Die virtuell versammelten Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU lauschen wie seit Wochen vor ihren Laptops den Worten der Kanzlerin. Dr. Angela Merkel führt Deutschland durch die Dunkelheit ins Licht, hoffen viele Parlamentarier. Manche jedoch längst nicht mehr. Einige wenige versuchen sich in Kanzler-Kritik, andere haben sich ins innere Exil zurückgezogen. Dieses Verhalten dürfte Merkel noch aus DDR-Zeiten gut kennen und schätzen.
Den Auftakt bei der virtuellen Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion macht CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Er warnt ganz im Sinne seines Parteivorstehers Markus Söder vor den Corona-Gefahren. Dobrindt sieht Deutschland daher „in einer sehr kritischen Phase der Pandemie“ mit zwei Bewegungen. Das alte Virus sinke „deutlich stärker als wir das alle wahrnehmen“ und das neue Virus steige „deutlich stärker als wir das alle wahrnehmen“, hätten der CSU am Wochenende Experten berichtet. In der Summe gebe es so die Seitwärtsbewegung bei den Corona-Werten. Das mutierte Virus übernehme aber die Dominanz bei steigendem Risiko. Gefahr, Gefahr.
Andererseits muss Dobrindt zugeben, berichten teilnehmende Abgeordnete, dass die Politik massiv unter Öffnungsdruck seitens frustrierter Bürger und Wirtschaft steht. Dobrindt glaubt deswegen, Impfen und Testen müsse zur Normalität führen. Na, dieser Weg kann dauern.
Das heißt laut Dr. Merkel im Furcht beschwörenden Konjunktiv, „dass wir wieder in ein Wachstum kommen könnten“. Jetzt hätten auch noch in vielen Ländern Schulen und Kindergärten aufgemacht und am 1. März auch noch die Friseure. Ohje, ohje. Merkel hat also bald kein Alleinstellungsmerkmal mehr mit staatlich alimentierten Kosmetik- und Friseurleistungen im Kanzleramt.
Man wolle ja schließlich keine Wellenbewegung durch Öffnen und Schließen erzeugen und nun „einen Pfad finden bis in den Sommer hinein“, bei dem das Impfen dann wirke, mahnt die Kanzlerin weiter. Das setze jedoch gemeinsam vereinbarte Öffnungsschritte voraus. Die Inzidenz von 35 sei ja mit den Ministerpräsidenten beschlossen – und erst bei 35 dürften „die Geschäfte wieder aufmachen“! So wolle die Kanzlerin Länder und Kommunen unter ihrer Kontrolle halten, glauben teilnehmende Bundestagsabgeordnete.
Sie zählt dabei drei „Stränge“ ihrer vermeintlichen Öffnungspolitik auf: Persönliche Kontaktbeschränkungen, höhere Klassen an Schulen, Berufsschulen und Universitäten. Erst ganz am Ende kommen bei Merkel Wirtschaft, Restaurants und „eines Tages Hotels“, sowie Sport und kulturelle Veranstaltungen. Vielleicht könne man sich ja auch aus jedem Strang ein bisschen vornehmen. Aber Vorsicht: „Zwischendurch müssen wir immer gucken, nicht wieder in ein exponentielles Wachstum zu kommen.“
Merkel: „Eine dritte Welle können wir nicht weg definieren.“
Obendrein beschwört Merkel Impfungen und Tests als Allheilmittel für Öffnungen. Nur für die von ihrem Gesundheitsminister versprochenen Tests für alle ab März müsse man sich noch mit den Ministerpräsidenten nächste Woche absprechen. So etwas könne der Bund nicht allein beschließen. Setzen Jens Spahn, Ihre Kanzlerin will nicht so, wie Sie wollen. Bäng.
Natürlich sei Deutschland weiter „in einer schwierigen Situation“ und die Politik müsse „vorsichtig agieren“. Der Öffnungsdruck sei groß, aber „wir würden uns keinen Gefallen tun“ nach Öffnungen wieder zuzumachen. Auch eine „dritte Welle können wir nicht weg definieren, weil wir mit der Mutation leben müssen“, hätte die Kanzlerin verkündet, berichten Teilnehmer aus der virtuellen Runde. Wehe, wehe.
Die Kanzlerpredigt gefällt dem Wirtschaftsexperten Joachim Pfeiffer aus Mutlangen (Baden-Württemberg) in der allgemeinen Aussprache nicht so recht. Er kritisiert gegenüber der Kanzlerin die überflüssige Corona-Bürokratie, berichten Teilnehmer. Warum brauche Deutschland jetzt noch einen Impfbeauftragten, wo man endlich Millionen zusätzliche Impfdosen aufgetrieben habe? Merkel verteidigt darauf ihre Impf-Bürokratie bei der Beschaffung: „Die Staatssekretäre alleine können das jetzt nicht machen, da braucht man vollen Einsatz.“ Soso.
Merkels Corona-Ziele sind nicht realistisch
Besonnene Fachleute bezweifeln seit langem die Zielsetzung von Merkels Politik. „Die Seuchenbekämpfung braucht ein ambitioniertes, aber erreichbares Ziel, um die Bevölkerung auf dem Weg mitzunehmen. “Das Ziel der 50er-Inzidenz ist aber nicht realistisch“, mahnt der Virologe und Epidemiologe Klaus Stöhr, der lange für die Weltgesundheitsorganisation arbeitete und dort das globale Influenza-Programm sowie die Forschung zum Sars-Virus leitete. „In den Wintermonaten, in denen sich Atemwegserkrankungen in unserer gemäßigten Klimazone viel leichter verbreiten, ist dies kaum, und wenn, dann nur durch heftigen Dauerdruck zu erreichen.“ Selbst wenn es gelänge, den Inzidenzwert unter höchsten Anstrengungen auf unter 50 zu senken, würden die Fälle in der kalten Jahreszeit wieder ansteigen, sobald gelockert würde.
Ohnehin haben Merkel und ihre Hofvirologen statt 50 längst den Inzidenzwert von 35 Infektionsfällen unter 100.000 Einwohner pro Woche als Lockerungsziel aus der Luft gegriffen und politisch festgelegt.
Laut bereits bekannten Plänen der sächsischen Staatsregierung dürften bei einem stabilen Sieben-Tage-Inzidenzwert von unter 35 der Einzelhandel erst nach zwei Wochen sowie Hotels und Gaststätten drei Wochen danach wieder öffnen. Experten sagen voraus, weitgehende Öffnungen seien so im besten Falle erst ab Mai möglich, wenn überhaupt. Dann hätten weite Teile des Landes über ein halbes Jahr fast stillgestanden.
Zahlreiche Unions-Abgeordnete vermuten daher: „Die wollen gar nicht öffnen.“ Nicht umsonst ließen sie ja RKI-Chef Lothar Wieler seine Wünsche vom Inzidenzwert 10 äußern. Diese Woche ist klar: Dieser extrem niedrige Wert soll zentrales Ziel eines RKI-Stufenplans für eine „Öffnungsstrategie“ werden. Allerdings würde diese Marke die obenstehende Vermutung von Unions-Abgeordneten bestätigen. Einige vernunftbegabte Kabarettisten machen sich über Merkels Corona-Politik zurecht lustig: „Mutier, mutier – nichts funktionier!“
Aber ist Panik laut diesen staatlichen Zahlen angebracht?
Wie weit der Corona-Wahnsinn der Regierenden getrieben wird, beweist Merkels zweiter Musterschüler, Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Seit 15. Februar gilt im Freistaat sogar eine medizinische Maskenpflicht im Auto für Fahrer und Beifahrer, die in verschiedenen Hausständen leben. Bei Verstößen sind 100 Euro fällig. Sachsens Polizei kontrolliert jetzt wie wild an den Straßen und erwischt vor allem Paare, die zwar seit Jahren zusammenleben, aber noch jeweils eigene Wohnsitze haben. Doch die Folgen des Kontrollwahns sind noch verrückter, da laut Straßenverkehrsordnung ein Verhüllungsverbot des Gesichts besteht (Strafe 60 Euro) ordnet Kretschmers Innenminister Roland Wöller (CDU) nachträglich an: „Ein zusätzliches Tragen von Mützen, Kopfbedeckungen oder Sonnenbrillen führt zur Unkenntlichkeit. Das ist also nicht gestattet.“ Ergo: Lieber geblendet ohne Sonnenbrille bei tief stehender Wintersonne einen Verkehrsunfall bauen, aber dabei eine Maske im Auto zur Verhinderung einer eher geringen Ansteckungsmöglichkeit tragen. Offensichtlich wird das Risiko tödlicher Unfälle hingenommen.
Selbst den vollmundig von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) versprochenen Plan – Corona-Schnelltests für alle ab 1. März – wischte Kanzlerin Merkel in ihrem sogenannten Corona-Kabinett diese Woche vom Tisch. Kommt vorerst nicht.
Erinnern wir uns an dieser Stelle an den Beginn der Pandemie. Trotz einer Risikoanalyse der Bundesregierung zum Bevölkerungsschutz: keine Schutzkleidung, keine Schutzmasken, keine Desinfektionsmittel, kein Klopapier. Aber: Kontrollen, Strafen und Bußgelder kommen sofort.