star des letzten Jahres, muss froh sein, wenn er nicht einem Kabinetts-Revirement zum Opfer fällt. Denn nicht wenige werden ihn zum Sündenbock abstempeln wollen, um vom eigenen Versagen abzulenken.