Die 7-Tages-Inzidenz ist weiterhin auf niedrigem Niveau. In den letzten Tagen wird berichtet, dass die Inzidenz leicht stieg, zuletzt auf 61 bundesweit. Das muss zunächst einmal nichts bedeuten, da im Abwärtstrend der letzten Wochen bereits mehrmals solche kleine Ausreißer vorkamen.
Wird die dritte Welle herbeigetestet?
Die Inzidenzzahlen in Deutschland sind gerade im internationalen Vergleich vorsichtig zu betrachten. Deutschland hat im internationalen Vergleich ziemlich niedrige Testzahlen. Beispielsweise hat Italien aktuell eine 7-Tages-Inzidenz, die deutlich über der deutschen liegt, aber Italien testet in Relation auch fast drei mal so häufig. Man musste in Deutschland immer von einer sehr hohen Dunkelziffer bis zu 400% ausgehen. Das sind meist Menschen, die gar nicht krank sind oder milde Verläufe haben, aber die ein positives Testergebnis bekommen würden, sollte man sie testen.
Deswegen war die Inzidenz immer eine wacklige Zahl: Denn sie hing relativ stark davon ab, wieviel gerade getestet wurde. Über Weihnachten ist in unserer Inzidenzgrafik etwa eine riesige Delle, die maßgeblich wohl nur durch die über Weihnachten abgesackte Testanzahl verursacht wurde. In den letzten Wochen stabilisierte sich dieser Effekt: Denn während die Zahl der durchgeführten Tests wenigen Schwankungen unterlag, sank die Inzidenz klar – das muss also in der Realität begründet sein. Dennoch sank die Positivenrate der Tests kontinuierlich, sodass davon auszugehen ist, dass die Dunkelziffer wöchentlich reduziert und das Absinken der Inzidenz damit künstlich verlangsamt wurde.
Die Zahlen für die letzte Woche liegen noch nicht vor. Inwiefern die Zahl der Tests also den jüngsten Anstieg der Inzidenz mitbeeinflusst hat, kann man noch nicht sagen. TE wird Sie auf dem Laufenden halten.
Wie der Tagesspiegel berichtet, haben die Berliner Amtsärzte nun in einer Stellungnahme mit ähnlichen Bedenken protestiert: Es sei „nicht zielführend, Eindämmungsmaßnahmen an Inzidenzen von 20/35/50“ zu koppeln hieß es. Und: „Diese Inzidenzen bilden nicht das wirkliche Infektionsgeschehen ab“. Sie seien von Testkapazitäten und dem Testwillen der Leute abhängig. „Dadurch kommt es zu Schwankungen, die nicht die infektiologische Lage widerspiegeln.“
Die Frage inwieweit der jetzige Trend tatsächlich die Realität oder nur die Testpolitik abbildet, lässt sich noch nicht beurteilen. Vorschnelle Schlüsse sind nicht angemessen.
Ob die dritte Welle nun kommt oder nicht, kann man jetzt noch nicht sagen; das Überinterpretieren relativ wenig aussagekräftiger Kurven hat eher astrologische Züge. Es wäre jedenfalls bemerkenswert, wenn die Zahlen hierzulande steigen, während sie europa- und weltweit sinken.
Es geht um Folgen nicht um Infektionen
Wichtig ist auch zu betrachten, in welchen Altersgruppen die Inzidenz sich verändert. In der 2. Welle über Weihnachten zeigte sich zwar eine mittelbare Wirkung des Lockdowns in jüngeren Altersgruppen aber ein ungebrochenes Infektionsgeschehen bei Hochrisikogruppen, vor allem unverändert in Altersheimen. Über 85-Jährige waren dort weit überproportional häufig infiziert, was zu steigenden Todeszahlen führte.
Diese Entwicklungen sind prinzipiell zu trennen: Eine hohe Inzidenz in der Gesamtbevölkerung ist erst einmal nichts gravierend Schlimmes. Das Risiko von schweren und sehr schweren Verläufen liegt hier im Promillebereich und in der Dimension von Alltagsrisiken. Im Gegenteil: Starkes Infektionsgeschehen in der Normalbevölkerung ist auf die lange Bahn wohl sogar eher förderlich, da Herdenimmunitäten aufgebaut werden können, wie TE hier aufzeigte. Der aktuelle Trend zeigt (der noch nicht die Zahlen der letzten Woche beinhaltet): In den letzten Wochen sanken die Neuinfektionen bei den sehr Alten deutlich stärker als in der Restbevölkerung. Das ist die Zahl, auf die man schauen sollte, denn nur aus ihr folgen die Toten. Immerhin sind fast 90% der Corona-Toten über 70 Jahre alt.
Die Zahl der Toten und der Intensivpatienten sinkt in Folge weiter konstant ab. Die Zahl der wöchentlichen Toten hat sich seit Dezember mittlerweile halbiert.
Gerald Groß, Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, sagte der Welt: „Wir sind nicht überlastet“. Die Belegung der Intensivbetten insgesamt ist sogar unter dem Schnitt der Vorjahre. Etwas Gegenteiliges ist auch nicht zu erwarten: Denn nachdem die Politik es bis Dezember verschlafen hatte, hat sich der Schnelltest-Schutz in Heimen deutlich verbessert. Da von Bundesland zu Bundesland bis zu 90% der Toten aus Altersheimen kommen, wäre hier der entscheidende Schritt zu tun, der die Lage entspannen kann.
In Deutschland hat eine Logik-Umkehr stattgefunden, die uns völlig von der Realität entfernt hat. Am Anfang der Pandemie im letzten Frühjahr wurde immer relativ klar gesagt: Am Ende wird eine Durchseuchung zur Herdenimmunität unvermeidbar sein, es geht mit dem Lockdown nur darum, die Fälle zu verschleppen, um das Gesundheitssystem über Wasser zu halten. Das ist immerhin ein halbwegs plausibles Argument. Irgendwann gingen wir allerdings dazu über, ein Land von Kurvendiskutanten zu werden, in dem der Lockdown selbstverständlich wurde, wenn nur „die Zahlen“ ein wenig stiegen. Der einzige mögliche positive Effekt des Lockdowns ist die Verhinderung der Triage. Alles andere war nie die Idee und wurde in mehreren renommierten Untersuchungen widerlegt. Aber auch in den schlimmsten Wochen der Pandemie waren wir hierzulande nie an einem Punkt, an dem die Triage erreicht wurde. Der Lockdown zielte immer auf eine hypothetischen Gefahr, die nicht eintrat und bei der nichts dafür spricht, dass sie jetzt noch eintreten sollte.
Die Zahlen sinken, Europa öffnet
Die Wirkung der Mutationen ist nach wie vor nirgendwo in der Substanz zu erkennen. Während in Deutschland gerade mal ein Viertel der Fälle auf Mutationen zurückgehen sollen, sind es in Großbritannien über 90%, in Dänemark, der Schweiz oder Irland mindesten 50% – und überall sind die Zahlen in einem schnellen Abwärtstrend.
Der Lockdown ist damit als Maßnahme nicht mehr begründbar – das hat man in anderen Ländern Europas verstanden. Nur in Deutschland sind wir dem völlig widersinnigen Gedanken verfallen, man könnte mit dem Lockdown Corona auslöschen. Im Gegenteil: Solange das Infektionsgeschehen vom Gesundheitssystem getragen werden kann (was bis dato immer der Fall war), ist es kontraproduktiv, einen Lockdown zu verhängen.
Das wird europaweit auch erkannt, obwohl die Inzidenz dort teilweise noch deutlich höher liegt als in Deutschland. In Italien öffnen die Restaurants genau wie in Spanien, in Frankreich und in Österreich die Geschäfte. Auch Schweden kommt weiter ohne Lockdown aus. Das scheint nichts zu verändern, von einem nach oben Schnellen der Zahlen ist bis dato nichts zu erkennen.
Hoffnung bei der Impfung, doch das ändert nichts
Zahlen aus Israel machen zudem Hoffnung bei der Impfung. Sehr hohe Wirksamkeiten von über 95%, sollten sich Daten des Gesundheitsministeriums zufolge bestätigen. Israel dürfte Corona damit tatsächlich vorerst besiegen können. In Deutschland sind wir davon freilich Jahre entfernt, lediglich 11% der über 80-Jährigen sind bis dato geimpft, und es geht nur schleppend weiter.
In den USA sollen bis Juli alle Personen, die es möchten, geimpft werden können, in Israel deutlich früher. In Deutschland ist der Tag noch nicht abzusehen. Sollte sich die Wirksamkeit des BionTech Impfstoffs in Hochrisikogruppen bestätigen und die Nebenwirkungen auch auf lange Sicht gering bleiben, hätten wir bald immerhin eines erreicht: Ein Impfschutz in den Altersheimen. Hier sind bereits über 50% zweifach geimpft.
Doch trotz der missglückten Impfkampagne gibt es keinen Grund, den Lockdown fortzuführen. Das Konzept eines Lockdowns bis zum Impfschutz ist ohnehin das denkbar schlechteste: dann müsste man bei jeder weiteren Mutation oder anderen schweren Viruserkrankung einen Lockdown verhängen. In alternden Gesellschaften werden auch Grippewellen zunehmend mehr Todesopfer fordern. Dann müsste man immer in einen mindestens einjährigen Lockdown verhängen. Bei der Grippe bspw. gibt es aber bis heute keinen effektiven Impfschutz.
Die Zahl der Opfer ist dennoch mit relativ kleinen Mitteln zu reduzieren: Gelingt der effektive Schutz der Altersheime und Hochrisikogruppen mit Schnelltests, können die wesentlichen Folgen der Pandemie drastisch reduziert werden – die Impfung und auch Antikörpermedikamente sind hier potentiell eine wichtige Unterstützung. Die junge Bevölkerung weiter einzusperren, obwohl wir nach einem Jahr wissen, dass die Krankheit hier nicht großflächig gefährlich ist, ist gegen jede Logik. Wir brauchen intelligente und vor allem spezifische Maßnahmen.
Der Rest der Bevölkerung sollte, nein muss zum normalen Leben zurückkehren dürfen. Die sozialen und wirtschaftliche Folgen sind jetzt schon dramatisch, jeder weitere Tag gefährdet dieses Land noch mehr – ohne erkennbaren gesundheitlichen Mehrwert. Egal ob die 3. Welle kommt oder nicht: Es gibt keinen einzigen plausiblen Grund mehr, den Lockdown fortzusetzen. Seine Wirkung ist minimal bei maximalen Kollateralschäden, die nicht mehr getragen werden können. Wie in großen Teilen Europas muss auch in Deutschland gelockert werden. Und zwar jetzt.