Tichys Einblick
Israeli verstehen die Welt nicht mehr:

Sogar Gaza impft, während München und Stuttgart vertrösten

Während in Deutschland seit Wochen Impfzentren ohne Impfstoff vor sich hindämmern, wird seit Sonntag in einer der ärmsten Welt-Regionen, in Gaza, gegen das Covid-19-Virus geimpft. Ausserdem hat Israel begonnen, Palästinenser aus der Westbank, die in Israel arbeiten, gegen Covid-19 zu schützen.

Mobile Impfstation in Jerusalem

IMAGO / ZUMA Wire

Israeli verstehen die Welt nicht mehr. Deutschland, das Land, das für beste Organisationskraft und akkurate Planung stets bewundert wurde, bekommt ein Jahr nach Beginn der Pandemie außer Nebelkerzen-Diskussionen fast nichts auf die Reihe. In München gibt es auf dem Messegelände für 1,5 Millionen Einwohner ein einziges Impfzentrum, das schleppend impft und die über 80jährigen bei Minustemperaturen am Rollator im Freien warten lässt. Unter 80jährige, die das Gesundheitsamt in München flehentlich um eine Impfung bettelnd anrufen, werden instruiert, Telefonate zu unterlassen: „vor Herbst werde es für sie voraussichtlich keine Impfung geben“. 

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In Stuttgart erhält ein 81jähriger (Name und Adresse liegen TE vor) nach wochenlanger Wartezeit endlich einen Impftermin. Aber nicht im 800 Meter entfernt liegenden Impfzentrum am Messegelände. Dort gibt es fein säuberlich aufgestellte Kabinen, aber keinen Impfstoff. Dafür muss ihn seine Frau ins 24 Kilometer entfernte Robert-Bosch-Krankenhaus fahren. Als die fast 79jährige höflich anfragt, ob sie – da sie mit ihrem Ehemann schon mal da sei – auch den Oberarm freimachen dürfte, wird sie abgewiesen. Sie sei noch keine 80 und stehe im Übrigen auch nicht auf der Liste. Ihr Hinweis, dass sie seit 50 Jahren auf der Liste der Steuer- und Krankenkassenzahler stehe, wird geflissentlich überhört.

Dazu passt die aktuelle Meldung der Süddeutschen Zeitung vom Dienstag: in Deutschland sind zwei Prozent vollständig und vier Prozent einmalig gepiekst.

Der israelische Gesundheitsminister berichtet zur gleichen Zeit in Jerusalem: Mehr als 70 Prozent aller israelischen Bürger über 16 Jahren haben eines der zahlreichen Impfzentren in Städten und auf dem Land aufgesucht. In absoluten Zahlen heisst das: 4 456 000 Menschen sind geschützt, davon 3 076 000 doppelt. Seit Anfang der Woche sind alle Einkaufszentren in Israel wieder geöffnet und bei IKEA werden nicht nur Möbel verkauft, sondern auch geimpft. Friseure föhnen schon seit über einer Woche, körpernahe Dienstleistungen wie Massagen und Fußreflex-Behandlungen sind auch wieder aktiv. 

Israel feiert in der zweiten Wochenhälfte das Purimfest, das traditionell bei Straßenumzügen und Parties bejubelt wird. Nach 2020 fällt das öffentliche Feiern auch heuer aus – nächtliche Ausgangssperre für Do, Fr und Sa sind verfügt. Die Theater bereiten sich aber auf eine neue Spielsaison vor. Einlass erhält nur, wer neben einem bezahlten Ticket den grünen Ausweis vorweisen kann, den inzwischen jeder Geimpfte auf seinem Smartphone gespeichert hat. Im berühmten Khan-Theater in Jerusalem leuchten bereits die Bühnen-Scheinwerfer.

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Selbst an den politisch komplizierten Schnittpunkten zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten wird inzwischen zügig gegen Covid-19 gekämpft. Araber, die in Israel innerhalb der „grünen Linie“ ihren Wohnsitz haben, werden von den Krankenkassen wie gewohnt als Israeli behandelt, erhalten also kostenfrei den Nadelstich. Jetzt bekommen aber auch rund 120 000 Palästinenser, die täglich von der Westbank nach Israel zur Arbeit fahren, einen Impfschutz. Aus israelischer Sicht ist das Selbstschutz, denn die Arbeitnehmer, die vorwiegend in der Landwirtschaft und am Bau beschäftigt sind, könnten den Virus oder eine Mutante ungeschützt einschleppen.

Um sicher zu gehen hat Israel am Kontrollpunkt „Qalandiya“, der im Großraum Jerusalem liegt, eine Impfstation eingerichtet, die von Palästinensern gerne frequentiert wird. Wenn es um ihre Gesundheit geht, vertrauen sie den israelischen Ärzten und Krankenschwestern eher als den eigenen Landsleuten. Israel hat auch der „Palestinian Authority“ eine symbolische Menge Impfstoff zur Verfügung gestellt. Ob und wie damit geimpft wird, steht in der Verantwortung der Führung in Ramallah.

Inzwischen hat Gaza, eines der weltweit am dichtesten besiedelten und ärmsten Regionen, „mehrere Hunderttausend Impfdosen der russischen Marke Sputnik V“ erhalten. Spender sind die Vereinigten Arabischen Emirate, deren LKW den ägyptischen Kontrollpunkt Rafah passiert haben, wie das World-Health-Organisation (WHO)-Büro in Jerusalem gegenüber TE bestätigt. Die Gesamtlage ist politisch nicht unkompliziert. Denn der Partner der WHO in „Palestine“ ist einzig und allein die „Palestine Authority“ (PA) in der Westbank. Und die hat in Gaza etwa soviel zu sagen wie die SPD in Australien. In dem Küstenstreifen am Mittelmeer, aus dem immer wieder Raketen auf Israel abgeschossen werden, herrscht die „Hamas“ seit 2007 mit eiserner Faust und Waffengewalt. Und die „Hamas“ gilt auch in der Sprache der EU als „Terror-Organisation“, mit der keine offizielle Hilfseinrichtung Kontakt haben darf. 

Israel drückt beide Augen zu, denn es geht hier um über zwei Millionen geplagte Menschen. Eine Eskalation durch eine unbegrenzte Pandemie wollen alle in der Region verhindern. Jerusalem, insbesondere die „Israel Defence Forces“, will aber sicher gehen, dass über Hilfslieferungen „nichts anderes“ in Gaza ankommt. Der neue Partner VAE, mit dem Israel seit kurzem diplomatische Beziehungen unterhält, und der alte Partner Ägypten tragen für „sichere Lieferungen“ die Verantwortung.

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Impfstoff spielt aber auch bei einer aktuellen, spektakulären Rettungsaktion in Syrien eine Rolle. Eine psychisch auffällige Israelin hatte sich vor einiger Zeit auf den Golanhöhen nach Syrien verlaufen. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, der sich im Wahlkampfmodus befindet – Israel wählt mal wieder am 23. März – telefonierte mit „meinem Freund Vladimir Putin“ und holte seine Landsfrau über Moskau zurück nach Tel Aviv. Der Deal lief über ein Tauschgeschäft, bei dem Putin auch Impfstoff für Syrien gefordert haben soll. Netanyahu bestreitet das, aber die Meldung hält sich hartnäckig in den Medien Israels. Israelische Journalisten nehmen die Finger der linken Hand zur Hilfe und zählen auf: Israel hat 70 Prozent seiner 9,2 Millionen Bürger inklusive Asylanten sowie Teile der palästinensischen Westbank und des Gazastreifens versorgt. Außerdem dealt es auch noch Impfstoff für Syrien über Putin. Auch Honduras bekommt von Israel eine größere Portion Impfstoff, denn der mittelamerikanische Staat hat zugesagt, seine Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen.

Dagegen steht Deutschland, eine der reichsten Industrie-Nationen der Welt, das seine älteren, impfwilligen Bürger auf den Sommer, alle anderen auf Herbst vertröstet. Israeli stehen vor Strandcafes und Restaurants, die nächste Woche mit Abstandsregelungen und beliebiger Maske wieder öffnen und schütteln den Kopf: Was ist nur aus Deutschland geworden?

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