Tichys Einblick
Eine kurze Geschichte der Pandemie

Die Lebensverbote der Herrschenden müssen aufhören

Die herrschende Logik ist gescheitert. Lebensverbote lassen sich der entkräfteten Bevölkerung nicht mehr zumuten, zugleich mutiert das Virus und macht willkürlich festgesetzten Öffnungshürden unüberwindbar. Es gibt keine Exitstrategie für Wirtschaft, Kultur, Bildung und gesellschaftliches Leben. Bleibt nur ein Exit für die verrammelte Vernunft. Dieser Exit aber ist der schwerste.

Nach den beiden Wutreden nun das Gegenteil: maximale Distanz. (Geht natürlich nicht, wenn man mitten im Geschehen steckt und einer Parole der eigenen Jugendzeit – macht kaputt, was euch kaputt macht – im Alter unerwartet etwas abgewinnen kann.) Als gedankliche Position ist der Sitz in der Krümmung von Raum und Zeit vielleicht hilfreich.

I.

Für fast acht Milliarden Menschen ist der Planet zu klein. Verdichtung, wohin man schaut. Auch das Internet spielt eine entscheidende Rolle: Die Menschheit ist trotz politischer Systemgrenzen total vernetzt. Die Ansteckungsgefahr ist deshalb nicht nur bei Viren und Bakterien größer als jemals zuvor. Auch Gedanken werden in Echtzeit verbreitet, richtige wie verheerende. Und Gefühle: Angst und Wut. Damit verbundene Reaktionen: Hysterie, Panik, Unterwürfigkeit. Strenge Vorschriften sollen Angst nehmen, schaffen aber vor allem Depression und Verzweiflung, ohne die Pandemie nachhaltig zu bekämpfen. Fast überall auf der Welt regieren auch demokratische Länder ähnlich, machen vergleichbare Fehler und lassen die Bevölkerung büßen. Es herrscht globales Wunschdenken: die verrückte Vorstellung etwa, der Mensch müsste und könnte mit der Natur Frieden schließen, das Virus befrieden, die Erderwärmung auf ein Zehntelgrad vertraglich fixieren. Wer die Utopie der Realität vorzieht, landet schnell in der Dystopie. Die Utopie lautet: Der Mensch kann das Virus auslöschen. Die daraus automatisch folgende Dystopie: Der Mensch verzichtet auf jegliche Freiheit. Und schafft es trotzdem nicht.

II.

Dass die Menschheit vom Eintreffen der seit Jahren vorhergesagten Gefahr überrascht war, ist das größte Versagen, aber keine Überraschung. Unabhängig vom politischen System, ignoriert der Mensch Gefahren, die nicht bereits Schaden angerichtet haben. Der Mensch lernt nur aus Erfahrungen, die er noch nicht gemacht hat, und auch dann nicht immer das Richtige. Dennoch ist er fest von seiner Überlegenheit überzeugt. Mit der Pest kennt er sich aus. Deshalb orientiert er sich auch jetzt an der Pest. Wegsperren, isolieren, das Leben anhalten, ist im Wesentlichen das Einzige, was ihm einfällt.

III.

Die Pest hat ein Drittel der Bevölkerung dahin gerafft. Bei Covid ist es nur der Bruchteil des Bruchteils eines Prozents. Dennoch wird am alten Dogma festgehalten: Das Sterben der schwer Erkrankten (auch wenn es anders als bei der Pest nur wenige, überwiegend sehr Alte und Kranke sind) begrenzt das Leben aller anderen, ohne dadurch den Schutz der Betroffenen wirklich zu gewährleisten. Wer diese absurde Logik auch nur in Frage stellt, wird aus der Gesellschaft der Vernünftigen und Gesitteten ausgestoßen. Damit wird plötzlich vieles möglich, was die Grundfesten der Zivilisation schädigt. Bildung wird ausgesetzt, Kultur abgeschafft, Existenz vernichtet, Wohlstand zerstört, die demokratische Gewaltenteilung suspendiert, Grundrecht für ungültig erklärt. Nun wird es im wahrsten Sinne des Wortes pervers: Der Lebensschutz richtet sich gegen das Leben selbst. Die Menschen verzichten sogar auf das, was sie unmittelbar gesund erhält: auf Sport, auf Gemeinschaft. Sie fangen sich nicht bloß Viren ein, sondern auch Depressionen, gegen die es keine Impfung gibt.

IV.

Dennoch halten die Pandemie weder Ochs noch Esel auf. Sie befällt nicht bloß die Atemwege, sondern auch den Verstand. Da das aber kein Politiker eingestehen will, wird die grassierende Unvernunft zum Sieg der aufgeklärten Menschheit erklärt. Die Wissenschaft wird missbraucht und lässt sich missbrauchen. Von ihr verlangen die Politiker nicht weniger als die Produktion von Moral. Der Virologe erkennt die unerwartete Macht. Er wird von Macht aber ebenso korrumpiert wie Politiker. Deshalb wird er alles tun, seine Macht zu bewahren. Das kann er nur, indem er das Virus zum Dominator und Terminator ausruft. „Das Virus regiert uns“ heißt das aus dem Mund eines verängstigten und an politischer Inkonsistenz leidenden Ministerpräsidenten. In Wahrheit wird nur Verantwortung verschoben. Am Ende büßen beide, Politik wie Wissenschaft ihr wichtigstes Gut ein: das Vertrauen. Und die Zeche zahlen die Bürger.

V.

Die herrschenden Logik ist gescheitert. Die Lebensverbote lassen sich der entkräfteten Bevölkerung nicht mehr zumuten, zugleich mutiert das Virus und macht die willkürlich festgesetzten Öffnungshürden unüberwindbar. Es gibt keine Exitstrategie für den Lockdown von Wirtschaft, Kultur, Bildung und gesellschaftlichem Leben. Bleibt nur ein Exit für die verrammelte Vernunft. Dieser Exit aber ist der schwerste.

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