Israeli verstehen die Welt nicht mehr. Deutschland, das Land, das für beste Organisationskraft und akkurate Planung stets bewundert wurde, bekommt ein Jahr nach Beginn der Pandemie außer Nebelkerzen-Diskussionen fast nichts auf die Reihe. In München gibt es auf dem Messegelände für 1,5 Millionen Einwohner ein einziges Impfzentrum, das schleppend impft und die über 80jährigen bei Minustemperaturen am Rollator im Freien warten lässt. Unter 80jährige, die das Gesundheitsamt in München flehentlich um eine Impfung bettelnd anrufen, werden instruiert, Telefonate zu unterlassen: „vor Herbst werde es für sie voraussichtlich keine Impfung geben“.
Dazu passt die aktuelle Meldung der Süddeutschen Zeitung vom Dienstag: in Deutschland sind zwei Prozent vollständig und vier Prozent einmalig gepiekst.
Der israelische Gesundheitsminister berichtet zur gleichen Zeit in Jerusalem: Mehr als 70 Prozent aller israelischen Bürger über 16 Jahren haben eines der zahlreichen Impfzentren in Städten und auf dem Land aufgesucht. In absoluten Zahlen heisst das: 4 456 000 Menschen sind geschützt, davon 3 076 000 doppelt. Seit Anfang der Woche sind alle Einkaufszentren in Israel wieder geöffnet und bei IKEA werden nicht nur Möbel verkauft, sondern auch geimpft. Friseure föhnen schon seit über einer Woche, körpernahe Dienstleistungen wie Massagen und Fußreflex-Behandlungen sind auch wieder aktiv.
Israel feiert in der zweiten Wochenhälfte das Purimfest, das traditionell bei Straßenumzügen und Parties bejubelt wird. Nach 2020 fällt das öffentliche Feiern auch heuer aus – nächtliche Ausgangssperre für Do, Fr und Sa sind verfügt. Die Theater bereiten sich aber auf eine neue Spielsaison vor. Einlass erhält nur, wer neben einem bezahlten Ticket den grünen Ausweis vorweisen kann, den inzwischen jeder Geimpfte auf seinem Smartphone gespeichert hat. Im berühmten Khan-Theater in Jerusalem leuchten bereits die Bühnen-Scheinwerfer.
Um sicher zu gehen hat Israel am Kontrollpunkt „Qalandiya“, der im Großraum Jerusalem liegt, eine Impfstation eingerichtet, die von Palästinensern gerne frequentiert wird. Wenn es um ihre Gesundheit geht, vertrauen sie den israelischen Ärzten und Krankenschwestern eher als den eigenen Landsleuten. Israel hat auch der „Palestinian Authority“ eine symbolische Menge Impfstoff zur Verfügung gestellt. Ob und wie damit geimpft wird, steht in der Verantwortung der Führung in Ramallah.
Inzwischen hat Gaza, eines der weltweit am dichtesten besiedelten und ärmsten Regionen, „mehrere Hunderttausend Impfdosen der russischen Marke Sputnik V“ erhalten. Spender sind die Vereinigten Arabischen Emirate, deren LKW den ägyptischen Kontrollpunkt Rafah passiert haben, wie das World-Health-Organisation (WHO)-Büro in Jerusalem gegenüber TE bestätigt. Die Gesamtlage ist politisch nicht unkompliziert. Denn der Partner der WHO in „Palestine“ ist einzig und allein die „Palestine Authority“ (PA) in der Westbank. Und die hat in Gaza etwa soviel zu sagen wie die SPD in Australien. In dem Küstenstreifen am Mittelmeer, aus dem immer wieder Raketen auf Israel abgeschossen werden, herrscht die „Hamas“ seit 2007 mit eiserner Faust und Waffengewalt. Und die „Hamas“ gilt auch in der Sprache der EU als „Terror-Organisation“, mit der keine offizielle Hilfseinrichtung Kontakt haben darf.
Israel drückt beide Augen zu, denn es geht hier um über zwei Millionen geplagte Menschen. Eine Eskalation durch eine unbegrenzte Pandemie wollen alle in der Region verhindern. Jerusalem, insbesondere die „Israel Defence Forces“, will aber sicher gehen, dass über Hilfslieferungen „nichts anderes“ in Gaza ankommt. Der neue Partner VAE, mit dem Israel seit kurzem diplomatische Beziehungen unterhält, und der alte Partner Ägypten tragen für „sichere Lieferungen“ die Verantwortung.
Dagegen steht Deutschland, eine der reichsten Industrie-Nationen der Welt, das seine älteren, impfwilligen Bürger auf den Sommer, alle anderen auf Herbst vertröstet. Israeli stehen vor Strandcafes und Restaurants, die nächste Woche mit Abstandsregelungen und beliebiger Maske wieder öffnen und schütteln den Kopf: Was ist nur aus Deutschland geworden?