Tichys Einblick
Der Marktausblick

Die Deutschen entdecken die Aktie

Zinsen sind der Preis des Geldes. Wird Geld teurer, steigen also die Zinsen, wird es auch für Börsianer teuer: In der Regel zahlt er mit Kursverlusten. Der Dotcom-Crash 2000 etwa wurde durch Zinserhöhungen der US-Notenbank unter dem damaligen Chef Alan Greenspan ausgelöst. Bis Sommer 2000 zog Greenspan die Zinsschraube an, die heiß gelaufenen US-Indizes stürzten ab, der DAX folgte.

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Die Ausgangslage heute: An den Börsen hat eine fulminante Rally die Bewertungen vielfach aufgebläht, vor allem bei Tech-Firmen. Ausgelöst durch steigende Renditen sicherer Anlagen wie der zehnjährigen US-Bonds setzten nun starke Gewinnmitnahmen ein. Fed-Chef Powell beruhigte, er werde vorerst die Zinsen nicht erhöhen. Irgendwann jedoch wird er wieder an der Schraube drehen (müssen). Bis dahin dürften vor allem konjunktursensible Werte für Anleger interessant bleiben. Denn zuletzt war eine Zweiteilung des Aktienmarkts festzustellen: Zeitweise hohen Einbußen der US-Techs standen Gewinne vieler zyklischer Werte gegenüber, die noch nicht teuer sind. Der Dow markierte einen neuen Rekord, auch der konjunktursensible DAX hielt sich.

Auch am letzten Handelstag im Februar ging das Auf und Ab am deutschen Aktienmarkt weiter. Der DAX schloss am Freitag 0,7 Prozent im Minus bei 13.786 Punkten. Auf Wochensicht stand für den DAX ein Verlust von 1,4 Prozent zu Buche, auf Monatssicht dagegen ein Plus von 2,8 Prozent. Gewinner im DAX war am Freitag die Infineon-Aktie mit einem Plus von rund zwei Prozent. Schlusslicht im deutschen Leitindex mit einem Verlust von fast drei Prozent war das Papier der Deutschen Bank. Der weltgrößte Chemiekonzern BASF rechnet nach Rückgängen 2020 im laufenden Jahr wieder mit besseren Geschäften. „Für das Jahr 2021 erwarten wir, dass sich die Weltwirtschaft von dem starken Einbruch infolge der Corona-Pandemie erholen wird“, sagte Unternehmenschef Martin Brudermüller am Freitag in Ludwigshafen bei der Bekanntgabe der detaillierten Zahlen des vergangenen Jahres. Mit der Übernahme des US-Konkurrenten Sprint hat die Deutsche Telekom erstmals in ihrer Geschichte einen dreistelligen Milliardenumsatz eingefahren. So stiegen die konzernweiten Erlöse im vergangenen Jahr um rund ein Viertel auf 101 Milliarden Euro, wie das Unternehmen am Freitag in Bonn mitteilte. Maßgeblich ist der starke Umsatzanstieg auf die vergrößerte Tochter T-Mobile US zurückzuführen, die den Löwenanteil beisteuerte. Insgesamt machte die Deutsche Telekom drei Viertel ihrer Umsätze im Ausland. 2019 waren es knapp 70 Prozent.

Nach dem beträchtlichen Einbruch durch stockende Verkäufe, Werksschließungen und beschädigte Lieferketten im zweiten Quartal 2020 gelang es dem Volkswagenkonzern, die zwischenzeitlich roten Zahlen deutlich ins Plus zu drehen. Am Ende verdiente Europas größter Autohersteller nach Steuern 8,8 Milliarden Euro, wie aus den am Freitag vorgelegten Eckdaten hervorgeht. Der Aktienkurs drehte auf die Nachrichten hin ins Plus und legten zuletzt um rund ein halbes Prozent zu. Die Dividende für das abgelaufene Jahr soll je Vorzugsaktie 4,86 Euro betragen. Analysten hatten im Schnitt mit einer Kürzung auf rund 3,90 Euro gerechnet.
An der Wall Street hat der Dow Jones Industrial (Dow Jones 30 Industrial) am Freitag seine jüngsten Verluste ausgeweitet. Die Inflationsängste blieben das bestimmende Thema, auch wenn sich die Lage am Anleihemarkt vorerst beruhigt hat. Dort hatte am Donnerstag ein starker Renditeanstieg für Turbulenzen an den Kapitalmärkten gesorgt.

Der Dow Jones fiel am Freitag um 1,5 Prozent auf 30.932 Punkte und litt damit auch unter deutlichen Verlusten bei den Aktien des Softwarekonzerns Salesforce. Erst am Mittwoch hatte das Börsenbarometer nach der Beruhigung durch Notenbankchef Jerome Powell zur Geldpolitik ein Rekordhoch erreicht. Auf Wochensicht ergibt sich damit ein Minus von 1,78 Prozent. Die Bilanz für den Monat Februar aber weist ein Plus von 3,2 Prozent auf.

Der marktbreite S&P 500 gab am Freitag um 0,5 Prozent auf 3811 Punkte nach. Der technologielastige NASDAQ 100 hingegen erholte sich etwas von seinem Kurssturz am Donnerstag und stieg um 0,6 Prozent auf 12.909 Punkte.

Trotz der jüngeren Verluste seien die Märkte derzeit jedoch weit davon entfernt, im freien Fall zu sein, schrieb Analyst Craig Erlam vom Broker Oanda. So lägen die Renditen der US-Anleihen im Vergleich zu ihren historischen Werten weiterhin auf sehr niedrigem Niveau. Obwohl prominente Ökonomen vor einer wirtschaftlichen Überhitzung warnen, zeigen sich ranghohe Zentralbanker wie US-Notenbankchef Jerome Powell mit Blick auf Inflationsrisiken bisher entspannt.

Am Dow-Ende sackten die Aktien von Salesforce um mehr als sechs Prozent ab. Der Experte Mark Moerdler vom Analysehaus Bernstein Research sorgte sich vor einem nachlassenden Erlöswachstum und um die Nachhaltigkeit der Margen. Zudem preise der Ausblick des Unternehmens Zukäufe mit ein. Diese herausgerechnet lägen die Wachstumsziele des Konzerns unter dem längerfristigen Horizont.

Die Investoren griffen dagegen kräftig bei den Papieren des Appartment-Vermittlers Airbnb zu, der trotz eines Mega-Verlusts im vergangenen Jahr offenbar besser durch die Krise kommt als gedacht. Nach dem heftigen Einbruch zu Beginn der Pandemie erholte sich das Geschäft zuletzt deutlich. Die Anteilscheine schnellten um gut 13 Prozent in die Höhe.

Im Blick nach den heftigen Kurskapriolen der jüngsten Zeit blieb der kriselnde Videospielhändler GameStop. Am Freitag lagen die Papiere, die zum Spielball von Spekulanten geworden waren, mehr als sechs Prozent im Minus.

Wie stark die ökonomischen Schäden der Corona-Pandemie in Deutschland am Ende ausfallen, lässt sich heute schwer abschätzen. Immerhin ist die deutsche Wirtschaft Ende 2020 dank steigender Exporte und dem anhaltenden Bauboom stärker gewachsen als bislang angenommen. Das Bruttoinlandsprodukt stieg von Oktober bis Dezember um 0,3 Prozent zum Vorquartal. Bislang war nur von einem Mini-Wachstum von 0,1 Prozent ausgegangen worden. Positive Daten auch zur wirtschaftlichen Zukunft: Sowohl der Ifo-Index für die Exportwirtschaft als auch der GFK-Konsumklima-Index sind vergangene Woche besser ausgefallen als erwartet.

Dividendenjäger in aller Welt sind 2020 mit einem blauen Auge davongekommen. Denn in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg sind die globalen Dividendenzahlungen 2020 laut dem neuesten Global-Dividend-Index-Bericht von Janus Henderson auf 1,26 Billionen US-Dollar im Jahr gefallen, ein Minus von 12,2 Prozent. Am gravierendsten waren die Dividendenkürzungen in Großbritannien und der EU, die zusammen für mehr als die Hälfte des weltweiten Rückgangs der Ausschüttungen verantwortlich waren. Dies ist hauptsächlich auf die von den Aufsichtsbehörden verhängten Beschränkungen für Bankendividenden zurückzuführen, so Janus Henderson. „Deutschland hat sich laut unseres Index im Vergleich zum Rest Europas mit einem Rückgang von bereinigt 12,9 Prozent ganz gut geschlagen“, erklärt Daniela Brogt, Head ofSales Germany & Austria bei Janus Henderson Investors. Zu den größten Dividendenzahlern in Deutschland gehörten Allianz, Siemens und BASF. Die Ausschüttungen für das vierte Quartal 2020 fielen global um 14,0 Prozent auf insgesamt 269,1 Milliarden US-Dollar. Dies war weniger stark als erwartet, da Konzerne wie Volkswagen die ausgesetzten Dividenden in voller Höhe wieder einführten und andere wie Essilor in Frankreich sie auf ein niedrigeres Niveau zurückbrachten.

Die Aktienkultur der Deutschen hat sich parallel zur Börsenrally kräftig verbessert. Laut dem Deutschen Aktieninstitut (DAI) waren mit 12,4 Millionen Menschen im Corona-Jahr 2020 besonders viele Menschen in Aktien investiert. Insbesondere die junge Generation habe im letzten Jahr die Börse für sich entdeckt, so das DAI. „Die Zahl der Aktiensparerinnen und Aktiensparer in Deutschland ist im letzten Jahr um 2,7 Millionen in die Höhe geschnellt. Das ist sensationell“, erklärt Christine Bortenlänger, geschäftsführender Vorstand des DAI. „Jeder Sechste in Deutschland hatte Aktien, Aktienfonds oder Aktien-ETFs im Depot. Mehr Aktiensparerinnen und -sparer gab es zuletzt im Jahr 2001.


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