Der größte Dammbruch der Geschichte steht bevor: Aber kann man die absehbare Entfesselung der Massen wirklich verantworten?
„Genießt den Krieg, der Frieden wird fürchterlich !“
Dr. Friedrich Thelen nutze den Spruch in einem Gastkommentar in der Wirtschaftswoche 2008 anlässlich der Finanzkrise :
„Finanzkrise: Kinder genießt den Krieg, der Frieden wird fürchterlich”
Groß wird der Knall sein, wenn der Lockdown-Korken aus der Flasche springt. Just wenn Kühe zurück auf die Weide, Topfpflanzen wieder auf den Balkon und Zweiräder wieder auf die Straße können, wird der bis dato sorgsam hochgemauerte Damm des sozialen Abstands brechen. Und es wird sein wie plötzliches Tauwetter in den Bergen, wie die erste Kalorienbombe nach der Fastenzeit, der erste Espresso nach einem Jahr unter militanten Teetrinkern. Ein D-Day der Europäischen Geschichte naht mit großen Schritten, gemessen in verabreichten Nadelstichen, transportierten Ampullen und produzierten Impfdosen.
Freude, schöner Götterfunken ?
Mancher wird auf der internationalen Bühne wieder Bezüge zu längst vergangenen großen Befreiungen herstellen, kein Superlativ wird den Zuhörern absehbar erspart bleiben. Redner werden auch in Deutschland nach Parallelen suchen, vielleicht mit den schon lange in einem Botschaftsgarten in Prag verklungenen Worten „… Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise ……“ , in der sicher nicht unbegründeten Erwartung vielstimmigen Jubelgeschreis. Und tatsächlich: die Fahrzeugkonvois werden sich in den Innenstädten stauen wie weiland vor den Grenzübergängen. Jeder wird das Gewimmel auf den bundesdeutschen Prachtstrassen, Alleen und Einkaufsmeilen live und in Farbe beobachten wollen.
Auf allen Plätzen und Straßen wird hemmungslos geknutscht, getanzt, gefeiert werden. Die Bars werden durchgehend geöffnet, die Brauereien Sonderschichten fahren und die Stadtreinigungen die Parks jeden Morgen durchkämmen müssen. Ganz Europa ein einziges, herdenimmunisiertes hiphop-Video. Exzessive Szenen, wie sie dort vielleicht nur in Pestzeiten zu beobachten waren, werden sich abspielen. Vielleicht verbrennt man abends auf dem Lande grosse stachlige Kugeln aus Pappmaché, oder jagt einen Kerl in einem Virenkostüm (hier bei Amazon erhältlich) durch die Gassen. Vielleicht findet sich eine Gemeinde, die gelobt – wie 1634 Oberammergau – jährlich Passionsspiele aufzuführen.
Es wird ein geradezu epischer Moment sein, wenn die Bewohner ganzer Landstriche wie nach diesem langen Winterschlaf blinzelnd ins helle Sonnenlicht treten dürfen, ohne gesiebte Luft atmen zu müssen. Unerhört: sich in die Arme fallen.
Den Sieg über das Virus auskosten
Man wird sich die Frage aus der bekannten Halsbonbon-Werbung sparen können : „Wer hat’s gemacht?“ Antwort: Die Politiker(innen). Man wird es an den entspannten, gelösten Gesichtern erkennen, an den vor der Kamera ausgetauschten Scherzen. An der begeisterten, schulterklopfenden, im Taumel des Sieges zelebrierten Verbrüderung aller gewählten Köpfe Europas. An der besonders grellen Neonwerbung der großen Pharmafirmen. Ganz automatisch wird sich ein wochenlanger Reigen gegenseitiger Gratulationen anschließen, es wird einen „Covid-Abschluss-Gipfel“, eine Erklärung aller Parteien zum Tag der Befreiung geben. Legion die Ansprachen, in denen „… nie daran gezweifelt …“ wurde, mit der unvermeidlichen Erwähnung der „…. gemeinsamen Anstrengungen …“ und nicht zuletzt den bleibenden „… Lektionen für die Zukunft …“.
Auf dieser Schwemme der Euphorie weggetragen werden die Zweifler, die Gegner und die Kritiker. Sie werden sich geschlagen geben, zugeben müssen, dass sie zu Unrecht mit ihrem Vertrauen geknausert haben und vor laufender Kamera Abbitte leisten.