Das politische Geschäft kann grausam sein. Nun trifft es wieder einmal einen Ikarus, der fulminant gestartet ist und der Sonne zu nahe kam. Jens Spahn, erst Hoffnungsträger und Zukunftspotential, dabei so erfolgreich, dass sich Konkurrent Armin Laschet gezwungen sah, ihn als Tandemfahrer in sein eigenes Projekt Kanzlerschaft einzubinden – nun also Überflieger, dem die Sonne die nur mit Wachs zusammengehaltenen Schwingen dahinschmelzen lässt. Wie Höhenflüge enden, wusste bereits die griechische Sage trefflich zu berichten.
Die Karriere – immer nur nach oben
Die Karriere des Mannes aus dem Münsterland schien mustergültig und nur eine Richtung zu kennen: auf geradem Weg nach ganz oben. Als Merkel-kritischer Scheinriese mit sanft-konservativem Profil für die immer noch ob der Sozialistisierung ihrer Partei hadernde Basis sah sich die Dame aus der Uckermark einst genötigt, den ständig mit den Hufen scharrenden, bekennenden Homosexuellen in ihr Kabinett aufzunehmen. Mit Kalkül wurde ihm das Gesundheitsressort aufs Auge gedrückt – ein Ministeramt, das in normalen Zeiten wenig Potential zur Selbstdarstellung bietet und schon immer als eine gekonnte Mischung aus Nachwuchstraining und der Chance, sich an der eigenen Bedeutungslosigkeit zu verschlucken, gilt. Doch dann kam Corona – nicht nur für Merkel unerwartet, denn es schien ihr Kalkül, den Kritiker mit einem unbedeutenden Amt abgefunden und in die Disziplin gezwungen zu haben, mit Vehemenz über den Haufen zu werfen.
Dann der Absturz
Doch wie so oft bei politischen Jungstars, denen ob des unerwarteten Höhenflugs jede Selbsteinschätzung verloren geht, sollte auf Höhenflug schnell der Absturz folgen. Dabei schien alles so gut zu laufen. Ehepartner Daniel Funke sollte als Chef-Lobbyist der Hubert Burda Media KG die längst schon handzahm gewordene Meute derer im Zaum halten, die sich als Journalisten bezeichnen. Die Rückendeckung der Wirtschaft, die ihm aus dem „Young Leaders Programm“ für Führungskräfte und der Einladung zur Bilderberg-Konferenz im Jahr 2017 zu erwachsen schien, sollten ein Weiteres tun, um den Karriereweg des bekennenden Katholiken abzusichern. Doch längst lagen auch die Fallstricke bereit, in denen sich der Unangreifbare verfangen sollte.
Im Corona-Management entwickelte er sich nach dem ersten Überflug vom Macher zum Ankündigungsminister. Merkel, die neben sich keine Götter duldet, schickte ihn elegant aufs Abstellgleis, als er großspurig Flächenimpfungen und kostenlose Selbsttests versprach und ein ums andere Mal an der normativen Kraft der Alternativlosen scheiterte. Spahn sollte lernen, wer das Sagen hat – und er sollte auf das Maß zurückgestutzt werden, welches jenem, der es einst gewagt hatte, an ihrer Unfehlbarkeit zu zweifeln, in den Augen Merkels bestenfalls zugestanden werden konnte.
Wie Journalisten die Flagge nach dem Wind drehen
So wundert es wenig, dass jene Journalisten, die noch im Sommer 2020 um die Gunst des Ministers buhlten und ihn zum Helden schrieben, schnell ihre Fähnchen in den Wind drehten, der nun aus dem Kanzleramt weht. Ober schlägt Unter – die Schafkopfregel gilt auch in der schreibenden Zunft. Denn man möchte ja nicht vom exklusivinformierten Highway in die Sackgasse geraten, indem man sich die Bedeutenderen der Bedeutenden zu Gegnern macht.
Neben dem trickreichen merkelschen Ausspielen durch Auflaufenlassen kratzten solche Geschichten über die amtsflankierte Zukunftssicherung des Ministers spürbar am Image. Das Blatt wendete sich ebenso wie die Unterstützung durch jene Journalisten, deren Lobeshymnen vom dann doch an der eigenen Hybris erstickenden Spahn für bare Münze genommen worden waren. Dabei hätte der Shooting-Star doch längst gelernt haben müssen: Journalisten kennen keine Freunde und können dem Politiker solche niemals sein. So, wie es eben auch in der Politik selbst keine Freundschaften gibt – nur Zweckbündnisse, die in auf gegenseitigen Nutzen angelegten Seilschaften den Weg nach Oben ebnen sollen.
Bild holt aus zum Todesstoß
Zum Wochenende nun ist es einmal mehr die Bild-Zeitung, die in bekannter Manier zum Todesstoß ansetzt. „Rinderfilet und Spenden vor Positiv-Test“ titelt das Blatt unter dem Header „Gesundheitsminister Spahn beim Dinner“.
Die Geschichte: Einer jener die Politik begleitenden Berufslobbyisten, der frühere Regierungssprecher in Sachsen und Sachsen-Anhalt Peter Zimmermann, hatte in Leipzig ein exklusives Abendessen ausgerichtet, an dem neben Spahn „viele Unternehmer“ teilgenommen haben sollen. Diese durften, so die Berichterstattung, in den Genuss der unmittelbaren, persönlichen Nähe des Ministers kommen, wenn sie als Abendgabe die lächerliche Summe von 9.999 Euro an den CDU-Kreisverband des Ehrengastes überwiesen.
Nicht so aber im aktuellen Spahn-Fall – und allein schon die Tatsache, dass Party und Spendenbeitrag nun der Öffentlichkeit präsentiert werden, ist unübersehbarer Beleg für die Feststellung: Die Karriere Spahns neigt sich dem Ende zu. Um diesen Prozess zu beschleunigen, wartet Bild mit im wahrsten Sinne des Wortes aufregenden Details auf. So galt im erlauchten Kreise die staatlich verordnete Maskenpflicht nicht einmal bis zum eröffnenden Stehempfang. Die Zwei-Meter-Abstandsregel – unmöglich, kommt es doch bei solchen Treffen maßgeblich auf den persönlichen Kontakt an. Wer opfert schon knappe Zehntausend, um mit einem Minister und den potentiellen Geschäftsfreunden nur über deprivatisierende Distanz zu kommunizieren?
Knapp unter der Bekenntnisgrenze
Apropos knappe Zehntausend: Der Spendenwunsch in Höhe von 9.999 Euro ist selbstverständlich kein Zufall. Ab 10.000 Euro je Einzelspende müssen bei der Bundestagsverwaltung Ross und Reiter genannt werden. Bleibt der Betrag darunter, kann sich der großzügige Spender in der Anonymität verstecken und niemandem wird bekannt, in welch erlauchtem Kreise er zuvor gespeist hat.
Doch manchmal gilt: Erst verlässt einen das Glück, dann kommt auch noch Pech dazu.
Kaum war das Rinderfilet gegessen und der Minister nach anregenden Gesprächen zur Ruhe gegangen, sollte ihn am nächsten Tag die Nachricht erschrecken, positiv auf Corona getestet worden zu sein. Spahn also ein Super-Spreader? Zumindest kamen die Veranstalter nicht umhin, die Liste der erlauchten Teilnehmer dem Gesundheitsamt zu übermitteln. Schließlich mussten die möglichen Kontaktwege des Infizierten nachverfolgt werden können.
Der Stich ins Herz des Ministers
Damit nun allerdings wurde nicht nur das Diner selbst, sondern auch die Teilnehmerliste in einem Umfeld bekannt, welches das übliche Stillschweigen nicht mehr garantieren konnte. Der Weg der brisanten Informationen an die Öffentlichkeit war unvermeidbar – und die vor Enttarnung bangenden, um knapp 10.000 Euro erleichterten Teilnehmer fanden es wenig unterhaltsam, sich nun mit der Gefahr der Veröffentlichung konfrontiert zu sehen. Also sind Absetzbewegungen und Ablenkung gefragt. So zitiert Bild „einen Teilnehmer“ mit den Worten: „Spahn hatte anfangs noch seine Maske auf, doch die wurde schon beim Stehempfang abgesetzt. Da standen wir dann dicht zusammen.“ Und „ein anderer Teilnehmer“ soll geäußert haben: „Auch beim Essen saßen wir alle ohne Masken an der Tafel. Für mein Gefühl recht dicht. Das hat mich wirklich verwundert.“
Auch wenn das Boulevardblatt – vermutlich mit Rücksicht auf wichtige Anzeigenkunden – in seiner journalistischen Sorgfaltspflicht auf die Namensnennung verzichtet, so sind diese Zitate doch unverkennbar gezielt gesetzte Stiche ins Herz des Ministers. Bild weist genussvoll darauf hin, dass es doch ausgerechnet Spahn gewesen sei, der dem seuchengefährdeten Volk den unumschränkten Verzicht auf Parties und andere Zusammenkünfte untersagt, vor jedweder „Geselligkeit“ gewarnt habe. Der Politiker, der sich so gern als aufrechter Recke der Wahrhaftigkeit präsentiert hatte, nun einer, der dem Volk Leitungswasser predigt und selbst dem edlen Taittinger frönt.
Der Untergang wird unvermeidbar
Wenn es derart heftig kommt, ist das weitere Geschehen absehbar. Schließlich gilt selbst im haltungspopulistischen Journalismus immer noch die alte Regel, wonach sich derjenige den Orden an die Brust heften darf, der einem waidwunden Politiker den Fangschuss gegeben hat. Also wird in den Redaktionen gegenwärtig auf allen Kanälen nach weiteren Verfehlungen des stürzenden Ikarus gesucht – die Meute ist von der Kette und wird erst ruhen, wenn das Wild erlegt ist.
Unternimmt die Pressestelle des Ministeriums, wie in all diesen Häusern zumeist mit medienfernen Bürokraten besetzt, nun den verzweifelten Versuch, das ministerielle Fehlverhalten als des Ministers Privatsache zu erklären – als ob ein Minister sein Amt beim Verlassen des Büros beim Pförtner abgibt und als ob auch nur ein einziger Gast einen Euro dafür berappt hätte, einen unbedeutenden Privatmann namens Jens Spahn zu treffen –, sah sich der CDU-Kreisverband bereits gezwungen, den Eingang der „Spenden“ auf das Wahlkampfkonto zu bestätigen.
„Pecunia non olet“ hatte der römische Kaiser Vespasian festgestellt, um die Einführung einer Pinkel-Sesterze zu rechtfertigen. Vorgebliche Privatspenden an Parteien, die nur deshalb fließen, weil der Ehrengast Minister ist, tun es erst recht nicht – vor allem dann, wenn sie mit dem zarten Duft des vom praktizierenden Nicht-Veganer Spahn geliebten Rinderfilets umgeben ist.
Wenn dann Merkel ihr Vertrauen ausspricht …
Dumm eben nur, wenn der feine Duft verweht und das Filet gegessen ist; wenn das Volk am Kuchen, den es essen soll, weil das Brot zu teuer ist, keine Teilhabe haben darf. So stolpert nun ein zunehmend Selbstgefälliger über die Hybris der gefühlten Unangreifbarkeit – und geht damit den Weg, den vor ihm schon andere Politiker gehen mussten, die zu schnell zu weit nach oben strebten und dabei die Bodenhaftung verloren. Ist es bei dem einen die teure Luxusuhr, die als selbstverständliche Anerkennung der eigenen Bedeutung als Geschenk genommen wird, so ist es bei einem anderen nun das traute, lukrative Zusammensein, das die mit Wachs gehaltenen Schwingen schmelzen lässt.
Die beobachtenden Kenner des Geschehens warten nun geduldig auf die nächste, kanzleramtliche Befehlsausgabe mit der Bezeichnung Bundespressekonferenz und auf die rein zufällig gestellte Frage eines maskiert Beteiligten an den zum Schatten seiner selbst gewordenen Ex-ZDF-Mann Seibert, ob denn der Gesundheitsminister noch das Vertrauen Merkels genieße?
Die einstudierte Antwort glauben wir fast schon zu hören: „Die Bundeskanzlerin äußert sich nicht zu Vorgängen innerhalb der Parteien und dem Verhalten einzelner Minister. Die Arbeit des Ministers für Gesundheit genießt ihr uneingeschränktes Vertrauen.“
Und das war es dann mit der Karriere des Jens Spahn.
Hinweis: Jens Spahn hat TE gerichtlich untersagt, den Kaufpreis seiner Villa zu nennen. TE wird weiter dagegen vorgehen.