Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 08-2021

Mehr als die Hälfte kommt ohne Ausweispapiere

Das deutsche Asylrecht ist längst ein Eintrittspfad für Jedermann geworden. Denn die Anonymität garantiert auch bei Nichtanerkennung oft ein Bleiberecht.

ELVIS BARUKCIC/AFP/Getty Images

Das heikle Thema Asylrecht und Migration ist in Corona-Zeiten deutlich in den Hintergrund getreten. Deshalb ist eine Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine kleine Anfrage der FDP-Abgeordneten Linda Teuteberg so aufschlussreich, die jetzt öffentlich wurde.

Ein Kernsatz des Innenministeriums, der fassungslos macht: „Im Jahr 2020 lag der Anteil der Asylerstantragstellenden ab 18 Jahren ohne Identitätspapiere bei 51,8 Prozent.“ Mehr als die Hälfte der Leute, die Deutschland erreichen und das Zauberwort Asyl kennen, sind also nicht in der Lage oder auch nicht willens, ihre wahre Identität zu offenbaren. Historisch entspringt das im Grundgesetz garantierte Asylrecht der Erfahrung im Nationalsozialismus. Man stelle sich vor, aus Nazi-Deutschland geflohene Juden, Sozialdemokraten oder Liberale hätten zwar verzweifelt versucht, in den USA, Argentinien, Australien oder anderswo Schutz zu finden, sich aber geweigert, ihre wahre Identität preiszugeben und ihr Herkunftsland zu verschleiern. Man würde niemanden finden!

Zwar sind durchaus Gründe denkbar, warum Migranten nicht im Besitz von Ausweispapieren sind: Es gibt immer noch Regionen auf diesem Globus, in denen keine Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente erstellt werden. Manchmal nehmen Schleuser die Papiere ab oder die Dokumente sind auf der Flucht (etwa übers Meer) verloren gegangen. So argumentierte selbst die Bundesregierung in früheren Antworten auf Abgeordnetenanfragen zu diesem desaströsen Befund.

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Doch das ist blauäugig und naiv. Denn tatsächlich wissen viele Migranten nur zu gut, dass eine ungeklärte Identität einen jahrelangen geduldeten Aufenthalt in Deutschland garantiert – mit sozialen Leistungen, die für Menschen aus den Armenhäusern der Welt unvorstellbar sind und deshalb einen hohen Pullfaktor für die Asyl-Zuwanderung nach Deutschland darstellen. Im vergangenen Jahr wurden nur 26 Prozent der rund 100.000 Migranten tatsächlich als Flüchtlinge anerkannt. Doch auch die allermeisten abgelehnten Asylantragsteller dürfen trotzdem bleiben. Denn wer seine Identität nicht zweifelsfrei nachweist, kann in der Regel nicht abgeschoben werden, weil der vermutete Herkunftsstaat die Rückkehr solcher „Bürger“ schlicht verweigert. Dass dieses Asyl-System zum Missbrauch förmlich einlädt, liegt auf der Hand. Dass die massenhaft fehlenden Identitätspapiere die deutsche Asyl-Bürokratie, aber auch die Verwaltungsgerichte, überfordern, beklagt die FDP-Abgeordnete völlig zu Recht. Schließlich sei das Asylrecht „für Menschen, die Schutz vor politischer Verfolgung benötigen“, gedacht.

Ein „Märchen“ nennt der frühere Polizist Ulf Küch, dass Asylbewerber keine Ausweispapiere besäßen: „es wird ja immer gesagt, die hätten keine Pässe gehabt. Mag sein, aber die haben ihre Papiere versteckt – nicht weggeschmissen. Niemand auf der Welt – das ist meine langjährige Erfahrung – niemand bis auf ein paar vollkommen Losgelöste, vernichtet seine Personaldokumente. Er könnte ja in irgendeine Situation geraten, wo er möglicherweise wieder nach Hause kommt. Die haben ihre Papiere irgendwo versteckt oder Schlepperbanden haben die Dokumente zurückgehalten. Doch – wenn man es wirklich gewollt hätte, dann hätte man sehr schnell feststellen können, aus welchem Bereich jemand kommt.“ Für die jährliche Urlaubsreise ins Fluchtland werden die Papiere kurzfristig wieder gefunden.

Wer sich genauer in die Antworten des Innenministeriums einliest, stellt noch andere Merkwürdigkeiten fest. Selbst ein Fünftel der volljährigen türkischen Antragsteller, immerhin eines NATO-Mitgliedslandes vor der europäischen Haustüre, verfügten 2019 über keinerlei Identitätsnachweise. Volljährige Asylbewerber aus Nigeria und Somalia kamen zu 95 Prozent ohne Papiere, Gambier zu 98 Prozent. Meist ohne Pass unterwegs sind auch Pakistaner (81 Prozent) und Afghanen (78 Prozent). Auffällig ist auch, dass unter den exakt 102.581 Ausländern, die 2020 erstmals einen Asylantrag in Deutschland gestellt haben, nicht weniger als 26.520 Schutzanträge in Deutschland geborenen Kindern im Alter von unter einem Jahr galten. Auch Kinder sind ein Abschiebehindernis und erhöhen die Bleibechancen im deutschen Sozialstaat.

Immerhin 190.608 Ausweispapiere hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im vergangen Jahr auf ihre Echtheit überprüft. Nur 4.488 seien als Fälschungen identifiziert worden. Das entspricht gerade einmal 2,36 Prozent. Doch das Innenministerium schränkt ein, daraus ließen sich keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Zahl von Menschen ziehen, die tatsächlich falsche Papiere vorlegen. Denn nicht selten würden mehrere vorgelegte Dokumente eines Antragstellers geprüft. Nur das Vorlegen falscher oder fremder Dokumente durch Asylbewerber ist übrigens strafbar. Falsche mündliche Identitätsangaben durch Antragsteller haben dagegen keine Auswirkungen für ihr Asylverfahren. Bundesinnenminister Seehofer scheiterte mit einem entsprechenden Vorstoß vor zwei Jahren am SPD-geführten Justizministerium.

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